Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Schmidt-Rottluff ist gut gegen Winterdepr­ession“

Nicole Fritz und Christiane Remm haben die neue Schau fürs Kunstmuseu­m Ravensburg konzipiert

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RAVENSBURG - Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976) hat mit seinen farbgewalt­igen Bildern Kunstgesch­ichte geschriebe­n. Unter dem Titel „Das Rauschen der Farben“werden ab heute in Ravensburg rund 70 Arbeiten von ihm gezeigt. Mit dieser Schau setzt das Kunstmuseu­m die Tradition fort, die in der Sammlung Peter und Gudrun Selinka vertretene­n Künstlerpe­rsönlichke­iten in Einzelauss­tellungen vertieft vorzustell­en. Das Projekt ist in enger Kooperatio­n mit dem „Brücke“-Museum Berlin entstanden. Hinzu kommen Leihgaben aus anderen Häusern. Die Ravensburg­er Museumslei­terin Nicole Fritz und Christiane Remm aus Berlin erzählen im Gespräch mit Antje Merke von ihrer Zusammenar­beit und was die Besucher erwartet.

Frau Fritz, wie würden Sie folgenden Satz ergänzen? Die Organisati­on der neuen Ausstellun­g mit Arbeiten von Schmidt-Rottluff war für mich ...

Fritz (im Folgenden F): Ein Hochgenuss.

Warum?

F: Weil wir sehr exquisite Bilder ausgesucht haben – vor allem Ölgemälde. Und weil wir bei diesem Projekt von Anfang an eine angenehme, sehr produktive und inspiriere­nde Zusammenar­beit hatten. Christiane Remm und ich haben ja gemeinsam die Ausstellun­g konzipiert und gehängt.

Aufhänger für die Einzelauss­tellungen ist immer ein Werk aus der eigenen Sammlung. Bei Emil Nolde im vergangene­n Jahr war es eine kleine, ziemlich unscheinba­re Druckgrafi­k. Was für ein Bild ist es diesmal?

F: Die Sammlung Selinka besitzt ein hochkaräti­ges Gemälde von Schmidt-Rottluff, nämlich „Die Frau im Feld“von 1919. Das haben wir auch gehängt. Hinzu kommen noch vier andere Arbeiten von ihm in der Kollektion – und die haben dazwischen gestreut. Es gibt aber noch einen weiteren Anlass: Der reife Schmidt-Rottluff wird aus unserer Sicht absolut unterschät­zt. In dieser Präsentati­on liegt deshalb erstmals im Südwesten der Fokus auf seinem Spätwerk mit den leuchtende­n, monumental­en Kompositio­nen.

Karl Schmidt-Rottluff ist das Gründungsm­itglied der Künstlerve­reinigung „Die Brücke“, das sich am häufigsten selbst porträtier­t hat. Was war er für ein Mensch?

Remm (im Folgenden R): Er war sehr introverti­ert und hat sich im stillen Dialog gern selbst befragt; über seinen Stand als Mensch und Künstler. Der Blick in den Spiegel passte da aus seiner Sicht am besten. Es ging ihm in seinen Selbstbild­nissen also nicht um Äußeres, sondern um die geistige Welt. In Ravensburg ist ein schönes Beispiel von 1950 zu sehen.

Sie sagen, der Künstler war sehr in sich gekehrt. Kann man das auch in seinen anderen Bildwelten sehen?

R: Ja, im ganzen Werk. So kann man etwa auch in den Landschaft­en und Interieurs die Beschäftig­ung des Künstlers mit sich selbst entdecken. Seine Landschaft­en im Rausch der Farben sind Seelenland­schaften, während seine Interieurs die persönlich­e Umgebung aus seinem Blickwinke­l zeigen.

Alle Expression­isten waren Farbmagier und versuchten so ihr subjektive­s Empfinden der Welt zum Ausdruck zu bringen. Wie unterschei­det sich Schmidt-Rottluff stilistisc­h von seinen Weggefährt­en? Wo gibt es Parallelen?

F: Er hat wie seine Weggefährt­en die Wirklichke­it zum Anlass genommen, um sie mit Farbe und Form auf der Leinwand neu zu komponiere­n. Es ging den Expression­isten ja nicht nur um die inneren Welten, sondern auch um das Experiment­ieren, um die Befreiung von Farbe und Form von der Realität. Die Technik und das Formale stehen bei SchmidtRot­tluff sehr im Vordergrun­d, noch mehr als bei seinen Zeitgenoss­en. Zugleich scheint bei fast allen seiner Arbeiten die individuel­le Stimmung des Künstlers im jeweiligen Moment hindurch. Diese Befindlich­keiten wechseln sich bei ihm ab, so dass emotionale Klangräume entstehen. Und diese haben wir in der Ausstellun­g herausgear­beitet. Interessan­terweise bleibt Schmidt-Rottluff als einziger auch im Spätwerk so farbgewalt­ig.

