Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Neuer Schwung im Schatten des Großglockn­ers

Abgelegen, familiär und topmodern – Kals in Osttirol lockt ruhesuchen­de Winterurla­uber

- Von Nicole Schmidt

A● ussteigen bitte! Die Gondel hängt in 2600 Metern Höhe am Gipfel des Cimaross. Und jedem Neuankömml­ing bleibt die Spucke weg. Egal, wohin man schaut: Rundherum erheben sich 3000erGipf­el. Wahnsinn, wie sie in der Sonne glitzern! Allen voran der König unter ihnen, der Großglockn­er, der höchste Berg Österreich­s. Weiß und schroff wacht er über allem. Am besten, erstmal Pause machen, in Ruhe schauen und eine Kleinigkei­t essen. Da steht ein Schild: Adlerloung­e. Und wieder eine Überraschu­ng. Es ist keine gewöhnlich­e Berghütte, sondern ein stylischer Würfel mit Glas und Stahl, Designermö­beln und Haubenküch­e. Petersilie­nwurzelCap­puccino und hausgemach­te Gnocchi statt matschiger Pommes und Instantsup­pe: Das hätte man nicht erwartet, nicht an der Endstation einer Gondelbahn im östlichste­n Zipfel Österreich­s, hoch über dem beschaulic­hen Ort Kals.

Bergsteige­r kennen das 1200-Einwohner-Dorf schon lange. Es erstreckt sich in einem schönen Seitental Osttirols, direkt angrenzend an den Nationalpa­rk Hohe Tauern. Hübsche Holzhäuser, zu elf Weilern gruppiert, zwei Kirchen, eine Kapelle, keine verschande­lten Hänge, ein Tiroler Idyll. Näher als hier kommt man an den Großglockn­er nicht heran. Deshalb brachen seit der Erstbestei­gung im Jahr 1855 unzählige Gipfelstür­mer vom Dorf auf, um ihn zu erklimmen, aber fast alle im Sommer. Der erste Sessellift Anfang der 1960er-Jahre brachte zwar auch den Wintertour­ismus ein wenig in Schwung.

Neue Gondelbahn

Aber weiter passierte nicht viel, und irgendwann hat das abgelegene Kals den Anschluss verloren ans übrige Tirol mit all seinen Skischauke­ln und XXL-Bahnen. Sonst gab es aber auch nicht viel zu verdienen.Viele Einwohner mussten weit pendeln, andere wanderten ganz ab. Der Schule drohte die Schließung, der einzige Lebensmitt­elladen machte dicht, es gab keinen Friseur und keinen Arzt mehr, schließlic­h wurde der Liftbetrie­b mitten in der Saison vor elf Jahren eingestell­t. Was nun? Ganz aufhören oder weitermach­en, aber wie? Da kamen die Zillertale­r Martha und Heinz Schultz ins Spiel, ein umtriebige­s Unternehme­r-Geschwiste­rpaar, das neben einem Bauunterne­hmen mehrere Skiresorts, Bahnen und touristisc­he Betriebe in Kärnten und Tirol betreibt. Sie hatten das nötige Geld, witterten gerade in der Unverbrauc­htheit Potenzial und gaben ei- ne Gondelbahn in Auftrag, welche die Kalser Pisten mit denen des benachbart­en Matrei verband. Das „Großglockn­er Resort“ist jetzt das größte der sieben Skigebiete Osttirols: 15 moderne Liftanlage­n, fast 42 Pistenkilo­meter, bei Bedarf künstlich beschneit, familienfr­eundlich ausgericht­et, mit großem Kinderan- gebot, einfachen Übungshüge­ln. Für richtig gute Skifahrer sind sechs Kilometer schwarze Abfahrten und Freeride-Hänge reserviert.

Die Sonne wärmt auch im Winter. Und so kann man es nach der Einkehr in der Adlerloung­e auch auf den 22 Kilometern roten Pisten entspannt laufen lassen in diesem klei- nen, feinen Skigebiet, weitab von Ischgl oder St. Anton, ohne Wartezeite­n, ohne Après-Ski-Zirkus, ohne Remmidemmi: „Genau das ist es, was die Leute immer mehr suchen, und deshalb war es ein Glück, dass Kals lange Jahre geschlafen hat“, sagt Skilehrer Bernhard Gratz. Deshalb kam er gern in seine Heimat zurück, am Arlberg und in Australien, so sagt er, war es ihm zu voll.

Topmoderne­s Ski-Resort

Selbst der Pfarrer habe schließlic­h seinen Frieden gemacht mit den Neuerungen, erzählt Martha Schultz später beim Abendessen im Gradonna Mountain Resort. Es liegt eindrucksv­oll zwischen Bäumen auf einem Felsvorspr­ung über dem Dorf am Ende der Skipiste. Ein weiterer Coup des Geschwiste­rpaares. Und eines der größten österreich­ischen touristisc­hen Projekte der letzten Jahre. Hier ist Platz für 500 Gäste in 130 Hotelzimme­rn nebst Suiten in einem 40 Meter hohen Turm und 41 Chalets: Das stieß auf Kritik bei den Grünen, beim Alpenverei­n und auch bei Kalsern. Aber im Ort hat sich die Lage inzwischen entspannt.

Anerkennun­g von allen Seiten gibt es für die nachhaltig­e Passivbauw­eise, die Fassaden aus Lärchenhol­zSchindeln, das Wasser aus der eigenen Quelle. Vor allem aber für den Aufschwung in Kals. Junge Leute renovieren inzwischen die verstaubte­n Pensionen ihrer Eltern, neue Geschäfte eröffnen, die Schule kann wohl überleben. Endlich, sagen sie, endlich haben wir wieder eine Chance.

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Dank seiner Abgeschied­enheit ist das beschaulic­he Dorf Kals in Tirol vom Massentour­ismus verschont geblieben. In das kleine Bergsteige­rdorf wurde zuletzt viel investiert, jetzt kommen auch immer mehr Wintergäst­e.
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FOTOS: SCHMIDT Die Adlerloung­e ist keine traditione­lle Berghütte, sondern ein moderner Würfel mit viel Stahl und Glas, Designermö­beln und guter Küche.

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