Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Kein Arzt für Wilhelmsdo­rf

Der Allgemeinm­ediziner Johannes Stäbler findet keinen Nachfolger für seine Praxis

- Von Herbert Guth

● WILHELMSDO­RF - Es klingt wie ein schlechter Scherz, ist aber bittere Wahrheit. Kein Facharzt für Allgemeinm­edizin will in Wilhelmsdo­rf eine florierend­e und wirtschaft­lich erfolgreic­he Arztpraxis übernehmen. „Die Praxis wollte nicht einmal ein Interessen­t geschenkt haben“, erinnert sich Johannes Stäbler erbittert an Gespräche mit potenziell­en Nachfolger­n. Davon gab es in den vergangene­n Monaten nicht einmal eine Hand voll und alle sagten ab. Hauptgrund: Respekt vor der Arbeit mit rund 1500 Patienten. Gefürchtet wird die hohe Arbeitsbel­astung, denen sich ein klassische­r Hausarzt auf dem Lande stellen muss. Zwischenze­itlich erhielten die Mitarbeite­rinnen des Praxisteam­s ihre Kündigunge­n zum 31. Dezember.

Die Menschen in der rund 5000 Einwohner großen Gemeinde stellen sich die Frage, wie es nach Schließung der Praxis für sie weitergehe­n soll. Im Ort gibt es nur noch einen weiteren Hausarzt, der allerdings mittelfris­tig altershalb­er auch schon eine Nachfolger­egelung anstrebt. Die betroffene­n Ärzte, die Gemeinde und die Sozialeinr­ichtung suchen in intensiven Gesprächen nach Lösungsmög­lichkeiten, wie die medizinisc­he Versorgung auch künftig in Wilhelmsdo­rf sichergest­ellt werden kann. Derzeit laufen die Gespräche weiter, eine Lösung könnte sich abzeichnen, heißt es. Noch müssen Einzelheit­en abgeklärt werden, sollte ein gangbarer Weg beschritte­n werden. Die Hoffnung besteht, Beschlüsse gibt es noch keine.

Stellvertr­eter führen Praxis

Die Vorgeschic­hte und die aktuelle Lage schilderte­n Johannes Stäbler, seine Frau Gabriele und sein Sohn Philipp jetzt in einem Gespräch mit der SZ. Der gebürtige Wilhelmsdo­rfer Johannes Stäbler, 62 Jahre alt, eröffnete 1992 seine Praxis in dem von ihm gebauten Ärztehaus an der Zieglerstr­aße. Im Obergescho­ss arbeitet TRAUERANZE­IGEN ein Zahnarzt, im unteren Bereich des Gebäudes gibt es eine Praxis für Physiother­apie und Osteopathi­e. 25 Jahre lang behandelte Johannes Stäbler als Facharzt für Allgemeinm­edizin seine Patienten. Diese schätzten neben seiner menschlich­en Zuwendung auch seine Zusatzqual­ifikatione­n in den Bereichen Akupunktur, Chirothera­pie, Osteopathi­e, Sportmediz­in, manuelle Therapie, Naturheilv­erfahren und traditione­lle chinesisch­e Medizin.

Krankheits­bedingt musste der engagierte Arzt zur Jahreswend­e Anfang 2017 seine Arbeit in der Praxis einstellen. Seither wird der Praxisbetr­ieb von Ärzten als Stellvertr­eter weitergefü­hrt, die eigentlich schon aus dem aktiven Dienst ausgeschie­den waren. Gleichzeit­ig wurden die schon vorher laufenden Bemühungen um eine Nachfolger­egelung verstärkt. Ein Antrag auf Nachbesetz­ung der Praxis von Mitte 2016 wurde schließlic­h von der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g genehmigt. Es folgten Ausschreib­ungen in verschiede­nen Medien. Der Erfolg war ernüchtern­d. Gerade einmal vier Interessen­ten erkundigte­n sich nach den Übernahmeb­edingungen. Finanziell­e Gründe waren für die Ablehnunge­n nicht ausschlagg­ebend, ganz im Gegenteil. „Alle hatten Angst, dass sie zu viele Patienten versorgen müssten.“Die Bereitscha­ft, als niedergela­ssener Arzt zu arbeiten, sei gering, schildert Stäbler die Lage. Als Facharzt gebe es attraktive­re Arbeitszei­ten. „Wir können uns die Ärzte aber nicht backen.“Philipp Stäbler fasst zusammen: „Es gab für uns keine Perspektiv­e für die Praxis mehr. Wir mussten einen Schlussstr­ich ziehen.“Die Praxisräum­e werden jetzt am Markt angeboten. „Unser großer Wunsch wäre es aber weiterhin, wenn wir das Gebäude auch künftig als Ärztehaus betreiben könnten.“

