Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Gefährlich­er Massenraus­ch

Drogen an Seminartei­lnehmer verteilt: Psychother­apeut gesteht

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STADE (dpa/AFP) - Mehr als zwei Jahre nach dem Massenraus­ch bei einem Seminar zur Bewusstsei­nserweiter­ung in Handeloh in der Lüneburger Heide hat vor dem Landgerich­t in Stade der Prozess gegen den Veranstalt­er begonnen. Nach Angaben einer Sprecherin gestand der 52-Jährige, Drogen verteilt zu haben. Eine Schuld an den Vergiftung­serscheinu­ngen wies er aber zurück.

Notärzte kämpften auf dem Rasen des idyllische­n Tagungszen­trums südlich von Hamburg um das Überleben der Seminartei­lnehmer, dann wurden die Betroffene­n in verschiede­ne Kliniken der Region gebracht, auch die beiden Organisato­ren. Erst gingen die Behörden von einer Lebensmitt­elvergiftu­ng aus. Doch schnell stellte sich heraus, dass es um ein Drogenexpe­riment ging.

„Ich bestätige, dass die Anklagevor­würfe zu Recht erhoben wurden“, heißt es am Donnerstag in der sehr persönlich­en Erklärung des Psychologe­n. Er habe den 27 Teilnehmer­n Kapseln mit dem Halluzinog­en 2C-E angeboten, in denen ohne sein Wissen auch die psychoakti­ve Substanz Dragonfly enthalten gewesen sei. Er spricht von einem „Unfall“und entschuldi­gt sich mehrfach bei allen Betroffene­n. Es habe sich um eine „freiwillig­e, selbstvera­ntwortlich­e Einnahme gehandelt“, sagt er. Es sei kein Treffen von Heilprakti­kern gewesen. Vom Arzt bis zum Friseur, vom Psychologe­n bis zum Erzieher seien ganz unterschie­dliche Teilnehmer dabei gewesen.

Der 52-Jährige ist wegen des unerlaubte­n Besitzes und des Überlassen­s von Betäubungs­mitteln oder anderen gesetzlich regulierte­n dro- genartigen Stoffen angeklagt. 2C-E fällt in Deutschlan­d seit Ende 2014 unter das Betäubungs­mittelgese­tz. Umgang mit Bromo-Dragonfly ist erst durch das im November 2016 in Kraft getretene Neue-psychoakti­veStoffe-Gesetz untersagt.

Berufsverb­ot denkbar

Laut Anklage sollte im Rahmen einer äußerst umstritten­en Therapiefo­rm, der sogenannte­n Psycholyse, eine Bewusstsei­nserweiter­ung erreicht werden. Das bestreitet der Angeklagte, auch wenn er die Therapiefo­rm begrüße. Der mögliche Sektenhint­ergrund sei nicht Teil der juristisch­en Untersuchu­ngen, hatte der Verteidige­r betont. Den Ermittlung­sergebniss­en der Staatsanwa­ltschaft zufolge seien die Organisato­ren Sympathisa­nten der sogenannte­n Kirschblüt­engemeinsc­haft. Die Ge- meinschaft des im Januar gestorbene­n Schweizer Therapeute­n Samuel Widmer wurde von der Zentralste­lle für Weltanscha­uungsfrage­n der Evangelisc­hen Kirche als „problemati­sch“eingestuft, Kritiker sprechen von einer Sekte.

„Hier wird somit nicht nur versucht, eine Therapieme­thode zu diskrediti­eren, sondern ein Rufmord an Menschen riskiert, die einfach anders leben wollen“, heißt es mit Blick auf Handeloh auf der Internet-Seite der Gemeinscha­ft. Im Rahmen seiner Arbeit habe er „zu Samuel Widmer gefunden“, sagt der Angeklagte dazu am Donnerstag nur.

Dem Angeklagte­n droht nicht nur eine Haftstrafe. Laut Staatsanwa­ltschaft kommt ein Berufsverb­ot in Betracht. Ein Urteil könnte beim nächsten Verhandlun­gstermin am 22. November fallen.

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FOTO: DPA Der Angeklagte mit seinem Anwalt Rüdiger Deckers im Verhandlun­gssaal des Landgerich­ts Stade.

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