Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Das große Fressen
Als Waldschädling hat der Fichtenborkenkäfer besondere Berühmtheit erlangt
Was ist das für ein Leben, wenn man nirgendwo willkommen ist? Dem Borkenkäfer mag das egal sein, er frisst sich eben so durch. Vorzugsweise durch die Rinde von Fichten. 77 verschiedene Arten des Käfertyps gibt es hierzulande. Doch keiner versammelt so viele Antipathien auf sich wie der Buchdrucker. Weil dieses Mitglied der großen Borkenkäferfamilie mit seinen zackenartigen Zähnen und gerade mal fünf Millimetern Größe ganze Fichtenwälder zu Fall bringt. Und damit ausgerechnet den Brotbaum der Förster und Waldbauern.
Die deutsche Holzernte hängt zu 90 Prozent an der Fichte, aus deren harzigem Holz sich Papier machen lässt oder auch eine Stradivari-Geige. Der Buchdrucker ist deshalb nicht nur ein Fichtenliebhaber, sondern auch ein Geldfresser. Mancher würde ihm am liebsten ein dauerhaftes Einreiseverbot erteilen.
Nur in bestimmten Schutzgebieten ist das anders. Im Nationalpark Schwarzwald zum Beispiel. Dort heißen sie den kleinen Kerl ausdrücklich willkommen.
Was dem einen schadet, gehört für den anderen zu einem funktionierenden Ökosystem. Aus der Sicht der Forstwirtschaft ist der Fichtenborkenkäfer ein Schädling, einer der schlimmsten überhaupt. Aus der Sicht des Waldes und seiner Bewohner ist er jedoch ein Teil der Gemeinschaft und wichtig für ihren Erhalt – als eine Art krabbelnde Gesundheitspolizei. Einem gesunden Naturwald können der Buchdrucker und sein naher Verwandter, der Kupferstecher, nicht viel anhaben. Die beiden suchen sich bevorzugt geschwächte Bäume aus. Auf gefräßige Weise zeigen sie dabei, dass Monokulturen besonders anfällig sind für Krankheiten. Und haben so mehr bewegt als mancher Umweltminister.
Es war der Fichtenborkenkäfer, der die deutsche Forstwirtschaft dazu gebracht hat, wieder mehr Mischwälder anzubauen, wie Ernst-Gerhard Burmeister von der Zoologischen Staatssammlung München einmal in einem Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk resümierte: „Das Wichtigste ist, dass er unseren ,Machbarkeitswahn’ ein bisschen in Grenzen hält. Jedes Tier an sich, das wir als Schädling titulieren, begrenzt unseren ,Machbarkeitswahn’. Wir meinen nämlich, alles im Griff zu haben, aber die Natur reagiert oft ganz anders.“
Leidenschaftliche Diskussion
Was ist überhaupt ein Schädling – und was keiner? Unter Forstleuten, Naturschützern und Biologen wird die Diskussion teils leidenschaftlich geführt. Aus forstökonomischer Sicht zählen zu den Schädlingen alle Arten von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen, die in Nutzwäldern das Wachstum der Bäume verhindern. Das kann die Raupe des in die Nacht flatternden Schwammspinners sein. Oder der Rothirsch, der Bäume anknabbert. Letzterer ist dann auch für Waldschützer ein ungern gesehener Gast. Weil er mit seinem Hunger die von ihnen geforderte Waldverjüngung verhindert. Vielen Jägern wiederum geht es zu weit, Hirsche oder auch Rehe als Schädlinge zu betrachten. So ist der Begriff immer auch eine Frage der Perspektive.
Chancen schaffen für neue Arten
Deshalb zuletzt noch einmal zurück zum Borkenkäfer: An einem Ort in Baden-Württemberg ist er definitiv willkommen – im Nationalpark Schwarzwald. In dessen Kernzone, in der sich der Wald ohne menschliche Eingriffe entwickelt, darf er seinen Job machen, den ihm die Evolution auf den zartgelben Chitinpanzer geschrieben hat. Nach Lust und Laune Bäume töten. Und mit diesem forcierten Umbau des Waldes Chancen schaffen für neue Arten und Lebensräume. Damit er dabei nicht über die Stränge schlägt, hat die Verwaltung ein Borkenkäfer-Management eingeführt. Rings um die Kernzone gibt es einen mindestens 500 Meter breiten Puffer. Wird dort ein Baum befallen, wird er innerhalb von 14 Tagen gefällt und abtransportiert, bevor der Käfer sich im angrenzenden Wirtschaftswald ausbreiten kann. Der Randstreifen des Nationalparks ist für den Käfer ein unüberwindbares Hindernis. Manches hat der Mensch eben doch im Griff. (amer)