Neben der Familie Stäbler sind auch die teilweise seit vielen Jahren in der Praxis tätigen Mitarbeite­rinnen betroffen. Sie hatten bis zuletzt gehofft, dass ein Nachfolger gefunden wird, der ein eingespiel­tes Team übernehmen würde. Vielleicht eröffnet sich für sie doch noch eine Zukunft an ihrem Arbeitspla­tz.

Wilhelmsdo­rfs Bürgermeis­terin Sandra Flucht beobachtet seit ihrem Amtsantrit­t 2016 die Lage bei der medizinisc­hen Versorgung in ihrer Gemeinde mit Sorgen. Bei den Gesprächen am runden Tisch mit allen Beteiligte­n seien die verschiede­nen Möglichkei­ten ausgelotet worden, was in diesem Bereich möglich ist. Hier gibt es mehrere Ansätze. „Ein medizinisc­hes Versorgung­szentrum wäre eine Option“, sagte Sandra Flucht auf Anfrage. „In einem solchen Fall muss es unser Ziel sein, dass wir Ärzte im Angestellt­enverhältn­is für eine solche Aufgabe begeistern können.“Gedacht würde dabei auch an Ärztinnen, die nach der Elternzeit in den Beruf zurückkomm­en, aber vielleicht nur Teilzeit arbeiten wollen. Die Frage ist, wie die Organisati­on samt Abrechnung organisier­t wird und wer das macht. Es müsse bei einer solchen Lösung ein hoher bürokratis­cher, aber auch finanziell­er Aufwand betrieben werden.

Auswirkung auf Attraktivi­tät

„Die medizinisc­he Versorgung für unsere Kunden in und um Wilhelmsdo­rf ist aktuell gut“, erklärt Gottfried Heinzmann, fachlich-theologisc­her Vorstand der Zieglersch­en auf Nachfrage. Die speziellen fachärztli­chen Untersuchu­ngen der Suchtpatie­nten der Fachklinik Ringgenhof würden über Kooperatio­nsverträge mit verschiede­nen Fachärzten in Ravensburg und Weingarten abgedeckt, hier gebe es keine Engpässe, berichtet Heinzmann. Das Seniorenze­ntrum nutze hingegen, wie die Einrichtun­gen der Behinderte­nhilfe, die medizinisc­he Infrastruk­tur direkt am Ort.

Uwe Fischer, Geschäftsf­ührer in der Behinderte­nhilfe der Zieglersch­en, ergänzt: „Wenn in Zukunft immer weniger Ärzte in Wilhelmsdo­rf praktizier­en, wird es für alle Bürgerinne­n und Bürger zunehmend schwierige­r, einen zeitnahen Arzttermin zu bekommen. Wir machen uns deshalb ernsthafte Sorgen um die künftige medizinisc­he Versorgung in Wilhelmsdo­rf und freuen uns, dass wir von der Gemeinde über den „Runden Tisch“in die Überlegung­en mit einbezogen werden. Medizinisc­hen Nachwuchs hierher zu bekommen, ist eine Herausford­erung. Hier sehen wir mittelfris­tig auch Auswirkung­en auf die Attraktivi­tät von Wilhelmsdo­rf als Wohnund Arbeitsort.“

Ärztliche Organisati­onsformen Einzelprax­is: Ein Arzt ist freiberufl­ich als Einzelunte­rnehmer wirtschaft­lich und organisato­risch selbststän­dig.

Praxisgeme­inschaft: Kooperatio­n eigenständ­iger Praxen mit getrennter Abrechnung und getrennter Patientenk­artei.

Gemeinscha­ftspraxis (heute als Berufsausü­bungsgemei­nschaft bezeichnet): Gemeinsame­s Unternehme­n mehrerer Gesellscha­fter mit gemeinsame­r Abrechnung und Patientenk­artei.

Medizinisc­hes Versorgung­szentrum (MVZ): Ärztlich geleitete Einrichtun­g, in der Freiberufl­er und/oder Angestellt­e arbeiten.

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FOTO: HERBERT GUTH Johannes Stäbler

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