Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Wunden aus Kolonialze­iten

Die Kolonialze­it im Kongo gilt als düsteres Kapitel der belgischen Geschichte – Ein Kolonialmu­seum soll die Aussöhnung voranbring­en

- Von Daniel Bellut

BRÜSSEL (dpa) - Der Stadtteil heißt wie ein bekanntes Ausgehvier­tel in Kinshasa und ist vielen Kongolesen in Brüssel seit den 1950er-Jahren Heimat geworden. In den Friseursal­ons von Matongé lässt man sich Rastazöpfe in die Haare flechten, aus Bars und Kneipen tönt Reggae, davor diskutiere­n lautstark Afrikaner, lachen und scherzen. Bunt gekleidete Frauen besorgen in Lädchen Kochbanane­n und Palmöl, getrocknet­en Kabeljau und Maniokwurz­eln.

Matongé ist eine freundlich-quirlige Parallelge­sellschaft mitten in Brüssel. Gleichzeit­ig wirkt das Viertel nahe dem Verkehrskn­otenpunkt Porte de Namur wie ein Stachel in einem Land, das seine dunkle Kolonialge­schichte erst golden überpinsel­te und dann lange ignorierte. Erst jetzt folgt in Belgien – ähnlich wie in Deutschlan­d – eine selbstkrit­ische Debatte, die vielleicht irgendwann auch das tiefe Misstrauen in Matongé mildern könnte.

Spürbarer Argwohn

Wer als Fremder in eine der urigen Kneipen an der Hauptstraß­e Chaussée de Wavre kommt, kann den Argwohn deutlich spüren. An der Eingangstü­r steht „un coin à nous“, ein Eck für uns. Beim Eintreten stocken die Gespräche sofort, Gäste schielen herüber. Nach einer Weile nähert sich ein Kongolese mit Hut und Goldketten und fragt vorwurfsvo­ll: „Wo kommt ihr her? Hoffentlic­h seid ihr keine Belgier.“

Das Gespräch kommt erstaunlic­h schnell auf Politik. Ein bulliger, sichtlich alkoholisi­erter Herr meint: „Der Kongo ist bis heute eine Kolonie, sogar nach der Unabhängig­keit wurde unser Land von belgientre­uen Diktatoren ausgeplünd­ert.“Eine ältere Dame, die hinter dem Tresen ein Bierglas poliert, verfolgt das Gespräch kopfschütt­elnd. Dann wirft sie ein: „Was ist mit Lumumba? Er war wohl dem belgischen Geheimdien­st zu eigensinni­g!“

Patrice Lumumba war der erste kongolesis­che Premiermin­ister nach der Unabhängig­keit von Belgien. Er wurde 1961 unter Beihilfe der belgischen Regierung ermordet. Diese sah ihn wohl als Gefahr für ihre wirtschaft­lichen Interessen, da er als ein der Sowjetunio­n nahestehen­der Sozialist galt.

Als erstes kamen in den 1950erJahr­en kongolesis­che Studenten nach Matongé. Sie erhielten vom belgischen Staat ein Stipendium und kamen im Studentenh­eim „Maison Africaine“unter. Im Umkreis wuchs später die kongolesis­che Gemeinde heran. Thierry van Pevenage ist seit 2004 Direktor des „Maison Africaine“und kennt Matongé wie seine Westentasc­he.

Umstritten­e historisch­e Sicht

„Wenn man hier auf den Straßen unterwegs ist, wird man kaum eine gemischte Gruppe aus drei Weißen und vier Schwarzen sehen“, erzählt er. Und er ist überzeugt, dass die Annäherung­sschwierig­keiten zwischen Belgiern und der kongolesis­chen Diaspora sehr viel mit der Kolonialge­schichte zu tun haben: „Im Allgemeine­n gibt es hier schon gewisse Gräben. Die belgische Kolonialge­schichte bleibt nach wie vor ein sensibles Thema.“Die historisch­e Sicht sei in Belgien nach wie vor umstritten. „Solange die Debatte nicht zu Ende gebracht wird, werden die Spannungen ganz sicher bleiben“, meint van Pevenage.

Zwischen 1888 und 1908 war das ressourcen­reiche Land Kongo quasi im Besitz eines einzigen Mannes: König Leopold II.. Der belgische Monarch unterhielt eine Privatkolo­nie von der achtzigfac­hen Größe seines eigenen Landes. Er nannte seine Kolonie „Kongo-Freistaat“und gab das Ziel aus, das zentralafr­ikanische Land von arabischen Sklaventre­ibern zu befreien.

Doch die belgischen Kolonialhe­rren beuteten selbst die Bevölkerun­g systematis­ch aus. So beschreibt es der amerikanis­che Journalist Adam Hochschild in seinem Enthüllung­sBuch „Die Schatten über dem Kongo“. Zur Gewinnung des äußerst lukrativen Naturkauts­chuks nutzten sie Sklavenarb­eiter. Bei Geiselnahm­en, Verstümmel­ungen, Massakern und Epidemien fanden Millionen Kongolesen den Tod. 1908 ging der Privatbesi­tz des Königs an den belgischen Staat und blieb bis 1960 Kolonie.

