Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Union und SPD für Fleischkennzeichnung
Umweltschützer fordern Halbierung des Konsums – Bauern wollen klimaschonender arbeiten
● BERLIN/RAVENSBURG - Die Deutschen sollten aus Sicht von Umweltschützern nur noch halb so viel Fleisch essen und die Tierbestände kräftig abbauen. Anders seien weder die Klimaziele noch mehr Tier- und Naturschutz zu erreichen. „Weniger und dafür besser ist die Losung“, sagte der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Hubert Weiger, am Mittwoch bei der Vorstellung des Fleischatlas 2018 in Berlin. Er forderte eine verpflichtende Fleischkennzeichnung und eine Abgabe auf Stickstoffüberschüsse, wie sie durch große Güllemengen entstehen.
Mehr Tierschutz, vor allem die Kennzeichnung von Fleisch aus besserer Tierhaltung, wollen Union und SPD im Fall einer neuen gemeinsamen Regierung umsetzen. „Die Erkennbarkeit von tierischen Lebensmitteln, die über die gesetzlichen Vorgaben der Haltung hinausgehen, wollen wir verlässlich, einfach und verbraucherfreundlich gestalten“, heißt es im Papier der zuständigen Sondierungsgruppe. Ein Tierwohllabel hatte sich schon die bisherige schwarz-rote Koalition vorgenommen, es aber nicht umgesetzt. Weiger hatte der Regierung zuvor vorgeworfen, Maßnahmen nur anzukündigen, aber nicht umzusetzen.
Der Bauernverband bekräftigte derweil, dass die Landwirtschaft die Erzeugung klimaschonender machen wolle. Dazu sollten unter anderem Düngemittel mit neuer Technik sparsamer eingesetzt und mehr Gülle in Biogasanlagen verwertet werden. „Wir stehen zu unserem ehrgeizigen Ziel, die Emissionen an Treibhausgasen aus der Landwirtschaft um 30 Prozent bis 2030 gegenüber 1990 zu senken“, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied am Mittwoch.
Der Agrarwissenschaftler Philipp von Gall von der Universität Hohenheim kritisierte in der „Schwäbischen Zeitung“den oftmals zu niedrigen Preis für Fleisch. Viele Kosten seien nicht im Preis einberechnet, etwa die Reinigung des Trinkwassers von Nitrat, die Subventionierung von Stallbauten und Futtermitteln – oder auch die Folgen des Klimawandels. „Das zahlen die künftigen Generationen“, sagte von Gall am Mittwoch.
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BERLIN - „Am Donnerstag ist der Zieleinlauf, wir sind erst auf der Zielgeraden.“Am Mittwochabend trat Unionsfraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer vor die Kameras, berichtete in der CDU-Parteizentrale von „dicken Brocken“, die am letzten Tag der Sondierungen von Union und SPD noch aus dem Weg zu räumen seien. „Ich bin optimistisch, dass wir das schaffen“, will GrosseBrömer von einem Scheitern nichts wissen. Aber „harte Verhandlungen“stünden noch bevor, kündigt er an, schließlich gehe es um „Herzensanliegen“, für die die verschiedenen Parteien gewählt worden seien.
Von angeblichen Durchbrüchen beim Familiennachzug, bei Verkehrsoder Umweltfragen wollte der CDUMann noch nichts wissen. „Wir haben keine Endergebnisse, nur Zwischenergebnisse“, sieht er das Ziel noch nicht erreicht. Intensiv werde vor allem noch darüber verhandelt, wie die vielen Wünsche finanzierbar seien, auf 100 Milliarden Euro sollen sie sich summieren. Die Zahl lässt Grosse-Brömer unkommentiert, betont aber: „Alle wollen an einer soliden Haushaltspolitik festhalten.“
Sollten sich Union und SPD in den Sondierungen einigen, müsste wohl der SPD-Parteitag am 21. Januar den Kompromiss absegnen, schließlich hatte der letzte Parteitag die Wiedereinführung des Familiennachzugs gefordert. Bei grünem Licht des Parteitages könnte ein entsprechendes Gesetz im Eilverfahren durch Bundestag und Bundesrat gebracht werden. Eile ist geboten, zumindest aus Sicht von CDU und CSU: Wenn Bundestag und Bundesrat nicht bis zum 16. März ein neues Gesetz verabschieden, könnten Flüchtlinge mit befristetem Schutz wieder ihre engsten Familienangehörigen nach Deutschland holen. Aus Sicht der Union droht dann eine neue Zuzugswelle, die die Integrationskraft des Landes überfordern würde. Die SPD dagegen will den vor zwei Jahren ausgesetzten Familiennachzug für subsidiär Geschützte nach zwei Jahren wieder zulassen und hält die Szenarien von CDU und CSU für übertrieben.
150 000 mit subsidiärem Schutz
Das Grundgesetz stellt Ehe und Familie „unter besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“. Das gilt grundsätzlich zwar auch für Ausländer, weswegen Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge ihre Ehepartner und Kinder nachholen dürfen. Zu Flüchtlingen unter 18 Jahren dürfen Eltern und minderjährige Geschwister nachziehen. Ein automatisches Nachzugsrecht für Flüchtlinge mit lediglich subsidiären Schutzrechten – Bürgerkriegsflüchtlinge, die nur ein bis drei Jahre bleiben dürfen und kein politisches Asyl erhalten – gibt es aber weder nach deutschem und europäischem Recht noch nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Unter dem Eindruck der Flüchtlingswelle hat die Große Koalition 2016 diese Gruppe vom Familiennachzug ausgenommen. So sollte verhindert werden, dass Familien ein Mitglied auf die Flucht nach Deutschland schicken, in der Erwartung, dass die ganze Familie rasch nachfolgen könne.
Die Union erwartet, dass „bis zu 300 000 Familienangehörige“von Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz den Zuzug nach Deutschland beantragen könnten, wenn der Familiennachzug für diese Gruppe wieder zugelassen wird. Sie beruft sich auf Schätzungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Die SPD und Flüchtlingsorganisationen rechnen mit 70 000 bis 80 000 potenziellen Nachzüglern. Derzeit leben in Deutschland 150 000 Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz, ein Großteil sind ledige Männer, die ohnehin keine Angehörigen nachholen dürften.
Die FDP hat angekündigt, selbst einen Gesetzentwurf zum Stopp des Familiennachzugs in den Bundestag einzubringen, sollte Union und SPD kein Durchbruch gelingen.