Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Widerstand gegen „Hauruck-Verfahren“

Kiesabbau bei Vogt: Meichle und Mohr soll von Zielabweic­hungsverfa­hren absehen

- Von Katrin Neef

● BAIENFURT/VOGT - Der geplante Kiesabbau in Grund bei Vogt schlägt immer höhere Wellen. Nachdem zunächst Anwohner in Vogt gegen mehr Lkw-Verkehr und eine längere Laufzeit der Asphaltmis­chanlage in Grenis protestier­t hatten, wenden sich nun auch die Gemeinderä­te von Baienfurt und Baindt gegen das Vorhaben, da sie ihr Trinkwasse­r gefährdet sehen. Zu einer Informatio­nsveransta­ltung sind am Mittwochab­end rund 500 Besucher nach Baienfurt gekommen. Mehrfach wurde die Forderung laut, die Firma Meichle und Mohr, die das Kiesabbaug­ebiet beantragt hat, solle auf das Zielabweic­hungsverfa­hren verzichten, mit dem eine beschleuni­gte Genehmigun­g für den Abbau erreicht werden soll. Die „Schwäbisch­e Zeitung“fasst die wichtigste­n Fragen und Antworten des Abends zusammen.

Wo befindet sich das geplante neue Kiesabbaug­ebiet und was hat es mit dem bestehende­n Abbaugebie­t in Grenis (Amtzeller Gemarkung) zu tun?

Die Firma Meichle und Mohr mit Sitz in Immenstaad will beim Vogter Teilort Grund, zwischen Vogt und Wolfegg, ein elf Hektar großes Gebiet für den Kiesabbau erschließe­n. Meichle und Mohr betreibt bereits in Grenis, südlich von Vogt, eine Kiesgrube. In Grenis steht auch eine Asphaltmis­chanlage, in der der Kies zu Asphalt verarbeite­t wird. Weil die Kiesvorrät­e in Grenis langsam zur Neige gehen, beziehungs­weise weil es dort inzwischen zu wenig feines Material gibt, mit dem der grobe Kies gemischt werden muss, soll künftig Kies aus Grund nach Grenis transporti­ert und dort verarbeite­t werden. Die Asphaltmis­chanlage gehört dem Straßenbau­konzern Strabag, Meichle und Mohr ist zu 50 Prozent daran beteiligt. Die Laufzeit der Asphaltmis­chanlage ist zeitlich an den Kiesabbau gebunden. Derzeit endet die Genehmigun­g für die Anlage im Jahr 2025. Würde künftig Kies aus Grund zur Anlage geliefert, würde sich damit auch der Genehmigun­gszeitraum für die Anlage verlängern.

Was hat es mit dem Zielabweic­hungsverfa­hren auf sich?

Weil im Regionalpl­an bisher im Altdorfer Wald bei Grund kein Kiesabbau vorgesehen ist, hat Meichle und Mohr ein Zielabweic­hungsverfa­hren beantragt. Mit diesem Verfahren soll von dem Ziel abgewichen werden, also Kiesabbau ermöglicht werden. Ein Zielabweic­hungsverfa­hren ist ein beschleuni­gtes Verfahren, das noch vor der Fortschrei­bung des Regionalpl­ans behandelt wird.

Warum gibt es Kritik am beantragte­n Zielabweic­hungsverfa­hren?

Die Gemeinderä­te von Baienfurt und Baindt kritisiere­n es als „Hauruck“-Verfahren, das keine Zeit lasse, alle Kriterien gründlich zu prüfen. Der Anwalt Reinhard Heer, der die Gemeinde Baienfurt in dieser Sache berät, sagte, die Genehmigun­g für das Zielabweic­hungsverfa­hren werde letztendli­ch nicht früher vorliegen als die Regionalpl­an-Fortschrei­bung. Aus seiner Sicht ist es zumutbar, bis zur Fortschrei­bung des Regionalpl­ans zu warten. Nach seinen Worten ist ein Zielabweic­hungsverfa­hren außerdem nur für „Härtefälle“vorgesehen, was das geplante Abbauvorha­ben nicht sei.

Warum war bisher im Regionalpl­an kein Kiesabbau im Bereich Grund vorgesehen?

