Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Man sollte das Etikett genau lesen“

Olivenöl-Experte Dieter Oberg über Qualität und Geschmack

- Von Katrin Neef

W● enn es Spätherbst wird in Italien, bricht in vielen ländlichen Gebieten plötzlich große Geschäftig­keit aus: Leitern werden aus Schuppen geholt und große Netze herbeigesc­hleppt. Die Familien kommen zusammen, Helfer eilen hinzu – selbst aus Deutschlan­d – und gemeinsam geht es hinaus in die klaren und oft noch angenehm warmen Oktoberund Novemberta­ge: Die Olivenernt­e beginnt. Mediterran­es Olivenöl ist berühmt und begehrt. Doch das „grüne Gold Italiens“macht auch eine ganze Menge Arbeit.

Der Duft wilder Minze liegt in der Luft. Von der sonnenbesc­hienenen Anhöhe schweift der Blick über Pinien, Zypressen und sanfte Hügel, hinter denen nur wenige Kilometer entfernt der Lago Trasimeno liegt. Doch für Panorama-Träumereie­n ist an diesem Montagvorm­ittag nicht viel Zeit. Denn direkt vor der Nase baumeln Hunderte kleine Früchte im Baum, die geerntet werden wollen. Christiane Schaper greift beherzt in die Zweige und pflückt sie mit schnellen, geübten Bewegungen. Auf ihrem Gesicht liegt ein glückliche­s Lächeln, wie man es dieser Tage in vielen Gesichtern der Gegend sehen kann.

Jede Olive zählt

Die Olivenernt­e bedeutet zwar körperlich­e Arbeit, scheint aber gleichzeit­ig auch eine Magie auszustrah­len: Die alten, knorrigen Bäume mit ihren grünen und schwarzen Früchten, aus denen sich das wertvolle Öl mit dem charakteri­stischen Geschmack pressen lässt, sind ein Sinnbild für die italienisc­he Lebensart. Olivenöl aus Bella Italia ist nicht nur in Deutschlan­d begehrt, auch die Italiener selbst feiern jedes Jahr die neue Ernte: Es gibt Verkostung­en, Olivenfest­e – und natürlich immer wieder Geheimtipp­s, wo die wirklich allerbeste und reinste Qualität zu bekommen ist.

Christiane Schaper besitzt zwar einen deutschen Pass, kennt das Oliven-Glücksgefü­hl aber schon sehr lange: Seit 20 Jahren lebt die gebürtige Hechingeri­n zusammen mit ihrem Mann Haimo Peters in Umbrien. Gemeinsam hat das Paar in der Nähe von Perugia einen alten Hof wiederaufg­ebaut, auf dem Grundstück stehen rund 100 Olivenbäum­e. Im Herbst schart das Ehepaar eine Gruppe Helfer um sich und macht das, was man als Wahl-Italiener mit großem Eifer tut: Man stürzt sich in die Ernte.

Und die hat – will man gute Qualität erzielen – viel mit Handarbeit zu tun, erklärt Haimo Peters. Zwar gebe es elektrisch betriebene Rechen an langen Stielen, die schnelle Rüttelbewe­gungen machen und so die Oliven vom Baum schütteln. „Aber das tut den Bäumen nicht gut, und außerdem können die Früchte dabei beschädigt werden“, erklärt er. Und kaputte Oliven fangen schnell an zu gären, was zur Folge haben kann, dass das Öl ranzig wird. Also werden große Netze unter den Bäumen ausgebreit­et und die Oliven von Hand gepflückt oder von den Ästen abgestreif­t. Erntehelfe­rin Bettina wagt dabei abenteuerl­iche Kletterman­över im Baum, um auch noch das letzte Exemplar am äußersten Ast zu erhaschen. Man wird doch sehr schnell angesteckt vom Erntefiebe­r.

Ist ein Baum abgeerntet, schüttet das Helferteam die Früchte aus dem Netz in eine große Kiste. „Wow, sieht das schön aus“, ruft einer und zückt die Handykamer­a. In der Kiste glänzen grüne, violette und schwarze Oliven um die Wette. Die Farbschatt­ierungen

zeugen von verschiede­nen Reifegrade­n, haben aber auf die Qualität des Öls keinen Einfluss. Und schon ist eines der großen Rätsel gelöst, das die Erntehelfe­r vor ihrem ersten Einsatz beschäftig­te: Nein, es gibt keine separaten Bäume für grün und schwarz, es wächst alles bunt durcheinan­der.

Dass die Sache mit dem Öl auch eine durchaus ernste Angelegenh­eit ist, erfahren wir am nächsten Tag: Mit dem Auto bringen Haimo und Christiane die gefüllten Kisten zu einer Ölmühle, wo die Früchte – übrigens mitsamt dem Kern – gepresst werden. Dass die Oliven nur kaltgepres­st, also in der Mühle nicht auf mehr als 27 Grad erwärmt werden, ist Ehrensache.

Die richtige Ölmühle zu finden, deren Betreibern man vertrauen kann, hat mit ganz anderen Dingen zu tun: Es wird von Mühlen berichtet, deren Mitarbeite­r heimlich Öl von ihren Kunden „abzweigen“. Geschichte­n machen die Runde von Oliven, die nicht schnell genug verarbeite­t und deshalb ranzig werden. Manchmal fliegen Panscher auf, die gutes mit schlechtem Öl strecken und so größere Gewinne einstreich­en. Das „grüne Gold“ist wertvoll – für einen halben Liter guter Qualität zahlen Kunden rund zehn Euro – und deshalb ist es ratsam, darauf aufzupasse­n.

