Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Schleyers Sohn warnt
Eine Bilanz 40 Jahre nach dem Mord an seinem Vater
RAVENSBURG (sz) - Hanns-Eberhard Schleyer, ältester Sohn des vor 40 Jahren von Terroristen ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, mahnt zur Vorsicht. Den damaligen RAF-Terror, so Schleyer, könne man zwar nicht mit der aktuellen Gefährdung vergleichen. „Der Terror des ,Islamischen Staates‘ ist eine andere Kategorie, eine globale, hier müssen wir uns auf unsere Sicherheitsdienste verlassen“, sagte Schleyer zur „Schwäbischen Zeitung“. Er warnte aber: „Es gibt aber politisch motivierte Gewalt an den Rändern unseres gesellschaftlichen Spektrums. Hier müssen wir die politisch-moralische Debatte führen, dass es lohnt, sich für unseren Rechtsstaat einzusetzen.“
Heute vor 40 Jahren, am 18. Oktober 1977, wurde Hanns-Martin Schleyer ermordet. Sein Leichnam wurde tags darauf aufgefunden. Der Tag gilt als Ende des sogenannten deutschen Herbstes.
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RAVENSBURG - Als ältestem Sohn kam Hanns-Eberhard Schleyer eine zentrale Rolle zu, als sein Vater, der Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer, am 5. September 1977 von RAF-Terroristen entführt wurde. Er war gleichermaßen Sprachrohr der Familie und Ansprechpartner für die Bundesregierung. Hanns-Eberhard Schleyer, selber Jurist, kämpfte bis zuletzt um das Leben seines Vaters, drei Tage vor dessen Ermordung am 18. Oktober, zog er noch vor das Bundesverfassungsgericht, um ein Einlenken der Bundesregierung zu bewirken. Dirk Grupe sprach mit ihm über die dramatischen Ereignisse von damals, wie er heute die RAFTerroristen sieht und was er davon hält, dass die "Landshut" dauerhaft am Bodensee in Friedrichshafen bleiben soll.
Herr Schleyer, vor 40 Jahren wurde ihr Vater von der RAF ermordet. Wie ist Ihr Gefühlsleben angesichts des Jahrestags?
Solche Jahrestage sind für die Familie besondere Tage der Erinnerung. Und wir fragen uns dabei immer wieder, ob sich etwas bewegt und verändert hat, ob die Geschehnisse tatsächlich eine Zäsur bedeutet haben, wie der Bundespräsident in der damaligen Trauerfeier gesagt hat.
Und war der Deutsche Herbst 1977 eine Zäsur?
Ja. Man muss sich in Erinnerung rufen, dass es in dieser Zeit bei zu vielen Menschen durchaus Sympathien für die Ziele der RAF gab und für ihre Methoden, diese durchzusetzen. Ich bin kein Gegner der 68er-Bewegung, sie hat die gesellschaftliche Erneuerung vorangebracht. Viele Sympathisanten hatten aber ein verzerrtes Bild, in ihren Köpfen war Gewalt ein legitimes Mittel politischer Auseinandersetzung. Das hat sich nach der Mordserie des Jahres 1977 geändert, die RAF war isoliert.
Durch die aktuelle Auseinandersetzung mit dem Deutschen Herbst wird gerne nach einem Vergleich mit dem Terror heute gefragt. Lässt sich dieser Vergleich überhaupt ziehen?
Der Terror des "Islamischen Staates" ist eine andere Kategorie, eine globale, hier müssen wir uns auf unsere Sicherheitsdienste verlassen. Es gibt aber auch politisch motivierte Gewalt an den Rändern unseres gesellschaftlichen Spektrums. Hier müssen wir die politisch-moralische Debatte führen, dass es nämlich lohnt, sich für unseren Rechtsstaat einzusetzen und dass Gewalt keine Form der politischen Auseinandersetzung sein darf. Sympathisanten müssen wir überzeugen, Täter bekämpfen. Das kann gelingen, wenn die Sorgen Vieler ernster genommen werden, Fragen etwa nach der Sicherheit der Arbeitsplätze, der inneren Sicherheit oder nach dem Umgang mit Flüchtlingen. Und wenn dann auch gehandelt wird.
Sie waren damals in einer Schlüsselposition, beziehungsweise nahmen die Schnittstelle zwischen der Familie Schleyer und der Bundesregierung ein, mit ihren jeweils unterschiedlichen Positionen. Wie haben Sie diesen Konflikt erlebt?
Die Bundesregierung um Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte früh eine Entscheidung über ihr Vorgehen getroffen, die Familie aber hingehalten. Natürlich habe ich den Zwiespalt zwischen Staatsräson und der Rettung eines Menschenlebens gesehen. Für uns konnte es aber nur um das Leben meines Vaters gehen.
Die Regierung hatte andere Prioritäten...
