Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Das Porträt eines lächerlichen Mannes
„The Square“ist eine Satire auf die politische Korrektheit
C● hristian (Claes Bang) ist Kunstkurator in Stockholm. In der ersten Hälfte des Films gibt Regisseur Ruben Östlund seinen Protagonisten der Lächerlichkeit preis. Wir sollen diesen Christian zuerst mal nicht mögen. Er ist ein sozialer Hochstapler, ein unauthentischer Mensch, der noch seine Spontaneität inszeniert, indem er in eine Rede einen „charmanten“Fehler einbaut. Erst mit der Zeit kommt er uns näher, schon weil wir in ihm auch uns selbst erkennen.
Der Film arbeitet mit lang ausgespielten Szenen: Man begleitet Christian durch ein paar Arbeitstage. Seine Doppelmoral wird erkennbar und zugleich deren Erschütterung. So entsteht das Porträt eines lächerlichen Mannes.
Entlarvung der Gesellschaft
„The Square“nutzt das Leben dieser Hauptfigur zu einer Abrechnung mit unserer Gegenwart. „The Square“ist eine schwarze, auch süffisante Gesellschaftskomödie, die manche Vorstellung von Demokratie und Gerechtigkeit als Illusion entlarvt und das schlechte Gewissen des Mittelstands, die politische Korrektheit und die Moralisierung gesellschaftlicher Verhältnisse aufs Korn nimmt. Gemeint ist nicht nur Schweden, sondern unser aller Leben in den Wohlstandsoasen des Westens.
Zum Beispiel wird eine öffentliche Diskussion Christians aus dem Publikum immer wieder gestört: „Scheiße!“„Fotze!!“„Müll!!!“Dann meldet sich eine Dame: „Sorry! Mein Mann hat Tourette.“Es geht so weiter. Die Frage, warum man den Mann nicht einfach hinauswirft, steht im Raum, aber sie wird nie gestellt. Stattdessen peinliches Schweigen. Alle sind gestört, aber alle blicken nur betreten zu Boden, lachen verlegen. Dann steht einer auf: „Bitte zeigt mehr Toleranz!“Regisseur Ruben Östlund („Höhere Gewalt“), der mit diesem Film im Mai die Golden Palme in Cannes gewann, ironisiert hier eine vollkommen übertriebene Toleranz, einen sozialen Selbstmord aus Angst vor dem Tode.
Permanente Selbstdemütigung
Bei einem Abendessen für die reichen Förderer des Museums unter dem Motto „Willkommen im Dschungel“tritt ein PerformanceKünstler als Affe auf und wird den Gästen gegenüber gewalttätig. Die nehmen fast alles hin, bevor die Szene umschlägt. Östlund zeigt hier noch einmal eine Toleranz für „das Andere“aus Scham und Selbstkritik, die in die Selbstdemütigung einer Gesellschaft mündet, der direkt die Nivellierung aller Geltungs- und Vernunftansprüche folgt.
Der Film heißt so, weil Christian gerade eine neue Ausstellung eröffnet, die „The Square“heißt. Darin geht es um einen freien Raum, in dem alles möglich ist – ein Sinnbild auch für die mögliche Sinnleere moderner Kunst. Was ist Kunst? Ist etwas dadurch, dass es im Museum steht, Kunst? Wie als running gag erleben wir hier immer wieder das Publikum im Wahrnehmen von Kunstwerken, wir sehen, wie moderne Kunst nicht zum Betrachter spricht, und bekommen vom Film nahegelegt, über solche Beobachtungen zu lachen. Hier wird manches etwas schlicht: Wenn der Museumskoch bei einer Vernissage sein Buffet vorstellt und darüber redet wie ein Künstler, ihm aber keiner zuhört. Oder wenn ein Reinigungswagen die zum Kunstwerk aufgehäuften Kieselsteine wegsaugt.
Tiefsinniger aber ist die Geschichte eines Clips für die sozialen Netzwerke, der zuerst das Ziel hatte, durch Provokation Aufmerksamkeit zu generieren, dann aber einem Kunstbetrieb zum Opfer fällt, der sich längst an die Macht des Geldes verkauft hat. Christian ist verantwortlich und muss gehen, weil die Geldgeber das wollen. Die offizielle Begründung ist aber eine moralisierende: Sein Clip habe die Gefühle der Öffentlichkeit verletzt. Für den Kurator gilt keine Meinungsfreiheit.
Das geht einher mit dem, was sich tagtäglich erleben lässt: Dem Ende der Kunst, wie wir sie kennen. Kunst verliert ihre kritische, irritierende Funktion und wird wieder zum stabilisierenden Innendesign der herrschenden Verhältnisse.
Humor hat Konjunktur
Das Kino reflektiert seit jeher die Lage seiner Gegenwart. Wie immer in schweren Zeiten, steigt derzeit die Konjunktur des Humors. Dieser Humor ist eher bissig als gelassen, eher schwarz als heiter. So wird man in diesem ungemein reichhaltigen Film Zeuge einer präzisen Information über den Stand der Dinge. Über Unsicherheit und Erschöpfung unserer Welt, über die Notwendigkeit, uns neu zu erfinden.
The Square. Regie: Ruben Östlund. Mit Claes Bang. Länge: 145 Minuten. FSK: ab 16 Jahre.