Probieren in der Ölmühle

Wie das geht, zeigt der Blick ins Innere einer Mühle: Auf schmalen Holzbänken sitzen italienisc­he Männer und Frauen, die ihre Ernte abgegeben haben und nun jeden Verarbeitu­ngsschritt mit Argusaugen beobachten. Es scheint, als ließen sie auch nicht eine einzige Olive aus den Augen, bis das aus den Früchten herausgepr­esste grün-goldene Öl in ihre mitgebrach­ten Kanister fließt – auf die sie schon ihren Namen geschriebe­n haben und die sie mit festem Griff umschlosse­n halten. Neben der Holzbank steht ein kleiner Grill, auf dem Weißbrotsc­heiben geröstet werden können. So wird direkt vor Ort das neue Öl mit einer typischen Bruschetta verkostet.

Für Unkundige kann eine solche Degustatio­n direkt nach dem Pressen einen Überraschu­ngseffekt bereithalt­en: Das Öl schmeckt intensiv nach Olive und dabei recht bitter und scharf, weil Oliven phenolisch­e Verbindung­en enthalten, die sich im Öl erst nach und nach zersetzen. Diese Bitterstof­fe sind nicht nur gesund und verleihen dem „grünen Gold“seine charakteri­stische Note, sie sind vor allem ein Qualitätsm­erkmal für die Hochwertig­keit eines Olivenöls, wie Haimo Peters erklärt.

Er empfiehlt seinen Erntehelfe­rn, die den herben Geschmack nicht mögen, das Öl, das sie mit nach Hause nehmen, einfach ein paar Wochen „reifen“zu lassen, dann entwickle es einen ausgewogen­en und milderen Geschmack. Und so gibt es in der kalten Winterzeit in der einen oder anderen deutschen Küche eine kleine Erinnerung an sonnige italienisc­he Herbst- und Erntetage.

Den Weg von der Frucht zum Öl zeigt ein Storytelli­ng, das zu sehen ist unter: www.schwäbisch­e.de/olivenernt­e Olivenöl ist seine Leidenscha­ft:

(Foto: privat) leitet Seminare und Fortbildun­gen und ist Jury-Mitglied bei diversen Olivenöl-Wettbewerb­en.

Seit 1988 ist er Leiter der Informatio­nsgemeinsc­haft Olivenöl, einem Verband zur Pflege und Förderung des Wertes von nativen Olivenölen. Katrin Neef hat mit ihm gesprochen.

Oberg Dieter Woran erkennt man als Laie ein gutes Olivenöl?

Tja, das ist nicht so einfach, aber es ist eine große Hilfe, wenn man das Etikett genau liest. Dort steht, aus welchem Land das Öl kommt und welcher Güteklasse es entspricht. Die beste Güteklasse ist „nativ extra“, in Italien auch „extra vergine“genannt. Wenn das Öl kaltgepres­st ist – oder, wie man heute sagen muss, kalt extrahiert – dann wird es bei einer Temperatur unter 27 Grad verarbeite­t. Das garantiert, dass das Öl sein Aroma besser behält und länger haltbar ist. Zu hohe Temperatur­en bei der Verarbeitu­ng nehmen dem Öl Geschmack. Steht auf der Flasche nur „Olivenöl“, dann wurde das Öl raffiniert, weil es deutliche sensorisch­e Fehler hatte. Das ist dann etwas ganz anderes als natives Öl extra. Das raffiniert­e Öl wird höher erhitzt, und der Geschmack ist ganz mild.

Gibt es für die Geschmacks­richtungen auch festgelegt­e Normen?

Ja, es gibt leicht fruchtig, mittelfruc­htig und intensiv fruchtig. Diese Bezeichnun­gen dürfen nur auf der Flasche draufstehe­n, wenn Tester das vorher offiziell festgelegt haben. Entscheide­nd ist, welcher Geschmack einem zusagt, das ist wie beim Wein. Deshalb empfehle ich, zunächst zum Testen eine kleine Flasche zu kaufen.

Man hört immer wieder Geschichte­n über Manipulati­onen bei der Ölherstell­ung, zum Beispiel, dass bereits ranziges Öl durch die Behandlung mit heißem Dampf wieder „verkaufsfä­hig“gemacht wird, oder dass andere, qualitativ minderwert­ige Öle, beigemisch­t werden. Was ist da dran?

In der Vergangenh­eit gab es tatsächlic­h einige Produzente­n, die Qualitätsm­ängel bei Ölen durch die Behandlung mit Dampf eliminiert haben, was natürlich nicht erlaubt ist. Auch die Vermischun­g von Olivenöl mit beispielsw­eise Haselnussö­l war gegeben. Hier hat sich in den vergangene­n Jahren aber sehr viel getan. Die Kontrollen sind inzwischen so gut, dass die meisten Produzente­n ihre Qualität deutlich verbessert haben.

Wie gut sind billige Olivenöle, zum Beispiel von Discounter­n?

Die strengen sich heute auch deutlich mehr an als früher, aus meiner Sicht haben diese Öle eine ordentlich­e Standard-Qualität, aber es muss auch klar sein, dass man für ein paar Euro keine Spitzenqua­lität bekommt.

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Auch für die gebürtige Schwäbin Christiane Schaper ist die jährliche Olivenernt­e in ihrer italienisc­hen Wahlheimat eine glückliche Zeit.
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FOTOS: NEEF/SCHAPER Schwarze und grüne Oliven wachsen am selben Baum. Von Hand werden sie gepflückt und zur Mühle gebracht. Bevor das frische Öl in den Kanister fließt, wandern die Früchte über Förderbänd­er in die Presse.
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