...sie hat die Staatsräson über das Leben eines ihrer Bürger gestellt. Deshalb bin ich vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Die Richter haben zwar bestätigt, dass die vorrangigste Aufgabe des Staates ist, seine Bürger zu schützen, gleichfalls haben sie aber die Handlungsfähigkeit der Regierung darüber gestellt. Hier ist ein Bruch in der Argumentation, den ich bis heute nicht verstehe. (Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, das Leben seiner Bürger zu schützen. Die Verfassungsbeschwerde der Schleyers wies das Gericht jedoch ab mit Verweis auf eine potenzielle Bedrohung durch die Terroristen, also eine abstrakte, die Redaktion).
Hegen Sie noch immer Groll gegen Helmut Schmidt, wenn dem überhaupt so war?
Ich weiß ja aus vielen Gesprächen mit ihm, wie sehr ihn das beschäftigt hat. Und was es ihm bedeutet hat, als er mit dem Hanns-Martin-SchleyerPreis geehrt wurde. Schmidt, das hat er gesagt, haben drei Ereignisse in seinem Leben geprägt: Seine Zeit als Soldat, der Tod seiner Frau und die Entführung und Ermordung meines Vaters. Groll ist ohnehin das falsche Wort. Aber es gab und gibt diese Gefühle der Ohnmacht und der Verzweiflung.
Welche persönlichen Erinnerungen haben Sie an Ihren Vater?
Er hat sich zunächst schwer getan, Gefühle gegenüber seinen Kindern zu zeigen. Das hat sich im Sprechalter geändert, wir haben dann viele Gespräche geführt und so hat sich, auch mit meinen Brüdern, ein sehr enges Verhältnis entwickelt. Beeindruckend war seine große Toleranz, er hat zugehört und Verständnis für andere Interessen gezeigt, auch bei den Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften. Der soziale Grundkonsens war für ihn von besonderer Bedeutung. Und er hat den Dialog mit den jungen Leuten gesucht, er war daran interessiert, was sie bewegt. Ich habe meinen Vater als warme und tolerante Persönlichkeit in Erinnerung.
In welcher Erinnerung haben Sie Meersburg am Bodensee, wo die Familie ein Ferienhaus besaß?
Väterlicherseits kam ja ein Teil der Familie aus Meersburg und auch aus dem Südschwarzwald. In Meersburg konnten wir uns zurückziehen, die Seele baumeln lassen und die Vorzüge des Bodensees genießen: das Wasser, die Berge, die Gastronomie. Meersburg war ganz wichtig für die Familie.
Wie haben Sie damals die Bedrohungslage durch die RAF wahrgenommen?
Wir wussten ab Frühjahr 1977, dass mein Vater ganz oben auf ihrer Liste stand. Wir wurden rund um die Uhr durch Personenschutz bewacht. Das hat die Lebensqualität sicherlich we-
sentlich eingeschränkt.
Nun ist die "Landshut" am Bodensee, in Friedrichshafen, was teilweise kontrovers diskutiert wird. Was halten Sie davon?
Das hängt davon ab, was man draus macht. Wird die "Landshut" ein technisches Ausstellungsstück, hätte man sich Kosten und Mühe sparen können. Begreift man sie aber als zeitgeschichtliches Monument, über das sich die Ereignisse von damals auch an junge Leute vermitteln lässt, würde ein Zeichen gesetzt. Als die "Landshut" abtransportiert wurde, war ein Bruder vor Ort. Auch Passagiere von damals, Crewmitglieder und Mitglieder der GSG 9 waren dabei und sind in das Flugzeug gestiegen. Mein Bruder hat mir berichtet, wie eindrucksvoll und auch beklemmend es war, als sie wieder aus der "Landshut" stiegen und all ihre Erinnerungen hochkamen. Ein Konzept müsste auch diesen existenzbedrohenden Teil des Terrors vermitteln können.
Zum Ende bitte kurz ein Perspektivwechsel von der Opfer- auf die Täterseite. Nach 1977 hat die RAF noch lange weitergemordet, sich später aufgelöst, heute machen mutmaßliche Terrorsenioren Schlagzeilen, die Banken ausrauben würden. Wie stehen Sie heute zur RAF?
Für mich waren es immer Mörder mit einer völlig verqueren Ideologie. Mich hat auch nie, wie Bubacks Sohn (der damalige Generalbundesanwalt Siegfried Buback wurde Anfang April 1977 von der RAF ermordet, die Red.), interessiert, wer genau meinen Vater umgebracht hat. Wer in der Gruppe war, weiß ich ja. Es gab im Laufe der Jahre auch immer wieder Versuche von RAF-Leuten wie Peter-Jürgen Boock, Kontakt zu mir aufzunehmen, das habe ich immer abgelehnt. Als Chef der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz liefen auch die ersten RAF-Begnadigungsverfahren über meinen Schreibtisch. Franz-Josef Strauß meinte damals zu mir, man könne diese Polittäter nicht begnadigen. Gerade weil sie aber normale Verbrecher waren, hatten sie Anspruch auf ein Gnadenverfahren. Ich wollte sie nicht als politische Märtyrer gefeiert wissen.