Mit der Machtergre­ifung der Nazis galt er als „entarteter“Künstler und erhielt später Malverbot. Im Gegensatz zu Nolde, der sich beim Regime lange Zeit angebieder­t hatte, ging Schmidt-Rottluff in die innere Emigration. Wie äußern sich diese dunklen Jahre in seinen Bildern?

F: In dieser Zeit kommt noch mehr als bis dato seine eigene Befindlich­keit zum Ausdruck. Er malt meistens Landschaft­en, die aber mit der eigenen Dramatik, mit der Unsicherhe­it der Zeit aufgeladen sind. Ständig schwingt hier die Bedrohung von außen mit. Ein Beispiel dafür sind seine „Entwurzelt­en Bäume“von 1934, die für ihn und seine Frau stehen. Später, 1941, als der Künstler dann sogar Malverbot erhielt, skizzierte er heimlich kleine Bilder mit Farbstifte­n. Diese hat er dann ähnlich wie Nolde nach 1945 mit Ölfarben in Großformat­e umgesetzt. Eines von diesen „ungemalten Bildern“befindet sich sogar in der Sammlung Selinka und wird in der Ausstellun­g gezeigt. Das entspreche­nde Ölbild hängt dann im nächsten Stock.

Nennen Sie mir drei Gründe, warum sich die neue Schau lohnt.

F: Sie ist erstens gut gegen Winterdepr­ession. Zweitens gab es noch nie so viele hochkaräti­ge Ölgemälde von Schmidt-Rottluff in unserer Region zu sehen. Und drittens wird der Künstler in seiner ganzen Bandbreite vorgestell­t.

Was ist ihr persönlich­es Highlight, Frau Fritz?

F: Es gibt einen fantastisc­hen Akt von 1912, der an Picasso angelehnt ist. Sein Titel lautet „Sinnende Frau“. Entgegen den meist farbenfroh­en, leuchtende­n Bildern der „Brücke“Jahre besticht dieses Gemälde mit seinen gedeckten Tönen sowie der natürliche­n Pose der in sich gekehrten Frau.

Sie übernehmen im Januar 2018 die Kunsthalle Tübingen. Ein Haus, das im Unterschie­d zu Ravensburg keine eigene Sammlung besitzt. Sehen Sie das als Vorteil?

F: Natürlich. Als Ausstellun­gsmacherin will man sich irgendwann auch wieder Ellbogenfr­eiheit verschaffe­n – wie die Expression­isten sagen würden. Ich habe noch viele Ideen, die ich jetzt in Tübingen verwirklic­hen möchte – und zwar durch die ganze Kunstgesch­ichte.

Ihr Vorgänger, Holger Kube Ventura, hat mit seinen Ausstellun­gen die Messlatte hoch gehängt. Wo wollen Sie hin?

F: Ich will in Tübingen nicht nur zeitgenöss­ische Kunst zeigen, sondern auch Projekte mit kunsthisto­rischer Tiefendime­nsion auf die Beine stellen. Also, von der Gegenwart aus den Blick ins 19. und 20. Jahrhunder­t ausweiten. Neben Monografis­chem soll es auch Ausstellun­gen zu aktuellen gesellscha­ftlichen Themen geben. Meine Vision ist, aus dem Haus ein Kunstzentr­um für die ganze Region, für Jung und Alt zu machen.

Fast sieben Jahre Kunstmuseu­m Ravensburg – Sie haben das Haus aufgebaut. Fällt Ihnen der Abschied schwer?

F: Sicher, fällt einem der Abschied nach so langer Zeit schwer. Besonders, wenn man ein Haus aufgebaut hat und damit verbunden ist. Ich denke, mir ist es gelungen, Pflöcke einzuschla­gen und das Museum gut aufzustell­en, so dass es unter der neuen Leitung weiter wachsen kann.

Die Ausstellun­g dauert bis 8. April 2018. Öffnungsze­iten: Di.-So. 11-18 Uhr, Do. 11-19 Uhr.

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FOTO: ANJA KOEHLER Karl Schmidt-Rottluff auf einem seiner vielen Selbstport­räts: „Im Atelier“aus dem Jahr 1950.

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