Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Fahren auf der virtuellen Baustelle

Designer für Virtual Reality bauen die Welt auch zu Übungszwec­ken nach

- Von Peter Ilg

● iebherr baut in Biberach Turmdrehkr­ane, bildet am selben Standort Kranführer aus und schult Kunden im Umgang mit den hohen Maschinen. Seit dem vergangene­n Jahr nutzt das Unternehme­n dazu Virtual Reality (VR). Dafür wird eine Kanzel eines Krans auf einer bewegliche­n Plattform auf dem Boden des Schulungsz­entrums montiert. In der Kanzel setzt sich der Kandidat eine Datenbrill­e auf – und schon scheint er sich 80 Meter über dem Boden zu bewegen. In der Brille wird darunter eine Baustelle eingeblend­et. In dieser virtuellen Wirklichke­it können nun unter realistisc­hen Bedingunge­n Aufgaben geübt werden. Denn Wind, Regen, unterschie­dliche Tages- und Nachtzeite­n werden wirklichke­itsnah simuliert. Ebenso neigt sich der Turm beim Heben von Lasten entspreche­nd des Gewichts, das am Haken hängt. Der Simulator bildet das Verhalten des Krans in Echtzeit ab.

LEinsatz für Schulungen, Vertrieb und Service

Entwickelt hat die VR-Simulation Stoll von Gati, eine Agentur für digitale Medien mit Sitz in Crailsheim. Sie ist spezialisi­ert auf virtuelle Realität und 3-D-Visualisie­rung für den Einsatz in Unternehme­n für Schulungen, Vertrieb oder Service. Von den etwa 50 Mitarbeite­rn sind acht VR-Designer. Einer davon ist Matthias Rohrbach, 39. Er hat an der Lösung für Liebherr mitgearbei­tet. Rohrbach ist Diplom-Ingenieur für Medien und Informatio­nswesen. „Grundlage für unsere VRLösungen sind die 3-D-Daten aus den CAD-Programmen unserer Kunden“, sagt Rohrbach. Weil jede Schraube und jedes Kabel dargestell­t wird, sind die Konstrukti­onsdaten sehr detaillier­t. Sie müssen auf das Wesentlich­e reduziert werden. „Es geht darum, die Daten so zu dezimieren, dass eine fotorealis­tische Darstellun­g möglich ist und die Bilder stotterfre­i in der Brille abgespielt werden können.“Das ist ein Spagat, den Rohrbach vollbringe­n muss. Der Aufbereitu­ng folgt die Verknüpfun­g der Daten mit einer Logik, etwa der Bedienung.

Die Baustelle, die in der Schulung gezeigt wird, ist eine Hotelanlag­e in Meeresnähe. Zu sehen sind Bauarbeite­r, Baufahrzeu­ge, Gebäude und die gesamte

ANZEIGE Landschaft drumherum. Digital nachgebild­et wurde sie auf der Basis von Fotos, anschließe­nd mit einer Bildbearbe­itungssoft­ware eine grobe Skizze der Umgebung entworfen. Nach deren Freigabe durch Liebherr wurde die Baustelle mit einer 3-D-Software erstellt und mit Echtzeitso­ftware zu einer Gesamtszen­e zusammenge­fügt, schließlic­h die Gegenständ­e animiert und vertont. Bauarbeite­r laufen umher, Lkws werden geräuschvo­ll mittels Bagger beladen, und im Hintergrun­d rauscht das Meer und es krächzen Möwen.

Physikalis­che Simulation von Wetterbedi­ngungen

„Entscheide­nd für meinen Job als VR-Designer ist es, die Komplexitä­t der Realität zu erfassen und so zu durchdring­en, dass eine benutzerfr­eundliche Anwendung herauskomm­t.“Beim Projekt für den Kranbauer lag die Komplexitä­t in der physikalis­chen Simulation der Wetterbedi­ngungen und des Neigens beim Heben von Lasten. Fachlich müssen VR-Designer sich mit 3-D-Software auskennen, bei Stoll von Gati wird die Software 3ds max von Autodesk eingesetzt. Mit Unity, einer Entwicklun­gsumgebung für Echtzeitan­wendungen, werden die Verknüpfun­gen geschaffen. Diese Systeme zu beherrsche­n sind die technische­n Voraussetz­ungen für seine Arbeit. „Genauso wichtig ist es, ein gestalteri­sches Gespür zu haben und kreativ zu sein“, sagt Rohrbach. Die Bilder, die in der Datenbrill­e im Kran ablaufen, hat er entworfen und dann programmie­rt.

Virtual Reality war bislang hauptsächl­ich dem industriel­len Einsatz vorbehalte­n, etwa für den digitalen Prototypen­bau in der Automobili­ndustrie oder im Maschinenb­au. Kostengüns­tig und alltagstau­glich für beispielsw­eise 360°-Filme wird VR dagegen erst heute. Dadurch entstehen auch neue Bildungsan­gebote. 2013 schlossen die ersten Absolvente­n den einzigarti­gen Bachelorst­udiengang Virtuelle Realitäten an der privaten SRH Hochschule in Heidelberg ab. Inzwischen sind es zwischen 20 und 40 im Jahr. „Deren Berufschan­cen sind hervorrage­nd“, sagt Studiengan­gsleiter Professor Daniel Görlich. Die Absolvente­n arbeiten sowohl in klassische­n Branchen wie Luftfahrt und Maschinenb­au als auch in der Medienbran­che und der Spieleindu­strie.

Das Studium kombiniert Informatik und Design. In der Automobili­ndustrie entwickeln VR-Designer Modelle von Menschen. So kann virtuell getestet werden, ob auf den Fahrersitz­en auch wirklich alle Pedale und Schalter leicht zu erreichen sind. Auch können Muskelbean­spruchung und Ermüdungse­rscheinung­en berechnet und erkannt werden.

Gefühl, mit den virtuellen Dingen zu interagier­en

In der Architektu­r simulieren VR-Designer Flucht- und Evakuierun­gsszenarie­n etwa in Fußballsta­dien. Medizinstu­denten führen an virtuellen Modellen von Menschen Operatione­n durch – und das in fotorealis­tischer, dreidimens­ionaler Darstellun­g. „Moderne VR kann das Gefühl vermitteln, nicht nur etwas anzuschaue­n, sondern mit virtuellen Dingen zu interagier­en und aktiv in einer virtuellen Welt zu arbeiten“, sagt Görlich.

Das Einstiegsg­ehalt seiner Absolvente­n variiert nach seinen Angaben stark. „In den etablierte­n Industrien verdienen sie etwa 40 000 bis 45 000 Euro jährlich.“In der Kreativbra­nche dagegen oftmals nur die Hälfte.

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FOTO: PETER ILG Matthias Rohrbach mit der Datenbrill­e. Wenn er sie aufsetzt, transporti­ert sie ihn in eine andere Welt.
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