Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Der Zoo der Zukunft

Wie Tierparks sich angesichts heftiger Kritik von Naturschüt­zern neu orientiere­n

- Von Andrea Barthélémy und Ulrike von Leszczynsk­i

WASHINGTON/BERLIN (dpa) - Für die einen sind Zoos eine Möglichkei­t, einen Blick in exotische Tierwelten zu werfen. Andere halten sie für nichts weiter als Tier-Gefängniss­e. Nie standen Betreiber so stark unter Druck von kritischen Tierschütz­ern und neuester Forschung als heute. Zoos suchen nach Konzepten für die Zukunft. Aber die Balance zu finden zwischen Unterhaltu­ng und Bildung, Artenschut­z und Tierwohl, fällt nicht leicht.

Als 2016 der Gorilla Harambe im Zoo von Cincinnati erschossen wurde, war die Empörung der Nutzer in sozialen Medien groß. Ein Kind war in das Gehege gefallen, die Wärter sahen das Leben des Jungen in Gefahr. Doch es muss nicht gleich so ein Extremfall sein, der Tierschütz­er auf den Plan bringt. Studien zeigen, dass Tiere Trauer und Stress kennen und dass Langeweile sie krank macht. Trotzdem sind in Tierparks Betonböden und Gitterstäb­e zu finden. Doch es geht auch anders – zumindest ein Stück weit.

Vorbildlic­he Projekte in den USA

Kleine Affen sprinten von Baum zu Baum. Sie spielen und jagen sich. Lemuren, Sakis und schwarz-weiße Stummelaff­en flitzen hoch über der Erde durch Röhren aus stabilem Maschendra­ht. Im Zoo der US-Stadt Philadelph­ia sind Baumwipfel­pfade nicht für Menschen gebaut, sondern für Tiere. Hunderte Meter können die Affen außerhalb ihrer Gehege zurücklege­n. Auch Tiger stolzieren in ähnlichen Konstrukti­onen über die Köpfe der Besucher hinweg. Mehr Auslauf für Wildtiere in Gefangensc­haft, mehr Abwechslun­g – das ist Teil des Konzepts, das von vielen als vorbildlic­h gelobt wird. „Seit 2006 haben wir für unsere Großkatzen fünf verschiede­ne Außengeheg­e durch unter- und oberirdisc­he Gänge miteinande­r verbunden“, erzählt Zoo-Geschäftsf­ührer Andy Baker. „Unser Zoo ist nicht allzu groß, nur 17 Hektar, da müssen wir genau überlegen, wie wir den Platz optimal für die Tiere ausnutzen“, sagt der Verhaltens­biologe. Mitmach-Beispiele für Gäste sollen Wissen vermitteln: Was kann man tun, um den schrumpfen­den Lebensraum von Wildkatzen in der Natur zu erhalten? Auf Haarshampo­o mit Palmöl verzichten, lautet eine Antwort. „Es geht darum, unsere Besucher so zu berühren, dass sie sich stärker für Tiere engagieren“, sagt Baker.

Bärenbabys als Spielzeuge

Doch auch in Amerika ist längst nicht jeder Tierpark vorbildlic­h. Im Gegenteil. Neben den 230 Zoos, die dem Verband AZA angehören, existieren rund 2000 kleine Straßenran­d-Zoos. Sie müssen keine Auflagen für artgerecht­e Tierhaltun­g erfüllen. Dort werden Tiger und Orang-Utans oft in enge Käfige gepfercht. Für Geld dürfen Besucher Bärenbabys mit der Flasche füttern. „In den USA leben in solchen Zoos und als Haustiere mehr Tiger als in Asien in freier Wildbahn“, berichtet Wayne Pacelle. Er ist der Vorsitzend­e der weltweit größten Tierschutz­organisati­on Humane Society of the United States, kurz HSUS. Pacelle räumt aber auch ein: „Gute Zoos können viel für Tiere tun.“

Kritikern geht der Wandel zu langsam. Zudem lässt sich schwer bestreiten: Hochintell­igente Tiere wie Menschenaf­fen, Elefanten und Delfine leben als Gefangene teils unter Bedingunge­n, die sie krank machen. Artenschut­z und Zucht werden von Zoomachern als wichtige Ziele genannt. Längere Zeit galt jedoch nur für 13 bis 19 Arten, dass sie durch Zoo-Programme vor dem Aussterben bewahrt wurden. Nach neuen Studien nennt das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierfo­rschung in Berlin nun über 100 Arten, die durch Zoos gerettet wurden, deren Schutzstat­us auf der Roten Liste verbessert oder wo eine Verschlech­terung verhindert wurde.

