Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Unternehmen zeigen kaum Interesse
Schlichtungsstelle in Kehl soll eigentlich bei Kundenbeschwerden vermitteln
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RAVENSBURG - Nicht jeder Konflikt zwischen Verbrauchern und Unternehmen muss vor Gericht landen. Seit rund anderthalb Jahren können Streitigkeiten über die Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle im badischen Kehl ausgetragen werden. Die Akzeptanz von Unternehmen ist bislang allerdings gering.
Die bestellte Couch sieht ganz anders aus als im Katalog, das Ersatzteil für den Gebrauchtwagen passt trotz richtiger Bestellnummer nicht, oder das Smartphone wird nicht geliefert, obwohl der Vertrag längst läuft. Wenn der Kundendienst das Problem nicht lösen kann, stellen sich beim Kunden Frust und Ärger ein.
Schlichtung nicht verbindlich
Fälle wie diese landen seit April 2016 auch bei der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle in Kehl. Dort beschäftigen sich sieben Juristen mit Streitigkeiten zwischen Kunden und Unternehmen. Bei Problemen können Kunden aus ganz Deutschland kostenlos über ein Onlineformular einen Antrag auf Schlichtung einreichen und ihr Problem schildern. Die Anträge werden geprüft, das jeweilige Unternehmen um eine Stellungnahme gebeten. Innerhalb von 90 Tagen erarbeiten die Schlichter einen Vorschlag, den im besten Fall beide Parteien annehmen. Für Verbraucher eine unkomplizierte und kostenlose Alternative zum Gericht. Denn Kosten fallen nur für Unternehmen an.
Doch eine Verpflichtung für Firmen, an Schlichtungsverfahren teilzunehmen, gibt es nicht. Einzig ein Passus in den Geschäftsbedingungen, der über die Ablehnung und Zustimmung für Schlichtungen informiert, ist seit Februar Pflicht. Seither haben sich die Antragszahlen in Kehl verdoppelt. Insgesamt hat die Stelle seit Beginn ihrer Arbeit mehr als 2300 Anträge bearbeitet. Erhebungen darüber, wie viele Unternehmen zu Schlichtungen bereit sind, gibt es nicht. Von den zehn größten Onlinehändlern macht aber beispielsweise kein einziger mit. Doch vor allem kleinere mittelständische Unternehmen entscheiden sich für Schlichtungsverfahren.
„Für den Handel scheinen die Schlichtungsverfahren kaum praktische Relevanz zu haben“, berichtet Christian Köhn, Bereichsleiter Recht und Steuern der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart. Der Mehrwert sei gering. Denn Händler würden lieber auf einen guten Kundendienst setzen, der die meisten Beschwerden selbst klären könne. Fälle, bei denen es um grundlegende Rechtsfragen ginge, müssten ohnehin vor Gericht verhandelt werden. Und Richter seien immer um eine einvernehmliche Einigung der Parteien bemüht. „Die Lücke, die die Verbraucherschlichtung schließt, ist sehr klein“, sagt Köhn.
Verbraucherstellen-Vorstand Felix Braun sieht den Grund für die geringe Beteiligung in der Unwissenheit der Unternehmen und Vorurteilen gegenüber Schlichtungen. Trotz des Namens Verbraucherschlichtungsstelle, verfolge man nicht einseitig die Kundeninteressen.
Ein Unternehmen, das sich für die Teilnahme an Schlichtungsverfahren entschieden hat, ist der Ellwanger Internethändler Clickconcepts. Der unterhält mehrere Onlineshops für Outdoorartikel und Büromaterial. „Wir möchten zeigen, dass wir im Fall der Fälle bereit sind, eine einvernehmliche Lösung vor einer Streitschlichtungsstelle zu finden, ohne Beteiligung von Anwälten und Gerichten – und den damit verbunden Kosten sowie dem zeitlichem Aufwand“, teilt eine Sprecherin auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mit. Für Clickconcepts sei das auch eine Frage der Kundenbindung.
400 000 Euro Kosten jährlich
Nicht jeder Antrag führt auch zur Lösung des Konflikts. Denn die Schlichtungsvorschläge sind nicht bindend. Weder das Unternehmen noch der Kunde muss den Vorschlag annehmen. Der Fall kann am Ende also trotzdem vor Gericht landen. Braun rechnet aber mit einer Quote von 80 Prozent, die den Schlichterspruch am Ende akzeptieren. „Die Parteien, die sich auf ein Schlichtungsverfahren einlassen, haben auch ein ehrliches Interesse“, sagt Braun. Für wenig Geld erhielten Unternehmen eine fundierte juristische Einschätzung.
Das Pilotprojekt ist bis 2020 angelegt. Dann geht die Zuständigkeit für die Erfüllung des EU-Rechts vom Bund auf die Länder über. Rund 400 000 Euro hat die Schlichtungsstelle im ersten Jahr gekostet. Neben den Gebühren der Unternehmen finanziert sich die Schlichtungsstelle mit Geldern aus dem Bundesjustizministerium.
Hier kann eine Schlichtung beantragt werden: https://www.verbraucherschlichter.de/fall-zur-schlichtung -einreichen