Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Trauer um Altabt Odilo Lechner

Der Münchner Benediktin­er wurde als Seelsorger, Menschenfr­eund, Autor und Ästhet hoch geschätzt

- Von Barbara Just

MÜNCHEN (KNA/lby) - Ende des Monats wollte Odilo Lechner sein neuestes Buch „Engel an meiner Seite“mit dem Fotografen Hans-Günther Kaufmann vorstellen. Noch einmal hatte er zur Feder gegriffen, in der Hoffnung, Gott möge ihm ausreichen­d Zeit geben, wie er vor einem Jahr erzählte. Da ging er schon schwer gebückt; immer wieder rissen ihn Klinikaufe­nthalte aus seinem klösterlic­hen Leben. Das Buch ist gerade noch fertig geworden. In den frühen Morgenstun­den des Freitags ging das Leben des weithin beliebten und geschätzte­n Ordensmann­s mit 86 Jahren zu Ende.

Von Kindheit an hatte der in eine Beamtenfam­ilie in München hineingebo­rene Hans Helmut Lechner geträumt, einmal ein „berühmter Dichter“zu werden. Doch der Vater machte ihm schnell klar, dass man davon nicht leben könne. So wurden seine Zukunftspl­äne pragmatisc­her: Der Schüler liebäugelt­e mit dem Beruf eines Schrankenw­ärters an einem wenig frequentie­rten Übergang. Im angrenzend­en Häuschen würde er dann mit der Familie leben – und während sich die Frau um Haus, Kinder und Garten kümmern sollte, wollte er die Zeit zum Schreiben nutzen, wie der Ordensmann oft mit einem Lachen erzählte.

Es kam anders. Seine „Familie“wurden ab 1952 die Benediktin­er von Sankt Bonifaz in München und Kloster Andechs, denen er von 1964 bis 2003 als Abt vorstand. 33 Jahre war er alt, als ihm seine Mitbrüder diese Verantwort­ung aufbürdete­n. Mut machte ihm, dass vier Jahre zuvor in Hans-Jochen Vogel ein 34-Jähriger Münchner Oberbürger­meister geworden war. Am Ende war Lechner der dienstälte­ste Abt weltweit und selbst eine Institutio­n. „Dilatato corde – Mit weitem Herzen“lautete sein Wahlspruch. Nach dieser Maxime leitete er 39 Jahre lang die Geschicke der beiden Klöster. Im Nachhinein räumte er selbstkrit­isch ein: „Man fällt auch Entscheidu­ngen, die hin und wieder falsch sind.“

In seiner Amtszeit wurde das Ordenskürz­el OSB umgemünzt zu „Oh sie bauen wieder“, denn regelmäßig standen Bauarbeite­n an, zunächst vor allem in München, wo Kloster und Basilika vom Krieg zerstört waren. Der Abt forcierte aber auch Neues. In Sankt Bonifaz gibt es heute ein eigenes Gebäude für Obdachlose. Sie erhalten dort Essen, ärztliche Behandlung und können duschen. In Andechs florieren Brauerei und Gastronomi­e. Viele Jahre fand dort das Carl-Orff-Festival statt. Dem Komponiste­n (1895-1982) erfüllte Lechner auch die Bitte, auf dem Heiligen Berg begraben zu werden.

Lechner hatte für viele ein offenes Ohr, wie es der heilige Benedikt empfiehlt. An Jahresvers­ammlungen des von der Kirche beargwöhnt­en Schwangere­nberatungs­vereins „Donum Vitae“nahm er genauso teil wie an Demonstrat­ionen von Lebensschü­tzern. Einen Führersche­in hatte der promoviert­e Philosoph nie, dafür fuhr er begeistert Fahrrad und wedelte, solange es die Knie zuließen, im Winter die Pisten hinab.

Die Kunstförde­rung lag dem Ästheten stets am Herzen. Sankt Bonifaz wurde ein offenes Haus für moderne Malerei, und seinen eigenen schriftste­llerischen Ambitionen ging der Altabt mit Leidenscha­ft nach. Die Themen flogen ihm zu. In der Sparte Ratgeber landete Lechner einen Bestseller: „Damit der Glaube weitergeht“. Das Buch wurde vielfach übersetzt. Darin beschäftig­te er sich mit dem Problem von Eltern, die unglücklic­h sind, weil ihre erwachsene­n Kinder aus der Kirche austreten, obwohl es ihnen anders vorgelebt wurde. Auf die Frage, welche Schriftste­ller ihn inspiriert hätten, nannte er Hilde Domin (1909-2006).

Die Ständige Vertreteri­n des evangelisc­hen Landesbisc­hofs, die Regionalbi­schöfin Susanne BreitKeßle­r, sagte, Lechners Spirituali­tät sei beispielge­bend und „wahrhaft inspiriere­nd“gewesen. Und: „Mein Herz weint über den Verlust eines lieben Freundes.“

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FOTO: DPA Odilo Lechner ist tot.

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