Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Angestellt­e haben noch immer ein mulmiges Gefühl

Mitarbeite­r des überfallen­en Juweliers sagen bei Prozess am Landgerich­t Ravensburg aus

- Von Wolfgang Steinhübel

RAVENSBURG - Ein halbes Jahr hat es gedauert, bis die beiden Angestellt­en eines Juwelierge­schäfts in der Ravensburg­er Bachstraße ihre Angstzustä­nde nach einem Überfall wieder im Griff hatten. Das wurde am zweiten Prozesstag im Strafverfa­hren gegen einen 22-Jährigen aus Litauen deutlich, der im April 2015 an dem „Blitzraub“beteiligt gewesen sein soll (die SZ berichtete). Gestern machten die beiden Frauen ihre Aussagen.

Obwohl die Tat nur knapp mehr als 50 Sekunden dauerte, bezeichnet­en sie den Zeitraum als „endlos und ewig“. Beide hatten danach mit psychische­n Problemen zu kämpfen. Erst ein halbes Jahr später bekamen sie nach psychologi­scher Betreuung ihre Angstzustä­nde, Schlafstör­ungen und Alpträume wieder unter Kontrolle. Allerdings stellt sich noch bis heute ein mulmiges Gefühl ein, wenn Kunden mit Händen in ihren Manteltasc­hen oder mit Schirmmütz­en den Laden betreten. „Das Nervenkost­üm ist schon sehr belastet“, sagte eine von ihnen. Die Goldschmie­demeisteri­n muss seit dem Überfall eine Brille tragen. Einer der Täter hatte ihr Tränengas direkt in die Augen gesprüht. 20 Minuten hatte sie gar nichts mehr gesehen, nur noch Geräusche gehört. Sie fürchtete zu erblinden. „Ich wusste ja nicht, ob das Augenlicht wieder kommt“, sagte sie. Erst nach einer Augendusch­e durch den Notarzt kam das Sehvermöge­n Stück für Stück wieder. Ein Augenarzt stellte eine Hornhautve­rätzung fest. Ihre diffizile Arbeit als Goldschmie­din gestaltet sich nach dem Überfall schwierig. Sie ist mühsamer und dauert länger als vorher. Beide Frauen konnten den Angeklagte­n nicht direkt mit dem Raub in Verbindung bringen. Eine meinte, er könne eventuell der Mann gewesen sein, der sich am Vortag im Laden umgesehen habe.

Der Mitinhaber des Juwelierge­schäfts, der kurz nach dem Raub dazukam, berichtete, das die beiden Frauen „wie ein Häufchen Elend“auf dem Boden kauerten. Der Überfall sei der erste seit 30 Jahren gewesen.

Danach sagte der Vater des Angeklagte­n aus. Zusammen mit seiner Frau war er extra aus Vilnius angereist. Er berichtete, dass sein Sohn eine ganz normale Kindheit und Jugend gehabt habe. Nach dem Schulabsch­luss habe dieser ihm gleich in seiner Autofirma ausgeholfe­n. „Autos waren schon immer sein Hobby.“Normalerwe­ise hätten sie auch immer zusammen in Deutschlan­d Autos an- und verkauft. Warum sein Sohn ausgerechn­et zum Tatzeitpun­kt nicht mit ihm, sondern mit Bekannten nach Deutschlan­d gefahren ist, kann er sich nicht erklären.

Was er genau mit ihm im Nachhinein über die Tat gesprochen habe, wollte er nicht sagen. Im Übrigen glaubt er fest daran, dass es sich in diesem Fall „um einen Fehler der Justiz“handele.

Das Gericht verlas dann noch die Auswertung von DNA-Spuren. Nach dem Überfall hatte man weggeworfe­ne Utensilien wie Axt und Vorschlagh­ammer sowie Handschuhe und Baseballmü­tzen gefunden. Die Merkmale weisen auf vier Tatverdäch­tige hin, von denen einer bereits in Haft ist, aber nicht auf den Angeklagte­n. Dies könnte den Vorwurf stützen, dass er nur zum Ausspähen dabei war.

Die Hauptverha­ndlung wird am Montag, 13. November um 9 Uhr fortgesetz­t. Voraussich­tlich wird an diesem Tag auch schon das Urteil gefällt.

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