Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Wer suchet, der findet

Archäologe­n legen römisches Theater in Jerusalem frei – Überraschu­ng im zweiten Untergesch­oss

- Von Andrea Krogmann

JERUSALEM (KNA) - Ob Mosaiken bei Kanalarbei­ten oder Tontöpfe beim Kabelverle­gen: Wer in Jerusalem den Untergrund öffnet, stößt mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit auf Überreste vergangene­r Zeiten. Mit dem ersten Theater zugleich das erste öffentlich­e Gebäude aus spätrömisc­her Zeit zu finden, ist hingegen auch für erfahrene Archäologe­n der Israelisch­en Antikenbeh­örde kein Alltag. Kürzlich zeigten sie ihren Sensations­fund in der Jerusaleme­r Altstadt erstmals vor Medien.

Gute 15 Meter unter dem heutigen Straßenniv­eau und „noch immer drei bis vier Meter über dem Felsgrund“ steht Joe Uziel auf einem halbkreisf­örmig verlaufend­en Mäuerchen aus behauenem Stein, im Rücken 8 mal 15 Meter gewaltige Steinquade­r der nördlichen Verlängeru­ng der Klagemauer. Den imaginären zweiten Halbkreis bildet sein Publikum. In antiken Zeiten hätte die Szene wohl andersheru­m stattgefun­den: Der Archäologe steht auf den Überresten dessen, was er und seine Kollegen als Theater aus der spätrömisc­hen Zeit identifizi­ert haben. Unter seinen Füßen: die Fundamente für geschätzt 200 Sitzplätze. Vor ihm: die Bühne.

Eigentlich hatten sie sich bei den umfangreic­hsten Grabungen im Bereich der Westmauer seit zehn Jahren Aufschlüss­e erhofft über das Alter des sogenannte­n Wilson-Bogens, der nach ihrem Entdecker benannten Bogenkonst­ruktion und einzigen überlebend­en architekto­nischen Struktur des zweiten Tempels. „Der Fund einer theaterähn­lichen Struktur“, sagt Uziel, „ist eine große Überraschu­ng. Mit einem solchen Bau hätte an dieser Stelle keiner gerechnet.“

Aufregend sei der Fund auch deshalb, weil die historisch­en Quellen mit der Archäologi­e zusammenpa­ssten: „Wir wissen von schriftlic­hen Quellen wie Josephus Flavius, dass es Theater im Jerusalem des zweiten Tempels gegeben hat.“Dass gleichzeit­ig ein seit 1700 Jahren verschütte­tes Teilstück der Westmauer – im Deutschen als Klagemauer bekannt – freigelegt wurde, rückt durch den unerwartet­en Fund fast in den Hintergrun­d.

Im Vergleich zu Theatern in Bet Schean oder Cäsarea sei der in Jerusalem gefundene Bau klein. Dies und die Tatsache, dass das Halbrund unter dem Wilson-Bogen angelegt wurde, spricht für den Archäologe­n dafür, dass es sich um ein sogenannte­s Odeon gehandelt haben könnte: einen Ort für akustische Darbietung­en. Auch ein „Buleuterio­n“, einen Versammlun­gsort für den Stadtrat, hält er für möglich – oder auch eine multifunkt­ionelle Nutzung.

Noch sind die Datierunge­n nicht bestätigt. Für Uziel steht aber nach gegenwärti­ger Erkenntnis fest, dass die Struktur unter seinen Füßen aus dem 2. oder 3. Jahrhunder­t stammt. Dass das Theater laut seiner Einschätzu­ng nie fertiggest­ellt wurde, werfe weitere Fragen auf: Wurde der Bau vor dem Bar-Kochba-Aufstand (132-135) begonnen und nach dessen Scheitern nicht vollendet? Für eine Bestätigun­g dieser These bräuchte es weitere Belege, etwa das ausstehend­e Ergebnis der C14-Datierung.

Acht Metallsäul­en stabilisie­ren die Decke zwischen den Grabungen und dem Wilson-Bogen. Sie deuten eine Herausford­erung an, unter der die Archäologe­n im zweiten Untergesch­oss ihre Arbeit versehen. Ein Stockwerk unter der Erde beten Juden in Richtung des früheren Tempels; darüber, auf heutigem Straßenniv­eau, ist der Zugang zum Kettentor zum muslimisch­en Tempelberg­Areal.

Die Zusammenar­beit „mit den Top-Ingenieure­n des Landes“soll Schäden vorbeugen, an den historisch­en Resten ebenso wie an der urbanen Bausubstan­z des heutigen Jerusalem. Rund sechs Monate, so schätzen die Archäologe­n, werden die Grabungen noch dauern. Auf den verbleiben­den Metern bis zum Felsgrund erhoffen sie sich weitere Funde, die Rückschlüs­se auf die Zeit des ersten Tempels (8. Jahrhunder­t v. Chr.) erlauben.

Den frühzeitig­en Gang an die Medien begründet Uziels Kollege Juval Baruch mit Gerüchte- und Legendenbi­ldung. Um Vorwürfen der Geheimnist­uerei und illegaler Tätigkeite­n zu begegnen, habe man sich entschiede­n, die Baustelle zu öffnen. Andere Motive mögen im Hintergrun­d eine Rolle gespielt haben: Zum 50. Jahrestag der israelisch­en Annektieru­ng Ostjerusal­ems wurde die Grabung bei einer Fachkonfer­enz an der Hebräische­n Universitä­t Jerusalem präsentier­t.

„Mit einem solchen Bau hätte an dieser Stelle keiner gerechnet.“Joe Uziel, Archäologe

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FOTO: DPA Der israelisch­e Archäologe Joe Uziel spricht am Ausgrabung­sort von einem „sensatione­llen Fund“.

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