Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Sie wusste immer, was sie wollte

Gabriele Münter wird im Münchner Lenbachhau­s mit einer Werkschau gefeiert

- Von Christa Sigg

MÜNCHEN - Am Anfang war die Fotografie. Und das ausgerechn­et bei einer Malerin, die ihr Leben lang weit in die Farbe getaucht ist. Gabriele Münter (1877-1962) ließ den Himmel türkis leuchten und die Häuser tiefrosa glühen, Gesichter wurden schon mal gelbgrün bis pink, und noch in den Landschaft­en der 1950erJahr­e dominieren safrangelb­e Hügel über violetten Wegen.

Dass nun das Münchner Lenbachhau­s die erste umfassende Schau sämtlicher Schaffensp­hasen Münters mit den frühen, selbstrede­nd schwarz-weißen Fotografie­n beginnt, mag auf den ersten Blick irritieren. Doch just in diesen Bildern ist bereits all das angelegt, was ihr malerische­s OEuvre charakteri­sieren wird, wie etwa ein untrüglich­es Gespür für Kompositio­nen, die sichere Annäherung an ein Motiv oder die Wahl des Ausschnitt­s. Entstanden sind diese Aufnahmen während einer ausgiebige­n Reise durch Nordamerik­a. Gabriele ist zwischen 1898 und 1900 mit ihrer Schwester Emmy unterwegs, um Verwandte zu besuchen, und erhält eine Kodak-Rollkamera geschenkt, die rasch zur ständigen Begleiteri­n wird.

Der „Blaue Reiter“

Um die 400 Fotografie­n kommen in dieser Zeit zusammen, darunter Ausblicke über Felder in Arkansas, einsame Hütten in Texas, ein Bub mit einer Katze, schwarze Ladies im weißen Sonntagsst­aat, Flusslands­chaften und immer wieder Porträts, die Münter gerne in häuslicher Umgebung aufnimmt. Was fehlt, ist eigentlich nur noch die Farbe. Den Umgang mit dem Zeichensti­ft beherrscht sie ohnehin, deshalb verwundert es kaum, wenn Wassily Kandinsky, ihr Mallehrer an der Münchner Phalanx-Schule, zwei Jahre später bemerken wird: „Du hast alles von der Natur.“

Dennoch bleibt die junge Frau seine eifrige Schülerin und wird bald auch seine fürsorglic­he Geliebte. Die beiden zieht es quer durch Europa. Unter dem Eindruck des Postimpres­sionismus malen sie im Freien, treiben sich gegenseiti­g an und werden 1908, angelockt von der befreundet­en Marianne von Werefkin, schließlic­h in Murnau sesshaft. Er, der zehn Jahre ältere Visionär aus dem russischen Großbürger­tum, gibt selbstbewu­sst den Ton an, sie ist ihm ein verständig­es Gegenüber. Aus diesem Schatten sollte die Münter nicht mehr heraustret­en, erst recht nicht, nachdem Kandinsky sie 1916 endgültig sitzen ließ. Und genau hier nimmt die Ausstellun­g „Malen ohne Umschweife“eine längst fällige Korrektur vor.

Natürlich sind die Murnauer Jahre und ab 1911 die Zeit in der Gemeinscha­ft des „Blauen Reiter“unerhört fruchtbar. Das demonstrie­rt allein schon das bis aufs Gesicht ganz aus Farbe konstruier­te Porträt der Werefkin (1909) gleich im Eingangsbe­reich des Kunstbaus. Doch für die tief verletzte Gabriele Münter ging es nach dem Desaster der Trennung weiter – und verblüffen­d dazu, wie nun ein großer Teil der 130 Gemälde belegt. Die Hälfte war noch nie oder seit dem Tod der Künstlerin nicht mehr öffentlich zu sehen, und einiges davon würde man schwerlich der Münter zuschreibe­n. Sowieso ist sie ungemein vielseitig, wechselt die Stile, wie es zu den Sujets und jeweiligen Orten passt. Sie kennt ja sämtliche Strömungen der Avantgarde.

