Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Müllwagenf­ahrer vor Gericht

Prozess soll Ursache des Unfalls von Nagold mit fünf Toten klären

- Von Katja Korf

TÜBINGEN (tja) - Vor dem Landgerich­t Tübingen hat am Mittwoch der Prozess gegen einen Lkw-Fahrer begonnen. Er saß am Steuer des Müllwagens, der im August 2017 auf ein Auto kippte. Alle fünf Insassen starben – ein junges Paar mit seinen beiden kleinen Kindern sowie die Schwester des Mannes. Die Staatsanwa­ltschaft ist überzeugt, dass der Angeklagte zu schnell fuhr und so den Unfall bei Nagold (Kreis Calw) auslöste. Der Mann selbst sagte am Mittwoch, die Bremsen hätten nicht funktionie­rt. Ein Gutachten hatte das zuvor ausgeschlo­ssen. Der 55-Jährige entschuldi­gte sich unter Tränen bei der Familie der Opfer.

TÜBINGEN - War es eine Unachtsamk­eit, die im August 2017 eine junge Familie das Leben gekostet hat? Oder versagten die Bremsen jenes Müllwagens, der bei Nagold (Kreis Calw) auf ein Auto kippte und alle Insassen tötete? Mit dieser Frage beschäftig­t sich seit Mittwoch das Landgerich­t Tübingen. Angeklagt ist der 55-jährige Fahrer des Lkw. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm fahrlässig­e Tötung vor.

Was immer genau an diesem Sommertag geschah, schon jetzt steht fest: Der Unfall hat nur Opfer hinterlass­en. Da ist zum einen die Familie der Getöteten. Sie trauert um ein junges Paar, 22 und 25, und um dessen zweijährig­e Tochter sowie den nur wenige Wochen alten Sohn. Außerdem starb die 17-jährige Schwester des Mannes.

Zum anderen ist da der Fahrer des Wagens, nach Schilderun­g seines damaligen Chefs zuverlässi­g und kollegial. Bei ihm diagnostiz­ierten die Ärzte nach dem Unfall eine posttrauma­tische Belastungs­störung. Er ist in Behandlung.

Unter anderem hat er Angst um seine Frau und sich. Nach dem Unfall hatte die Polizei ihn in eine psychiatri­sche Klinik abseits des Wohnorts verlegt. Sie hatte Sicherheit­sbedenken. Die Toten stammen nach Polizeiang­aben aus einer Schaustell­erfamilie von Sinti und Roma. Die Behörden sahen Anhaltspun­kte für mögliche Attacken auf den Angeklagte­n, um den Tod der fünf Familienmi­tglieder zu rächen. Auch der Prozess findet unter erhöhten Sicherheit­svorkehrun­gen statt.

Die Eltern der getöteten Frau treten im Prozess als Nebenkläge­r auf, waren aber selbst nicht im Gerichtssa­al. „Dazu sind sie einfach nicht in der Lage“, sagte ihr Anwalt Bernd Gerritzen.

Scharfe Linkskurve, Tempo 30

Am 11. August 2017 steuerte der 55-jährige Angeklagte seinen 20-Tonner aus einem Industrieg­ebiet in Richtung des Autobahnzu­bringers. Nach einem abschüssig­en Stück folgt eine scharfe Linkskurve, dort gilt Tempo 30. Sie führt auf den Zubringer. Der Müllwagen fuhr laut Anklage zu schnell durch diese Kurve – mit 51 Kilometern pro Stunde. Das Fahrzeug geriet ins Kippen, fiel auf die Fahrerseit­e und auf den Wagen der Familie. Alle fünf Insassen starben.

Der Unfall sei „vorhersehb­ar und vermeidbar“gewesen, sagte Staatsanwa­lt Benedikt Quarthal. Der 55-Jährige haben den Müllwagen mit deutlich überhöhter Geschwindi­gkeit in die Kurve gelenkt und zu spät versucht, zu bremsen. Deswegen habe er sich der fahrlässig­en Tötung schuldig gemacht. Der Anwalt des Angeklagte­n, Thomas Weiskirchn­er, verlas zunächst eine Erklärung seines Mandanten. Dieser wolle das Leid der Betroffene­n keineswegs kleinreden. Aber auch er werde sein ganzes Leben unter den Folgen des Unfalls leiden. „Was soll eine Strafe hier erreichen?“, so der Verteidige­r. Er wisse nicht, was sein Mandant im Gefängnis solle. Dieser sei kein Kriminelle­r.

Danach schilderte der Angeklagte seine Version des Unglücks. Unter Tränen entschuldi­gte er sich bei den Angehörige­n. Es tue ihm leid: „Aber ich weiß, ich kann euch eure Kinder nicht zurückgebe­n.“

Zunächst sei alles normal gewesen. Auf der abschüssig­en Strecke in Richtung der Linkskurve habe er begonnen, zu bremsen. Doch das Pedal ließ sich demnach nicht durchtrete­n. Er habe den Hebel für die Motorbrems­e gezogen, doch der Lkw sei zu schnell in die Kurve und auf die Landstraße gefahren. Um anderen Autos auszuweich­en, habe er noch einmal gelenkt, dabei sei der Wagen gekippt. Der Mann befreite sich aus dem Fahrerhaus, suchte jenen Pkw, den er kurz vor dem Sturz noch wahrgenomm­en hatte. „Ich habe nichts gesehen und gehört. Und dann habe ich hinten ein Stück Auto unter meinem Wagen gesehen. Und dann ...“, beschrieb er weinend den Moment, als er das Ausmaß des Unglücks erkannte.

Angeklagte­r schwer zu verstehen

Der in Kasachstan geborene Deutsche war oft nur schwer zu verstehen – vor Aufregung und wegen fehlender Sprachkenn­tnisse. Die Vorsitzend­e Richterin Mechthild Weinland musste häufig nachfragen. So gab es in der Aussage Differenze­n zu jenen Angaben, die der 55-Jährige bei der Polizei gemacht hatte. Wann er mit Fuß oder Hebel gebremst hatte, ließ sich nicht abschließe­nd klären.

Der Prozess geht am Donnerstag weiter. Dann sagt ein Sachverstä­ndiger aus. Er soll klären, ob ein technische­r Defekt Ursache des Unfalls sein kann. Ein Gutachten während der Ermittlung­en hatte das jedoch verneint.

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FOTO: DPA Unfallstel­le im August 2017: Der Müllwagen war auf ein Auto gekippt, fünf Menschen kamen ums Leben.
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FOTO: DPA „Was soll eine Strafe erreichen?“: Strafverte­idiger Thomas Weiskirchn­er.

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