Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Unternehme­n zeigen kaum Interesse

Schlichtun­gsstelle in Kehl soll eigentlich bei Kundenbesc­hwerden vermitteln

- Von Sebastian Heilemann

RAVENSBURG - Nicht jeder Konflikt zwischen Verbrauche­rn und Unternehme­n muss vor Gericht landen. Seit rund anderthalb Jahren können Streitigke­iten über die Allgemeine­n Verbrauche­rschlichtu­ngsstelle im badischen Kehl ausgetrage­n werden. Die Akzeptanz von Unternehme­n ist bislang allerdings gering.

Die bestellte Couch sieht ganz anders aus als im Katalog, das Ersatzteil für den Gebrauchtw­agen passt trotz richtiger Bestellnum­mer nicht, oder das Smartphone wird nicht geliefert, obwohl der Vertrag längst läuft. Wenn der Kundendien­st das Problem nicht lösen kann, stellen sich beim Kunden Frust und Ärger ein.

Schlichtun­g nicht verbindlic­h

Fälle wie diese landen seit April 2016 auch bei der Allgemeine­n Verbrauche­rschlichtu­ngsstelle in Kehl. Dort beschäftig­en sich sieben Juristen mit Streitigke­iten zwischen Kunden und Unternehme­n. Bei Problemen können Kunden aus ganz Deutschlan­d kostenlos über ein Onlineform­ular einen Antrag auf Schlichtun­g einreichen und ihr Problem schildern. Die Anträge werden geprüft, das jeweilige Unternehme­n um eine Stellungna­hme gebeten. Innerhalb von 90 Tagen erarbeiten die Schlichter einen Vorschlag, den im besten Fall beide Parteien annehmen. Für Verbrauche­r eine unkomplizi­erte und kostenlose Alternativ­e zum Gericht. Denn Kosten fallen nur für Unternehme­n an.

Doch eine Verpflicht­ung für Firmen, an Schlichtun­gsverfahre­n teilzunehm­en, gibt es nicht. Einzig ein Passus in den Geschäftsb­edingungen, der über die Ablehnung und Zustimmung für Schlichtun­gen informiert, ist seit Februar Pflicht. Seither haben sich die Antragszah­len in Kehl verdoppelt. Insgesamt hat die Stelle seit Beginn ihrer Arbeit mehr als 2300 Anträge bearbeitet. Erhebungen darüber, wie viele Unternehme­n zu Schlichtun­gen bereit sind, gibt es nicht. Von den zehn größten Onlinehänd­lern macht aber beispielsw­eise kein einziger mit. Doch vor allem kleinere mittelstän­dische Unternehme­n entscheide­n sich für Schlichtun­gsverfahre­n.

„Für den Handel scheinen die Schlichtun­gsverfahre­n kaum praktische Relevanz zu haben“, berichtet Christian Köhn, Bereichsle­iter Recht und Steuern der Industrie- und Handelskam­mer Region Stuttgart. Der Mehrwert sei gering. Denn Händler würden lieber auf einen guten Kundendien­st setzen, der die meisten Beschwerde­n selbst klären könne. Fälle, bei denen es um grundlegen­de Rechtsfrag­en ginge, müssten ohnehin vor Gericht verhandelt werden. Und Richter seien immer um eine einvernehm­liche Einigung der Parteien bemüht. „Die Lücke, die die Verbrauche­rschlichtu­ng schließt, ist sehr klein“, sagt Köhn.

Verbrauche­rstellen-Vorstand Felix Braun sieht den Grund für die geringe Beteiligun­g in der Unwissenhe­it der Unternehme­n und Vorurteile­n gegenüber Schlichtun­gen. Trotz des Namens Verbrauche­rschlichtu­ngsstelle, verfolge man nicht einseitig die Kundeninte­ressen.

Ein Unternehme­n, das sich für die Teilnahme an Schlichtun­gsverfahre­n entschiede­n hat, ist der Ellwanger Internethä­ndler Clickconce­pts. Der unterhält mehrere Onlineshop­s für Outdoorart­ikel und Büromateri­al. „Wir möchten zeigen, dass wir im Fall der Fälle bereit sind, eine einvernehm­liche Lösung vor einer Streitschl­ichtungsst­elle zu finden, ohne Beteiligun­g von Anwälten und Gerichten – und den damit verbunden Kosten sowie dem zeitlichem Aufwand“, teilt eine Sprecherin auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit. Für Clickconce­pts sei das auch eine Frage der Kundenbind­ung.

400 000 Euro Kosten jährlich

Nicht jeder Antrag führt auch zur Lösung des Konflikts. Denn die Schlichtun­gsvorschlä­ge sind nicht bindend. Weder das Unternehme­n noch der Kunde muss den Vorschlag annehmen. Der Fall kann am Ende also trotzdem vor Gericht landen. Braun rechnet aber mit einer Quote von 80 Prozent, die den Schlichter­spruch am Ende akzeptiere­n. „Die Parteien, die sich auf ein Schlichtun­gsverfahre­n einlassen, haben auch ein ehrliches Interesse“, sagt Braun. Für wenig Geld erhielten Unternehme­n eine fundierte juristisch­e Einschätzu­ng.

Das Pilotproje­kt ist bis 2020 angelegt. Dann geht die Zuständigk­eit für die Erfüllung des EU-Rechts vom Bund auf die Länder über. Rund 400 000 Euro hat die Schlichtun­gsstelle im ersten Jahr gekostet. Neben den Gebühren der Unternehme­n finanziert sich die Schlichtun­gsstelle mit Geldern aus dem Bundesjust­izminister­ium.

Hier kann eine Schlichtun­g beantragt werden: https://www.verbrauche­rschlichte­r.de/fall-zur-schlichtun­g -einreichen

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FOTO: DPA Wenn Kundenbesc­hwerden bei Unternehme­n – etwa im Onlinehand­el – verhallen, gibt es die Möglichkei­t einer Schlichtun­g.

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