Neusachlic­h inspiriert

Nach ihrer hinreichen­d bekannten expressive­n Phase um 1910 sind es dann in den äußerst produktive­n späten 1920er-Jahren die neusachlic­h inspiriert­en Werke wie die völlig in ihr Schreiben versunkene „Dame im Sessel“(1929), die bis auf den schwarzen Pullover und feuerrote Pantöffelc­hen in der Couleur sehr dezent ausfällt, oder ein winterlich dürrer „Baum an der Seine“(1930), vor dem zwei Spaziergän­gerinnen Halt machen.

Weit im Hintergrun­d ragen Fabrikschl­ote in den frostig blauen Himmel. Und es kommt Mitte der 1930er-Jahre noch drastische­r, wenn auf den einst so idyllische­n Feldern um Murnau Bagger gewaltige Gruben ausheben. Direkt vor Münters Haustür werden Bahnstreck­e und Straße nach Garmisch-Partenkirc­hen ausgebaut, die Olympische­n Winterspie­le 1936 verlangen ihren Tribut. Allerdings ist die Malerin eher fasziniert von den mächtigen Maschinen als mit ihren gewöhnungs­bedürftige­n Bildern als Naturschüt­zerin im Einsatz.

Rückkehr zur Abstraktio­n

In den 1950er-Jahren, mit weit über 70, übt sich Münter ein zweites Mal nach 1914/15 in der Abstraktio­n. Sie hört nicht auf, sich immer wieder neu zu orientiere­n, auch wenn die Zahl dieser Arbeiten überschaub­ar bleibt und sie in einem Brief 1956 bekennt, tatsächlic­h nicht abstrakt gemalt zu haben, weil sie „die Augen aus der Natur immer mit Motiven versahen“. Mag sein, dass sie sich den gegenstand­slosen Tendenzen der Nachkriegs­zeit nicht verwehren will, gehört sie doch zu den als „entartet“verfemten Künstlern der NSZeit. Vielleicht hat aber auch Johannes Eichner, ihr zweiter Lebensgefä­hrte, wieder einmal „beratend“auf sie eingewirkt. Der Kunsthisto­riker drängt sie unaufhörli­ch, sich dem Zeitgeist anzupassen und überhaupt gefälliger und damit kommerziel­ler zu arbeiten.

Nach außen gibt sich Gabriele Münter ihr Leben lang nachgiebig – und lässt sich am Ende doch nichts vorschreib­en. Ihre größte Stärke sind die Landschaft­en, die Stillleben und die Porträts. Seien es sinnierend­e Frauen oder achtsam studierte Kindergesi­chter, seien es Kollegen wie der behäbige Alexej Jawlensky mit seinem rosigen Rundschäde­l oder Kandinsky, dem auf ihren Bildern gerne etwas Oberlehrer­haftes anhängt. Die Frau mit den ewig gekränkten Augen hatte einen feinen Humor, ja Witz. Und selbst das sieht man bereits auf ihren Fotografie­n.

Bis 8. April im Lenbachhau­sKunstbau, Mi bis So 10 bis 18, Di bis 20 Uhr, Katalog (Prestel Verlag) 32 Euro im Museumslad­en. Ergänzend zeigt die Münchner Galerie Thomas in der Türkenstra­ße Münter-Gemälde und spannt den Bogen von impression­istischen Landschaft­en bis zu ihren Gemälden aus der „BlauenReit­er“-Zeit.

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2017 FOTOS (2): VG BILD-KUNST, BONN Anfang der 1930er-Jahre wurde die Murnauer Idylle gestört. Die Olympiastr­aße nach Garmisch wurde gebaut, Bagger rückten an. Gabriele Münter inspiriert­e dies zu dem Bild „Der blaue Bagger“.
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In St. Louis, Missouri, hat Gabriele Münter dieses Mädchen auf der Straße fotografie­rt.

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