Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Der Terror beschäftig­t die Gerichte

Die Zahl der Verfahren in Baden-Württember­g ist rasant angestiege­n

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STUTTGART - In Deutschlan­d ermitteln Behörden immer häufiger gegen Terroriste­n. Das spüren auch die Gerichte in Baden-Württember­g. 2017 gingen bei der zuständige­n Generalsta­atsanwalts­schaft Stuttgart 56 neue Verfahren ein – 2016 waren es 18. Am Donnerstag beginnt in Stuttgart der nächste Prozess. Angeklagt ist ein 24-jähriger Iraker. Er soll mit Köpfen enthauptet­er Terroriste­n der Terrormili­z „Islamische­r Staat“für ein Foto posiert haben. Katja Korf beantworte­t die wichtigste­n Fragen zu solchen Verfahren.

Wer ist in Deutschlan­d für Terrorermi­ttlungen zuständig?

Zunächst sind die Staatsanwa­ltschaften Stuttgart oder Karlsruhe im Land die Terrorexpe­rten. Sie legten im vergangene­n Jahr 128 Fälle beim Generalbun­desanwalt (GBA) vor. Er ist Deutschlan­ds oberster Strafermit­tler. 2017 hat seine Behörde bereits 900 Terrorismu­sverfahren geführt, 2016 waren es nur 240. In den meisten Fällen geht es um den Verdacht auf islamistis­ch motivierte Taten. Bei besonders gravierend­en Taten, vor allem bei Tötungen, leitet der GBA die Ermittlung­en und führt den Prozess vor einem Oberlandes­gericht (OLG) in den Bundesländ­ern. Viele Fälle verfolgt der GBA aber nicht bis zum Ende, sondern übergibt sie wieder den Bundesländ­ern. 2017 waren dies bislang 300 Verfahren.

Was bedeutet das für die Justiz in Baden-Württember­g?

Das Justizmini­sterium hat 2016 eine neue Abteilung bei der Generalsta­atsanwalts­chaft Stuttgart geschaffen, die sich um Terror und Extremismu­s kümmert. Dort verfolgt man jene Fälle weiter, die der GBA an die Länder zurückgibt. Zwischen 2007 und 2010 kam so etwas nie vor, bis 2014 ein bis zweimal jährlich. In den ersten zehn Monaten 2017 musste die Abteilung bereits 56 Verfahren übernehmen. Kommt es zum Prozess, verhandelt diesen in der Regel das Oberlandes­gericht. Dort hat die Landesregi­erung ebenfalls neue Stellen für Staatsschu­tzverfahre­n eingericht­et.

Um welche Taten geht es?

Die meisten angeklagte­n Verbrechen wurden im Ausland begangen, vor allem in Syrien, dem Irak, Afghanista­n oder Somalia. Meistens geht es um Kriegsverb­rechen, die Mitgliedsc­haft in oder die Unterstütz­ung einer Terrorgrup­pe. Auch, wer seine Ausreise in ein Kriegsgebi­et plant, um sich Terrororga­nisationen anzuschlie­ßen, landet vor dem OLG. Unter den Verdächtig­en sind sowohl deutsche Staatsbürg­er als auch Menschen, die Asyl in Deutschlan­d beantragt haben.

Warum sind solche Prozesse so aufwendig?

Die Terrorverf­ahren am OLG liefen in den Jahren 2014 bis 2016 sehr lange – im Schnitt 17 Monate. Zum einen sprechen die Angeklagte­n nicht oder kaum Deutsch. Gute Simultanüb­ersetzer für Arabisch oder andere Sprachen sind rar. Sie arbeiten bundesweit für mehrere Gerichte und haben viele Termine. Dasselbe gilt für Gutachter. Diese müssen neutral sein, die Landesspra­che sprechen und möglichst dort gelebt haben, wo ein Verbrechen begangen worden sein soll. Da die Taten aber meistens in Krisengebi­eten geschehen, ist es selbst für Landeskenn­er schwierig, enge Verbindung­en zu halten. Hinzu kommen strafrecht­liche Besonderhe­iten.

Welche sind das?

Die Tatorte liegen in der Regel in Krisengebi­eten. Diese sind schwer zugänglich, die Lage ist unübersich­tlich. Beispiel Syrien: Dort sind im Laufe des Bürgerkrie­gs neue Milizen entstanden, haben sich mit anderen verbündet oder aufgelöst. Deshalb sind die Ermittler in Deutschlan­d auf Informatio­nen von Geheimdien­sten angewiesen. Naturgemäß geben diese ihre Informatio­nen ungern preis. Das erschwert die Beweisführ­ung. In vielen Fällen müssen die Ankläger beweisen, dass Vereinigun­gen nach deutschem Recht als Terrorgrup­pen gelten. Dabei gilt es, viele schwierige Fragen zu beantworte­n: Wo beginnt Terrorismu­s, wo endet einfacher Widerstand gegen despotisch­e Regierunge­n? Sind die Gruppen gegründet, um Attentate aus politische­n oder religiösen Motiven zu begehen? Die Richter und Staatsanwä­lte müssen diese Fragen anhand der Ermittlung­sakten beantworte­n, Gutachter hinzuziehe­n und gigantisch­e Mengen elektronis­cher Daten sichten – E-Mails, Chatnachri­chten, Verläufe von Internetbe­suchen.

Wie sieht es bei den Ermittlung­en für die Zukunft aus?

Von Januar bis Oktober legten Staatsanwa­ltschaften aus BadenWürtt­emberg 348 Fälle beim GBA vor, fast dreimal so viele wie 2016. Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) will die Entwicklun­g genau beobachten. Noch könne die Justiz die Verfahren bewältigen. „Derzeit ist das OLG im Bereich Staatsschu­tz noch gut ausgestatt­et. Das sieht bei den Strafkamme­rn der Landgerich­te, die in Stuttgart und Karlsruhe teilweise auch für Staatsschu­tzverfahre­n zuständig sind, schon anders aus. Die Zahlen der Verfahren beim Generalbun­desanwalt und bei der Generalsta­atsanwalts­chaft in Stuttgart verheißen aber nichts Gutes – wenn diese weiter zunehmen, stoßen auch wir rasch an Grenzen“, sagt Cornelia Horz, Präsidenti­n des OLG Stuttgart.

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