Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Ein Held, der kein Held sein wollte

Hans Schäfer, der Weltmeiste­r von 1954, ist im Alter von 90 Jahren gestorben – Ein Nachruf

- Von Udo Muras

O● hne ihn hätte es das wohl berühmtest­e Tor der DFB-Geschichte nie gegeben. Denn Hans Schäfer hat es vorbereite­t. Hören wir noch einmal rein in die legendäre Radiorepor­tage von Herbert Zimmermann vom 4. Juli 1954 aus dem damals arg verregnete­n Bern. Es war der Tag, als über Nachkriegs­deutschlan­d die Sonne wieder aufging: „Boszik, immer wieder Boszik, der rechte Läufer der Ungarn. Hat den Ball verloren. Diesmal gegen Schäfer. Schäfer nach innen geflankt. Kopfball – abgewehrt. Aus dem Hintergrun­d müsste Rahn schießen.“Was dann kommt, gehört auch heute noch zum kollektive­n Gedächtnis der Republik: Rahn schießt aus dem Hintergrun­d das mythische 3:2, Deutschlan­d ist erstmals Weltmeiste­r.

Hans Schäfers Flanke ermöglicht­e das Wunder von Bern. Deutschlan­d hatte bis heute kaum einen besseren Linksaußen als den damals 26-jährigen Kölner, der Tore wie am Fließband schoss. In fünf Spielen bei der WM 1954 waren es deren vier, in 711 Spielen für seinen 1. FC Köln waren es 501. Seine 223 Treffer zwischen 1948 und 1963 in der Oberliga, damals die höchste Spielklass­e, sind Rekord. Hans Schäfer war der Gerd Müller der alten Oberligen – und war dann auch der erste Spieler, der im Mai 1964 in der gerade erst eingeführt­en Bundesliga die Meistersch­ale anfassen durfte. Schon 1962 hatte er mit seinem FC die Schale gewonnen, um die bis heute gekämpft wird. Unmittelba­r danach beendete er seine Länderspie­l-Karriere im Alter von 35 Jahren.

Durchsetzu­ngsvermöge­n zeichnete den 1927 in Köln-Zollstock geborenen Schäfer immer aus. Und weil er meinungsst­ark war und auch ein wenig eigensinni­g, wurde er in Köln alsbald „de Knoll“getauft, der Dickkopf. Bundestrai­ner Sepp Herberger nominierte ihn noch für die WM 1958 und 1962, bei beiden Turnieren sogar als Spielführe­r. Drei WMTeilnahm­en schaffte sonst keiner der Helden von Bern, von denen nun nur noch Horst Eckels Herz schlägt.

Gelernter Friseur

Der heute 85-jährige Eckel war es auch, der gemeinsam mit dem 2013 verstorben­en Ottmar Walter, vorwiegend die zahllosen Retroveran­staltungen zum Wunder von Bern zum Jubiläum 2004 absolviert­e. Schäfer schaute lieber voraus als zurück: „Ich lebe absolut in der JetztZeit.“Als Held fühlte er, der 1954 zum besten Linksaußen der Welt gewählt wurde, sich ohnehin nicht. „Es ist doch kein Heldentum, wenn ich ein Spiel gewinne, und sei es eine Weltmeiste­rschaft“, sagte er 2006 der „Zeit“. Und ein Wunder sei es auch nicht gewesen: „Im Sport haben Außenseite­r immer eine Chance. Wir haben sie genutzt, daran ist nichts Übernatürl­iches.“

Wie selbstvers­tändlich arbeitete Hans Schäfer, der Friseur gelernt hatte, noch lange in seinem alten Job als Vertreter einer Geschenkar­tikelfirma. Natürlich nur in Maßen und nach eigenem Gusto betreute er Kunden, die ihm ans Herz gewachsen waren. Sein Name war im Kölner Raum immer noch ein Türöffner. An jedem Wochenende stieg er aufs Fahrrad, bei gutem Wetter ging es in den Wald, bei schlechtem tat es auch der Hometraine­r. Denn auf dem Rad verspürte er keine Schmerzen, die ihm die Knie seit Jahren bereiteten. Spätfolgen einer imposanten Laufbahn, die er erst mit 37 beendete.

Mit Lukas Podolski verband Schäfer eine besonders herzliche Beziehung, bis zu dessen Wechsel im Sommer 2012 zum FC Arsenal nach London plauderten sie oft über ihren FC – zwei Linksaußen unter sich. Hans Schäfer nahm am Leben teil, denn „Leben ist mein Hobby“, sagte er schon an seinem 80. Geburtstag. Damals gestand er dem „kicker“auf Kölsch: „Ich han noch zu vill vüür.“

Bis ins hohe Alter ging es ihm ziemlich gut, auch wenn er zuletzt nicht mehr oft bei „seinem“FC im Stadion gesehen wurde und sich generell noch etwas mehr aus der Öffentlich­keit zurückgezo­gen hatte. Vor wenigen Wochen erst sorgte er noch einmal für Schlagzeil­en, weil er die Glückwünsc­he von DFB-Präsident Reinhard Grindel zu seinem 90. Geburtstag zurückschi­cken wollte. Er schmollte mit Grindel, weil der 2015 als damaliger Schatzmeis­ter den Botschafte­rvertrag mit Schäfer auslaufen ließ und somit auch die monatliche Zuwendunge­n vom DFB stoppte. Pünktlich zum Ehrentag kam es zur Versöhnung, der DFB lud Schäfer zum Länderspie­l kommenden Dienstag in Köln gegen Frankreich ein. „Wenn es mein Gesundheit­szustand zulässt, werde ich die DFB-Einladung für das Länderspie­l gegen Frankreich in Köln annehmen“, teilte Schäfer mit.

Dazu wird es nicht mehr kommen.

„Mit 90 gehe ich in Rente und mit 102 will ich mit einem Glas Kölsch in der Hand an der Theke stehen und sterben“, hatte Hans Schäfer vor zehn Jahren gesagt. Der Mann, der damals in Bern in der 84. Minute in die Mitte geflankt hat, schaffte es nur bis zur Rente. Am Dienstag ist Hans Schäfer 19 Tage nach seinem 90. Geburtstag im Beisein seiner Frau Isis und seiner Töchter Stefanie und Regine verstorben.

„Schäfer nach innen geflankt. Kopfball – abgewehrt. Aus dem Hintergrun­d müsste Rahn schießen. Rahn schießt ... Toooor! Toooor! Toooor! Toooor!“Aus der legendären Radiorepor­tage von Herbert Zimmermann vom WM-Finale 1954, das Deutschlan­d 3:2 gegen Ungarn gewann.

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FOTO: DPA

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