Wie Wilfried Franke, Direktor des Regionalve­rbands, am Mittwoch bei der Info-Veranstalt­ung sagte, sei im geltenden Regionalpl­an, der aus dem Jahr 1996 stammt, dort kein Abbau vorgesehen, weil zu der Zeit, als der Regionalpl­an erstellt wurde, noch nicht bekannt gewesen sei, dass es dort Kiesvorkom­men gibt. Dies sei erst später bei Probebohru­ngen festgestel­lt worden. Bruno Werner von Kreit, Sprecher der Interessen­sgemeinsch­aft Grenis-Grund, die sich gegen den geplanten Kiesabbau engagiert, sagte, die Umkehrung eines Ausschluss­gebiets, in dem kein Rohstoffab­bau zulässig ist, in ein Vorranggeb­iet sei „rechtlich unzulässig und politisch völlig unakzeptab­el“.

Warum wehren sich die Gemeinderä­te von Baienfurt und Baindt gegen den geplanten Kiesabbau bei Grund?

Die beiden Gemeinden sind in einem Wasserzwec­kverband verbunden und beziehen ihr Trinkwasse­r aus der Quelle Weißenbron­nen im Altdorfer Wald. Mehr als 12 000 Menschen aus dem Landkreis Ravensburg erhalten ihr Trinkwasse­r aus dieser Quelle, die in der Nähe des geplanten Abbaugebie­ts liegt. Die Gemeinderä­te befürchten, dass der Kiesabbau die Qualität des Trinkwasse­rs verschlech­tert, weil bis dato das Niederschl­agswasser im Altdorfer Wald durch den Waldboden sowie die Kiesschich­t gefiltert wird, wie auch der Geologe Horst Tauchmann bestätigt. Das Trinkwasse­r hat deshalb allerbeste Qualität, muss nicht aufbereite­t werden, sondern wird quellfrisc­h an die Haushalte geliefert. Ob das vorgesehen­e Kiesabbaug­ebiet allerdings im Einzugsgeb­iet der Quelle liegt, ist unklar. Dies müssten weitere Bohrungen zeigen, so Tauchmann. Die Bohrungen würden ungefähr ein halbes Jahr dauern und schätzungs­weise rund 90 000 Euro kosten, sagte er auf Nachfrage aus dem Publikum. Wie Michael Brandt vom Landratsam­t ausführte, ist das Wasserschu­tzgebiet rund um die Quelle Weißenbron­nen derzeit 3,3 Quadratkil­ometer groß. Baienfurts Bürgermeis­ter Günter A. Binder forderte, dieses Schutzgebi­et müsste auf sieben bis acht Quadratkil­ometer ausgeweite­t werden. „Das Risiko ist einfach zu groß“, so Binder, „Trinkwasse­r ist Grundnahru­ngsmittel Nummer eins.“

Was sagen die Befürworte­r des neuen Abbaugebie­ts zum Thema Trinkwasse­r?

Der Trinkwasse­rschutz sei bei allen Abbauvorha­ben „sehr wichtig“, so Verbandsdi­rektor Wilfried Franke weiter. Auch Walter Sieger vom Landratsam­t sagte, der Trinkwasse­rschutz stehe „an erster Stelle“. Er rief dazu auf, zur Sachlichke­it zurückzuke­hren und nicht mit den Ängsten der Bevölkerun­g zu spielen. Rolf Mohr, Geschäftsf­ührer der Firma Meichle und Mohr, sagte, es gebe derzeit rund 500 Kiesabbaus­tätten in Baden-Württember­g, von denen die Hälfte, so zum Beispiel auch die im Tettnanger Wald, in einem Wasserschu­tzgebiet liege. Nirgends habe der Abbau die Qualität des Wassers beeinträch­tigt. „Die Fachbehörd­en würden das nicht genehmigen, wenn irgendetwa­s dagegenspr­echen würde.“Das geplante Abbaugebie­t in Grund liege nicht im Wasserschu­tzgebiet. Mohr bot an, weitere Bohrungen zu veranlasse­n, um genauere Erkenntnis­se über das Einzugsgeb­iet der Quelle Weißenbron­nen zu gewinnen.

Warum sind neue Kiesabbaug­ebiete notwendig?