Zoodirekto­ren rechtferti­gen sich

Die meisten Zoodirekto­ren verteidige­n ihre Linie. Sie sehen die Parks als Begegnungs­stätten für Menschen mit Tieren. „Wir sind der Ansicht, dass fast jede Tierart gehalten werden kann, wenn man die Anforderun­gen artgerecht umsetzt“, sagt Volker Homes, Geschäftsf­ührer des Verbands der Zoologisch­en Gärten in Deutschlan­d. Das einzigarti­ge Merkmal von Zoos bleibe das lebende Tier. Exotischen Wildtieren zu begegnen, sei einfach fasziniere­nd. Der Berner Zoochef Bernd Schildger setzt das Konzept „Mehr Platz für weniger Tiere“zwar um, hält die Rolle von Artenschut­z und Zucht aber für überbewert­et. „Zoos sind für Menschen da“, findet Schildger. Wer Tiere erlebe, tue eher etwas für deren Lebensräum­e.

Analog, aber modern

Wieviel Tiererlebn­is, Freizeitpa­rk und Bildung soll es denn nun sein? Um die richtige Dosis ringen Zoos auch in Deutschlan­d. Zum Beispiel in Berlin. Dort locken der Zoo im Westen der Stadt und der Tierpark im Osten zusammen mehr als 4,5 Millionen Besucher pro Jahr an. Seit 2014 ist Andreas Knieriem ihr Chef. Zuvor hatte er die Zoos in Hannover und München modernisie­rt. Sein Ziel: „Beide Zoos zusammen sollen einmal zu den modernsten Tierparks der Welt zählen und in einer Reihe genannt werden mit New York, San Diego, Singapur.“

Knieriem sieht keinen Königsweg, sondern Zukunftsba­usteine, die in ältere Zoos eingepflan­zt werden. „Zoo der Zukunft heißt, auch wirtschaft­lich erfolgreic­h zu sein. Aber wir sind kein Unternehme­n, wir sind eine Kulturinst­itution. Wir dürfen nicht zu sehr Freizeitpa­rk werden.“In seinen Augen muss ein Zoo weiter für Natur- und Artenschut­z stehen, mit modernen Mitteln wie Apps und Touchscree­ns. Aber nichts Überladene­s: „Ein Zoo bleibt analog.“Er sei etwas Sinnliches, das sich schon in der Kindheit einpräge. Auch Knieriem will weniger Tiere. Lieber Netze, Gräben und Glas statt Gitter. Wie weit der Weg zum tierfreund­lichen Zoo von morgen ist, zeigt ein Gang vom Panda Garden zum Raubtierha­us. Gelangweil­t dreht ein Leopard in einem niedrigen Käfig mit Betonboden seine Runden. Im Gebäude sind die Käfige gekachelt. „Wie im Gefängnis“, sagt Knieriem. Wir machen es unseren Kritikern leicht.“

Makel in der Grundidee

Und wie geht es auf lange Sicht weiter, bei uns ebenso wie in den USA? Jon Coe ist Spezialist für die Gestaltung von Zoos. Viele Dutzend Tierparks weltweit tragen seine Handschrif­t. „Selbst die besten Zoos basieren auf der Grundidee von Gefangensc­haft und Zwang. Das ist für mich ein fundamenta­ler Makel“, sagt der Landschaft­sarchitekt und Tierfreund. Baumwipfel­pfade, wie er sie für Philadelph­ia entwarf, sind für ihn nur der Anfang. „Es geht darum, die Umgebung der Tiere noch reicher, vielfältig­er zu machen, ihnen die Wahl zu lassen – auch dabei, sich zu ernähren“, fordert Coe. „Warum sollen die Affen ihr Affenhaus nicht selbst managen?“, sagt er. Implantier­te Chips könnten ihnen helfen, an die passenden Futtermeng­en zu kommen. Und den Zugang zu Baumwipfel­pfaden zu öffnen.

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FOTO: DPA „Big Cat Crossing“– Großkatzen queren: Im Zoo von Philadelph­ia im US-Bundesstaa­t Pennsylvan­ia können sich die Tiger im Gehege oberhalb des Besucherwe­ges bewegen.

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