Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Kinder und Sterbende unter einem Dach
Fast zwei Jahre sind Hospiz Schussental und Casa-Elisa-Kindertagesstätte Nachbarn
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RAVENSBURG - Während Lisa und Matilda in der Casa-Elisa-Kindertagesstätte (Kita) in Ravensburg mit ihren Puppen spielen, fährt draußen der Bestattungswagen vor. Der hölzerne Sarg wird hereingerollt – vorbei an der Kita, an Lisa, Matilda und ihren Puppen, und mit dem Aufzug hinauf in den zweiten Stock, hinauf ins Hospiz Schussental. Dort ist in der Nacht eine Frau verstorben. Sie hatte Krebs im Endstadium.
Szenen wie diese sind Alltag in der Nikolausstraße 10 in Ravensburg, in der Nähe des Sankt-Elisabeth-Krankenhauses. Denn Kita und Hospiz – beide unter Leitung der Sankt-Elisabeth-Stiftung – befinden sich im selben Gebäude: 79 Kinder toben im Erdgeschoss, acht Sterbende nehmen im zweiten und dritten Obergeschoss Abschied vom Leben. Als das Hospiz Schussental im Januar 2016 eröffnet hat, war die Skepsis groß – auf beiden Seiten.
„Am Anfang haben wir nicht gerade ,Juhu‘ gerufen“, erinnert sich KitaLeiterin Birgit Morgenstern (41). „Meine Mitarbeiter und ich hatten ja keine Erfahrungen damit und mussten uns behutsam an das Thema herantasten.“Manche Eltern seien in Sorge gewesen, wie Barbara Engert, selbst Mutter einer Dreijährigen und ehemaliges Mitglied der Kita-Leitung, bestätigt. Fragen kamen auf: Wie sollte es werden, wenn schwer kranke Menschen gebracht werden? Was, wenn Eltern ihre Kinder abholen und in dem Moment ein Sarg hereingefahren wird? Wie umgehen mit den vielen fremden Menschen, die im Haus plötzlich ein und aus gehen?
Was ist in der Holzkiste?
Als Maßnahme hat die Kita eine Sichtschutzfolie an dem großen Fenster im Eingangsbereich angebracht. Außerdem achtet das Hospiz darauf, dass die Bestattungsunternehmen nicht unbedingt zu den Bring- und Abholzeiten der Kita kommen. Ansonsten gehört der Tod im Haus dazu. „Wir bauschen das nicht auf“, so Morgenstern, „wenn Fragen auftauchen, behandeln wir diese offen und nüchtern.“
Will ein Kind wissen, warum da jemand auf einer Liege gebracht wird oder was das für eine große Holzkiste ist, gehen die Kita-Mitarbeiter darauf ein. „Ich sage dann, dass der Mann oder die Frau sehr, sehr krank war und eine kurze Zeit hier verbracht hat“, beschreibt Birgit Morgenstern. Viele Kinder würden ihre eigene Geschichte daraus machen – zum Beispiel, dass der oder die Tote jetzt im Himmel ist. Andere Kinder kämen ins Grübeln. Sie überlegten sich, dass sie auch schon mal krank waren und Mama und Papa auch, und ob sie jetzt wohl sterben. „Da muss man natürlich erklären, dass es unterschiedliche Arten von Krankheiten gibt“, so die Kita-Leiterin.
Mutter Barbara Engert findet es wichtig, dass der Umgang mit dem Tod „normal und unverkrampft“ist. „Viel schlimmer wäre es doch, wenn das Thema tabuisiert wird und man versucht, das Kind schnell weiterzuziehen oder mit etwas anderem abzulenken“, sagt Engert. Sie bemerkt, dass Kinder mit Tod und Sterben oftmals besser umgehen können als Erwachsene. „Mit dem Alter sieht man die Sache eher verkopft und hat Angst“, beobachtet die 32-Jährige.
Lachen sorgt für Ablenkung
Bedenken zu der ungewohnten Nachbarschaft gab es zu Beginn auch im Hospiz. „Wir haben uns Gedanken darüber gemacht, ob unsere Gäste und deren Angehörige sich durch die Kinder gestört fühlen könnten – gerade im Sommer, wenn die Kleinen draußen im Garten sind“, berichtet Cornelia Frick, die als Pflegefachkraft im Hospiz arbeitet. Doch die Sorgen waren unbegründet: „Es ist unglaublich, wie positiv das Ganze aufgenommen wird“, so die 38Jährige. Die Kinder bringen Leben ins Haus, ihr Lachen dringt bis nach oben, sie sorgen für Ablenkung. „Es fühlt sich nicht an wie ein Hospiz“, sagt Frick. „Und selbst in der Sterbephase tut es vielen gut, wenn im Hintergrund etwas los ist.“
Kita-Leiterin Morgenstern sieht das ähnlich: „Warum muss Sterben immer etwas mit Ruhe und Düsternis zu tun haben?“, fragt sie. Der Tod gehöre nun mal zum Leben dazu. Wichtig ist laut Morgenstern, Engert und Frick, dass Kita und Hospiz ein gutes Miteinander haben – „ohne daraus ein Riesending zu machen“, wie die drei betonen.