Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Der verräteris­che Eckzahn

Gutachten in Freiburger Mordprozes­s: Hussein K. ist 25 Jahre alt – Härteres Urteil möglich

- Von Jürgen Ruf

FREIBURG (dpa) - Hussein K. gab sich als Minderjähr­iger aus, nun stellt sich heraus: Der Flüchtling, der wegen Mord an einer Freiburger Studentin vor Gericht steht, ist wohl Mitte 20. Das fanden die Ermittler anhand eines Zahns heraus. Das wirkliche Alter des Angeklagte­n ist entscheide­nd für das Urteil im Freiburger Mordprozes­s.

Das Beweisstüc­k mit der Nummer 14.2.2.2.25.48 brachte am Dienstag vor der Freiburger Kammer eine Wendung. Es ist ein Eckzahn des Angeklagte­n, der ihm von einem Zahnarzt bei einem Routineein­griff gezogen worden war. Andere Zähne hatten ihn überlagert, deshalb wurde der Zahn Nummer 13 mit der Wurzel herausgeho­lt. Hussein K. behielt ihn als Souvenir. Er bewahrte ihn in seinem Zimmer auf. Dort fanden ihn Polizeibea­mte, als sie nach der Festnahme des Flüchtling­s alles durchsucht­en.

K. steht seit zwei Monaten vor Gericht. Er hat zugegeben, eine 19-Jährige im Oktober vergangene­n Jahres in Freiburg vergewalti­gt und bis zur Bewusstlos­igkeit gewürgt zu haben. Die Frau ertrank im Wasser des Flusses Dreisam. Der Fall löste, noch vor dem Anschlag eines Tunesiers auf den Berliner Weihnachts­markt im Dezember, Debatten über die deutsche Flüchtling­spolitik aus. K. behauptete, zur Tatzeit 17 Jahre alt gewesen zu sein. Zum Prozessauf­takt gab er zu, älter zu sein. Ein konkretes oder belegbares Alter nannte er nicht.

Bisher war unklar, wie alt der vor der Jugendkamm­er stehende Hussein K. wirklich ist. Er galt als unbegleite­ter minderjähr­iger Flüchtling und hatte keine Papiere, als er im November 2015 nach Deutschlan­d kam. Die Staatsanwa­ltschaft hält K. angesichts von insgesamt zwei Altersguta­chten für mindestens 22 Jahre alt. Die Ergebnisse der Zahnunters­uchung gelten dabei als vergleichs­weise sicher.

„So etwas haben wir selten in Strafverfa­hren, dass wir diese Methode anwenden können“, sagt die Wissenscha­ftlerin Ursula WittwerBac­kofen. Denn Zähne dürfen nicht gezogen werden, wenn der Betroffene nicht einverstan­den ist. Das wäre Körperverl­etzung und illegal. Dass im konkreten Fall ein bereits vorher gezogener Zahn gefunden wurde, war Glück für die Ermittler. Er liefert, sagt die 60 Jahre alte Anthropolo­gin, klarere Ergebnisse zur Altersdiag­nostik als beispielsw­eise die weitaus häufiger verwendete Röntgenunt­ersuchung der Handwurzel­knochen. Denn an Zähnen und deren Wurzel bilden sich, ähnlich wie bei Bäumen, sogenannte Jahresring­e, erklärt die Wissenscha­ftlerin. Durch sie lässt sich das Alter errechnen.

Lebenslang­e Haft möglich

Wittwer-Backofen und ihre Kollegen an der Freiburger Uni haben bei solchen Untersuchu­ngen deutschlan­dweit eine Führungsro­lle. Meist hätten sie es, sagt die Gutachteri­n, mit historisch­en Skeletten zu tun. Aktuelle Strafverfa­hren seien selten. Unter dem Mikroskop haben sie Altersring­e gezählt und rund 400 Fotos von ihnen gemacht. Ergebnis: Hussein K. ist laut Gutachten 25,8 Jahre alt. Rechne man alle Fehlerquel­len und wissenscha­ftliche Unsicherhe­iten mit ein, ergebe sich für den Angeklagte­n eine Altersspan­ne von 22,5 bis 29,5 Jahre.

Folgt das Gericht dieser Einschätzu­ng, würde für den Angeklagte­n Erwachsene­nstrafrech­t gelten. Ihm droht dann eine lebenslang­e Haft, möglicherw­eise Sicherungs­verwahrung. Für Jugendlich­e und Heranwachs­ende sind die Strafen geringer. Voraussetz­ung: Die Verurteilt­en müssen dafür zur Tatzeit jünger als 22 Jahre sein.

Ein zweites, ebenfalls am Dienstag vorgestell­tes Gutachten des Rechtsmedi­ziners Andreas Schmeling stützt die These der Zahnunters­uchung. Auch demnach ist Hussein K. älter als 21 Jahre.

Mit einem Urteil in dem Verfahren wird nach Angaben der Vorsitzend­en Richterin Kathrin Schenk im kommenden Jahr gerechnet. Bis dahin sollen weitere Sachverstä­ndige und Zeugen gehört werden.

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FOTO: DPA Älter als behauptet: der Angeklagte Hussein K. im Gerichtssa­al neben seinem Verteidige­r.

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