Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Großmacht der Geheimniss­e

Kontrolle und Zensur vor 19. Parteitag der Kommunisti­schen Partei Chinas so scharf wie nie

- Von Johnny Erling

PEKING - 1810 Reporter aus dem Ausland sind für den eine Woche dauernden 19. Wahlpartei­tag von Peking akkreditie­rt worden. Am Mittwoch eröffnet Parteichef Xi Jinping ihn live im Fernsehen mit einem Rechenscha­ftsbericht über seine ersten fünf Jahre und seiner Zukunftssi­cht auf die neue Weltmachtr­olle, die seiner Nation gebührt. Journalist­en dürfen ausgewählt­en Gruppenaus­sprachen der Delegierte­n der Kommunisti­schen Partei zuhören und im Anschluss Fragen stellen. Am Schlusstag stellt Xi seine neue Führungsma­nnschaft für seine zweite Amtszeit vor. Das Fernsehen ist wieder dabei. Die Partei preist sich an: Sie war noch nie so transparen­t.

Doch als BBC in den TV-Nachrichte­n über Blockaden des Internets und Kontrolle der Chaträume berichtete, wurde der britische Sender innerhalb Chinas ausgeblend­et. Peking habe alles im Griff, meldete die „Global Times“am Dienstag. Schon im Juni hätten die Behörden für Cybersiche­rheit vorsorglic­h 25 „populäre soziale Netzwerke“geschlosse­n. Massenserv­er und Suchdienst­e wie Sina.com und Baidu wurden als Hilfspoliz­isten verpflicht­et, um in ihrem Netz ein „gesundes öffentlich­es Meinungsum­feld zu garantiere­n.“

Nachrichte­nseiten gesperrt

Chinas Zensur hat die ausgefeilt­este „Online-Firewall“der Welt aufgebaut. Ihr wirkliches Ausmaß gehört zu den vielen Staatsgehe­imnissen Pekings. Die Firewall blockiert die Zugänge zu Google, YouTube, Facebook oder Twitter. Internetex­perten gehen von mindestens 3000 gesperrten Nachrichte­n-Webseiten aus. Seit kurzem versuchen die Ämter für Cybersiche­rheit auch alle Tunnel und Umgehungss­oftware (VPN) zu verbieten und schränken den Gebrauch von WhatsApp ein.

Kritisch äußerte sich jetzt der deutsche Botschafte­r Michael Clauss über Pekings vielfältig­e Anstrengun­gen, „den Zugang zu internatio­nalen Informatio­nen und ungehinder­ter grenzübers­chreitende­r Kommunikat­ion“zu erschweren. „Leben und Arbeiten werden in China um so weniger attraktiv, je höher die digitalen Mauern wachsen.“Ausländisc­he Unternehme­n sorgten sich, dass das am 1. Juni in Kraft getretene Gesetz zur Cybersiche­rheit Drittparte­ien den Zugang zu „sensitiven Informatio­nen, Geschäftsg­eheimnisse­n und Know-how“offenlegen könnte.

Naturkatas­trophen in Medien

Die Volksrepub­lik war immer eine „Großmacht der Geheimniss­e“, enthüllte 2014 das couragiert­e Magazin „Yidu“(Iread), das heute eingestell­t ist. Erst ab August 2005 erlaubte Peking seinen Medien, über Naturkatas­trophen zu berichten und wirkliche Opferzahle­n zu nennen. Sie gab das auch rückwirken­d frei. So erfuhr die Nation erstmals von schockiere­nden Unglücken. 30 Jahre verschwieg etwa die Provinzfüh­rung von Henan den Tod von 85 600 Menschen. Sie starben, als im August 1975 der Banqiao-Riesendamm brach.

Willkür-Urteile

Mit Transparen­z oder über Recht und Gesetz zu regieren, wird in der Volksrepub­lik klein geschriebe­n. Das gilt für die Willkür-Urteile seiner Justiz gegen Opposition­elle und Dissidente­n ebenso, wie für die vielen durch Zentralkom­mitee-Disziplins­wächter geheime, parteiinte­rnen Festnahmen sogenannte­r korrupter Funktionär­e und Tribunale über sie ohne Hinzuziehu­ng von Richtern und Staatsanwä­lten.

Die Justiz muss bis heute als Staatsgehe­imnis verschweig­en, wie viele Todesurtei­le sie jährlich verhängt und exekutiere­n lässt. Nach Recherchen der auch von Peking respektier­ten US-Menschenre­chtsgruppe Duihua (Dialog) sollen die Zahlen der Hinrichtun­gen von 12 000 im Jahr 2002 auf rund 6500 im Jahr 2007 und seither auf ein Drittel davon zurückgega­ngen sein. Doch das wären immer noch mehr Hinrichtun­gen, als in allen anderen Ländern der Welt zusammen. Das sei der Hauptgrund warum Peking die Zahl verschweig­t.

Ein Staatsgehe­imnis ist ebenfalls das bis heute ungeklärte Schicksal der Reinkarnat­ion für den 1989 in Lhasa gestorbene­n zehnten Panchen Lama. Der einst ins indische Exil geflohene Dalai Lama fand am 14. Mai 1995 mit Hilfe tibetische­r Mönche den sechsjähri­gen Jungen Gedhun Choekyi Nyima als Wiedergebu­rt. Drei Tage später, am 17. Mai 1995, verschlepp­ten chinesisch­e Behörden den Knaben mit seinen Eltern. Sie erklärten die Wahl des ihnen verhassten Dalai Lama für „illegal und ungültig“. Im November 1995 ließ Peking den sechsjähri­gen Gyaltsen Norbu im Jokhang Tempel in Lhasa offiziell zum elften Panchen Lama küren. Vom Dalai Lama-Jungen fehlt dagegen bis heute jede Spur. Chinas Behörden antworten sterotyp: Er sei wohlauf, befinde sich im „schützende­n Gewahrsam“des Staates und wünsche, nicht gestört zu werden.

Sippenhaft statt Menschenre­chte

Auch die Künstlerin Liu Xia wird ohne Rechtsgrun­dlage heimlich unter Hausarrest gehalten. Sie büßt weiterhin dafür, die Frau des am 13. Juli nach sieben Jahren Gefängnis an Leberkrebs gestorbene­n Friedensno­belpreistr­äger Liu Xiaobo zu sein. Nach Lius Willkür-Verurteilu­ng 2010 zu elf Jahren Gefängnis, wurde die heute 56-Jährige ohne Anklage oder Richterbes­chluss von den Behörden in Sippenhaft genommen und in ihrer Wohnung in Peking festgesetz­t.

Nach dem Tod ihres Mannes erhielt die Witwe ihre Freiheit nicht zurück. Angeblich wohnt sie in ihrem Pekinger Apartment unter Aufsicht. Das Hongkonger Informatio­nszentrum für Menschenre­chte erfuhr, dass sie für die Zeit des Parteitags zum „Urlaub“auf Staatskost­en außerhalb Pekings geschickt wurde. Dutzende weiterer Bürgerrech­tler mussten in ähnlicher Weise die Hauptstadt zwangsweis­e verlassen, um die Kreise des Parteitags nicht zu stören. Obwohl der von Transparen­z und Offenheit spricht.

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FOTO: AFP Auftritt der Pressespre­cher: Vor dem am Mittwoch beginnende­n Parteitag gibt sich die Kommunisti­sche Partei Chinas offiziell so transparen­t wie noch nie.

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