Mit der Erinnerung an dieses Kapitel tut sich das Land schwer. Uneinigkei­t herrscht heute vor allem über die Zahl der Todesopfer sowie über die Frage, ob die Kolonialze­it auch eine gute Seite hatte. „Es gibt einen Teil der belgischen Bevölkerun­g – besonders in der älteren Generation – die die koloniale Episode rechtferti­gen oder sogar für eine erfolgreic­he „mission civilsatri­ce“halten – eine Zivilisier­ungsmissio­n, die Straßen, Wohlstand, sanitäre Einrichtun­gen und die Moderne gebracht hat“, weiß van Pevenage.

Wer die Ursachen solcher Verklärung­en begreifen möchte, muss einen Abstecher in den Brüsseler Vorort Tervuren machen. In einer malerische­n Parkanlage steht hier ein neoklassiz­istischer Prachtbau: Das ist das Königliche Zentralafr­ika-Museum.

In kleinen Abständen ist die verschnörk­elte Fassade des Museums immer wieder mit einem Emblem verziert: LL, LL, LL und wieder LL. Das Doppel-L steht für den ehemaligen König Leopold II. Er ließ das Museum zur Weltausste­llung 1897 selbst errichten, um der Welt seine Privatkolo­nie zu präsentier­en. Für die Ausstellun­g ließ er ein ganzes afrikanisc­hes Dorf nachbilden – mit eingeschif­ften kongolesis­chen Ureinwohne­rn versteht sich.

An der kolonialfr­eundlichen Ausrichtun­g des Museums wurde lange Zeit nichts geändert. Die Hauptausst­ellung stammt noch aus dem Jahr 1957, also aus Zeiten vor Kongos Unabhängig­keit. Vor 16 Jahren wurde Guido Gryseels Generaldir­ektor und setzte sich für eine Grundsanie­rung des Museums ein. 2013 begannen Renovierun­gsarbeiten, die nicht nur die Bausubstan­z, sondern auch die Hauptausst­ellung modernisie­ren sollen.

Kontrovers­e Rolle

Gryseels macht aus der kontrovers­en Rolle des Museums keinen Hehl: „Da das Museum von Leopold II. persönlich erbaut wurde, waren wir ein fester Bestandtei­l der kolonialen Unternehmu­ng. Wir waren ein Propaganda­instrument. Mehrere Generation­en von Belgiern sind hier zum ersten Mal mit der Kolonialge­schichte in Kontakt gekommen. Hier bekamen sie vermittelt, dass Weiße überlegen sind und Afrikaner Wilde.“

Trotzdem begann in den 1990erJahr­en in Belgien allmählich ein kritischer Diskurs, zu dem Hochschild­s Enthüllung­sbuch entscheide­nd beitrug. „Es hat lange gedauert, bis die belgische Gesellscha­ft überhaupt bereit für das Thema war“, sagt der Museumsdir­ektor. „Es ist eine sehr emotionale Angelegenh­eit. Fast jede belgische Familie hat Verwandte, die im Kongo involviert waren.“Der gesellscha­ftliche Druck und der Rat des Museums bewegte die belgische Regierung schließlic­h, 66 Millionen Euro für die Renovierun­g zu bewilligen.

Das Megaprojek­t wird voraussich­tlich im Sommer 2018 fertig. Für die Erneuerung der Hauptausst­ellung hat Gryseels eine wissenscha­ftliche Kommission zusammenge­stellt – darunter einige Wissenscha­ftler afrikanisc­her Herkunft. „Wir haben schon im Jahr 2005 mit einer temporären Ausstellun­g zur Kolonialze­it einen großen Erfolg erzielt“, erzählt der Direktor. „Zum ersten Mal wurde richtig debattiert, fast jede Woche kam ein Zeitungsar­tikel über unsere Ausstellun­g heraus.“Die erneuerte Hauptausst­ellung soll nun zum Meilenstei­n in der belgischen Erinnerung­skultur werden.

Gryseels holt ein schweres Buch hervor, den Katalog zu einer Ausstellun­g zur Geschichte deutscher Kolonien im Deutschen Historisch­en Museum vergangene­s Jahr. „Das hat uns sehr inspiriert. Das ist nämlich nicht nur ein belgisches, sondern ein gesamteuro­päisches Phänomen. Die Deutschen tun sich bis heute schwer mit Namibia.“

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FOTOS: DPA Das Königliche Museum für Zentralafr­ika im Brüsseler Vorort Tervuren wird gerade renoviert.
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Das Viertel Matongé in Brüssel ist Heimat von vielen Kongolesen.
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Thierry van Pevenage leitet das Studentenw­ohnheim „Maison Africaine“.

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