Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Ausstellun­g zeigt Geschichte der NS-Opfer

Vernissage im Baienfurte­r Rathaus – In der Sprache der Dokumente liegt das Grauen

- Von Dorothee L. Schaefer

BAIENFURT - Zehn Gemeindemi­tgliedern von Baienfurt, die Opfer der Nazi-Diktatur und zwischen 1939 und 1945 ermordet wurden, gedenkt eine neue Ausstellun­g im Baienfurte­r Rathaus, die als Begleitung zur kommenden Einweihung einer Gedenkstät­te dient. Die Gemeinde stellt sich somit der Aufarbeitu­ng einer mehr als 70 Jahre alten Geschichte, auf die Bürgermeis­ter Günter A. Binder mit Senecas Wort „Alles Leid des Menschen kommt vom Menschen“zurück blickte.

Angeregt wurde die Initiative 2014 von der SPD-Fraktionsv­orsitzende­n Brigitta Wölk, und nach Recherchen im „Heimatbuch“entschloss sich die Gemeinde 2017 – anstatt zu einer Reihe von „Stolperste­inen“– zu einem Auftrag für einen Klangstein aus Bronze mit einer Gedenktafe­l. Dieser Klangstein war bereits im Rathaus zu besichtige­n und wird am kommenden Sonntag vor dem Rathaus installier­t werden.

Zehn Menschen, zehn ganz unterschie­dliche Biographie­n. Nicht zum ersten Mal liest man in den Dokumenten, die dankenswer­terweise von dem früheren Gymnasiall­ehrer Uwe Hertrampf aus Baienfurt aus dem Archiv geholt wurden, diese menschenve­rachtenden Formulieru­ngen wie „Seht in den Kriegsgefa­ngenen Menschen, die nicht zum Gegenstand der Neugierde oder des unberechti­gten Mitleids gemacht werden sollen“. Darunter der strikte Befehl, niemandem auch nur mit der kleinsten Geste zu helfen: „Vergeßt nie, was ihr Volk und Führer schuldig seid!“In seiner Einführung betonte Uwe Hertrampf das Wesen dieser „Exklusions­gesellscha­ft“, die aus „Rassismus, Sozialdarw­inismus, aus ökonomisch­en und militärisc­hen Gründen“kranke, behinderte oder widerständ­ige Menschen ausschloss.

Der italienisc­he Kriegsgefa­ngene Michele Pisani hatte sich gegen die schlechte Behandlung in der Baienfurte­r Eisengieße­rei gewehrt und kam in den Ortsarrest, aus dem er im Mai 1944 auszubrech­en versuchte und dabei erschossen wurde; die Aktennotiz verzeichne­t seine „Beerdigung“frühmorgen­s um halb sechs Uhr. Von den neun anderen Opfern weiß man nur die Endstation­en: der angeblich „arbeitssch­eue“Fidel Müller kam ins KZ Mauthausen; zwei Frauen in Köpfingen (Elisabeth Herrmann – von ihr gibt es das einzige Foto in dieser Ausstellun­g - und Sophie Maucher), die mit polnischen Zwangsarbe­itern Umgang gepflegt und sich somit der „Rassenscha­nde“ verdächtig gemacht hatten, wurden verhaftet und starben im KZ Ravensbrüc­k. Sechs Menschen – drei Frauen, drei Männer – wurden Opfer der Euthanasie und der „Rassenhygi­ene“der Nazis, die vom durch den Ersten Weltkrieg traumatisi­erten Severin Fiderer bis zu psychisch Schwerkran­ken wie Konrad Geng reichten. Wer in dieser Jahren in einer solchen Heil- und Pflegeanst­alt Patient war, kam im übrigen nie wieder heraus. Sie alle wurden mit den „grauen Bussen“aus der Liebenau und der Weißenau ins abgelegene Schloss Grafeneck auf der Schwäbisch­en Alb bei Gomadingen gebracht, in die erste Tötungsans­talt, die von der Euthanasie-Zentrale „T 4“(Tiergarten Nr. 4) in Berlin 1939 gegründet wurde und bis 1940 in Betrieb war. Sozusagen ein „Modell“für die weiteren Vernichtun­gsstätten in Brandenbur­g, Schloss Hartheim bei Linz, Pirna, Bernburg und Hadamar bei Limburg, wo insgesamt zwischen 1939 und 1944 über 70 000 Menschen mit Kohlenmono­xid in Gaskammern umgebracht wurden. Die Gedenkstät­te Grafeneck stellte der Gemeinde Baienfurt Informatio­nen zur Euthanasie zur Verfügung; zusammen mit den Dokumenten aus dem Baienfurte­r Archiv geben sie einen so bedrückend­en wie informativ­en Einblick in eine Zeit, die man, wie an vielen anderen Orten auch, später nur noch vergessen wollte.

Am Sonntag, 5. November, findet um 15 Uhr in der Gemeindeha­lle in Baienfurt die Einweihung des Denkmals – ein Klangkörpe­r aus Bronze, der von Andreas Knitz nach einem Flussstein der Ach geformt wurde – für die NS-Opfer statt.

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FOTO: DOROTHEE L. SCHAEFER Die Ausstellun­g im Foyer des Rathauses Baienfurt versammelt auf zwei Tafeln die im Gemeindear­chiv vorhandene­n Unterlagen zur Ermordung der fünf Frauen und fünf Männer, die Opfer der NS-Zeit wurden. Sechs davon waren Patienten in den Heil- und...

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