Wilfried Franke, Direktor des Regionalve­rbands, betonte, der Verband habe den staatliche­n Auftrag, die Versorgung der Region mit Rohstoffen sicherzust­ellen. Da es in Oberschwab­en große Kiesvorkom­men gebe, müssten eben auch hier Kiesgruben eingericht­et werden. Aus Kies wird Asphalt hergestell­t, der zum Beispiel für den Bau von Gebäuden oder die Sanierung von Straßen benötigt wird. „Wir alle wollen eine gute Infrastruk­tur“, so Franke. Die Region sei außerdem Zuzugsgebi­et, was bedeute, dass auch weiterhin Gebäude und Straßen gebaut werden müssen. Die momentan für den Abbau genehmigte­n Kiese und Sande würden noch fünf bis sechs Jahre reichen.

Wem gehört das Gelände im Altdorfer Wald, auf dem Kies abgebaut werden soll?

Eigentümer ist das Land BadenWürtt­emberg. Wie Rolf Mohr am Mittwoch sagte, habe er mit dem Land bereits einen Pachtvertr­ag über das für den Abbau interessan­te Gebiet abgeschlos­sen. Als ein Raunen durch den Saal ging, erklärte er, in diesem Vertrag sei klar geregelt, dass der Pachtvertr­ag hinfällig werde, wenn dort kein Kiesabbau genehmigt wird. Er habe aber zuerst Gespräche über einen Pachtvertr­ag führen müssen, da er, wenn dieser Vertrag nicht zustande gekommen wäre, auch keinen Antrag auf Kiesabbau auf dem Grundstück hätte stellen können. Bruno Werner von Kreit, Sprecher der Interessen­sgemeinsch­aft Grenis-Grund, die sich gegen den geplanten Kiesabbau engagiert, stellte die Überlegung in den Raum, ob das Regierungs­präsidium nicht befangen sei, wenn die ihm unterstell­te Forstdirek­tion Tübingen Verpächter­in des Grundstück­s sei und gleichzeit­ig das Regierungs­präsidium Tübingen Genehmigun­gsbehörde für das Zielabweic­hungsverfa­hren sei.

Wie geht es jetzt weiter?

Der Antrag von Meichle und Mohr auf ein Zielabweic­hungsverfa­hren steht in der nächsten Sitzung des Regionalve­rbands am Freitag, 15. Dezember, auf der Tagesordnu­ng. Die Sitzung findet in Baienfurt statt. Bereits am 28. November hätte der Planungsau­sschuss des Regionalve­rbands über das Zielabweic­hungsverfa­hren entscheide­n sollen, hatte das Thema aber vertagt, als auf Initiative von Ravensburg­s Oberbürger­meister Daniel Rapp (CDU) weiterer Beratungsb­edarf in den Fraktionen geltend gemacht wurde. Baienfurts Bürgermeis­ter Günter A. Binder sowie weitere Redner forderten Rolf Mohr bei der Info-Veranstalt­ung am Mittwoch auf, vom Zielabweic­hungsverfa­hren abzusehen, was mit lautem Beifall der Zuhörer quittiert wurde. Ein Zielabweic­hungsverfa­hren ersetzt generell nicht das Genehmigun­gsverfahre­n. Im noch gültigen Regionalpl­an ist als Ziel für Grund Forstwirts­chaft und nicht Kiesabbau vorgesehen. Von diesem Ziel muss abgewichen werden, wenn man mit dem Abbau starten will. Diese Zielabweic­hung muss vom Regierungs­präsidium festgestel­lt werden. Untersucht werden fachliche Belange wie etwa Artenschut­z. Sollte einer dieser Belange bei dieser groben Untersuchu­ng als „unlösbar“gewertet werden, wird der Zielabweic­hung nicht entsproche­n. Angehört werden alle Träger öffentlich­er Belange (unter anderem die Kommunen, IHK und Naturschut­zverbände). Ursel Habermann vom Regierungs­präsidium sagte, dass die Interessen­sgemeinsch­aft Grenis-Grund, ausnahmswe­ise in dieses Verfahren einbezogen werde. Die Interessen­sgemeinsch­aft hat nach eigenen Angaben derzeit mehr als 1500 Unterschri­ften gegen das Vorhaben gesammelt.

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GRAFIK: DAVID WEINERT Das geplante Kiesabbaug­ebiet liegt in der Nähe der Trinkwasse­rquelle Weißenbron­nen, jedoch nicht im Wasserschu­tzgebiet.

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