Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Wo Frauen in den Kirchen stehen

Frauen im Südwesten haben ihre festen Rollen in beiden Kirchen gefunden – und doch sind sie nicht gleichbere­chtigt

- Von Heidi Friedrich

STUTTGART (HF) - Die Rolle der Frau in den beiden großen Kirchen ist heute zwar gefestigt und ihr Beitrag in der Gemeindear­beit unersetzli­ch, doch die Stellung der Geschlecht­er – insbesonde­re in der katholisch­en Kirche – ist von Gleichbere­chtigung, wie sie Jacqueline Straub fordert, weit entfernt. Die 27-Jährige, die in Pfullendor­f aufgewachs­en ist, will katholisch­e Priesterin werden. Aber auch evangelisc­he Pfarrerinn­en sind nicht überall so anerkannt wie ihre männlichen Kollegen. Das gilt auch heute noch – 100 Jahre nachdem Frauen in Deutschlan­d das Wahlrecht erlangt haben.

„Die alten Stereotype schwirren nicht selten noch in den Köpfen herum.“

„Ich richte mein Augenmerk auf das, was ich darf, nicht auf das, was mit versagt bleibt.“

D● er heutige Weltfrauen­tag ist geprägt von zwei Meilenstei­nen im Ringen um die Gleichstel­lung von Frauen, denn genau vor 100 Jahren wurde ihnen in Deutschlan­d das Wahlrecht zugestande­n. Und vor 50 Jahren beschloss die Synode der evangelisc­hen Landeskirc­he in Württember­g die Frauenordi­nation. Frauen durften nun Pfarrerinn­en werden. Doch noch immer sind sie in vielen Bereichen, oder auch oft in den Köpfen der Menschen, nicht gleichbere­chtigt. Sichtbar wird das etwa an den durchschni­ttlich niedrigere­n Gehältern von Frauen in der Wirtschaft. Aber auch Frauen, die in den Kirchen als Pfarrerinn­en und Pastoral- oder Gemeindere­ferentinne­n angestellt sind, hinterfrag­en ihre Stellung sowie Akzeptanz bei Mitglieder­n und in der Öffentlich­keit.

Ärztin zu werden oder Sozialpäda­gogin, das hätte sich Dorothee Sauer auch gut vorstellen können. Doch stattdesse­n ist sie Pfarrerin geworden. Denn schon während ihrer Berufsorie­ntierung merkte sie, dass sie ihre Arbeit nicht beim Tod enden lassen wollte. Sie wünschte sich Menschen auch im Transzende­nten nahezusteh­en. „Ich will mit den Menschen der Frage nachgehen, was die Welt im Innersten zusammenhä­lt und was die Seele ausmacht“, sagt Sauer. Sie empfindet ihre Tätigkeit als Mischung aus Theologie, Psychologi­e und Philosophi­e. Wie vielseitig ihr Beruf sein würde, war ihr anfangs nicht bewusst: „Als Pfarrerin bin ich nicht nur verantwort­lich für die spirituell­e oder religiöse Begleitung von unseren Gemeindemi­tgliedern. Auch die gesellscha­ftlichen, politische­n und ökologisch­en Fragen sind Thema meiner Predigten. Ich möchte eine ganzheitli­che Orientieru­ng auf der Basis christlich­er Werte geben“, sagt die 45-Jährige.

Schon als Jugendlich­e betätigte sie sich aktiv in ihrer Gemeinde: Kinderkirc­he, Bibelgespr­äche, Jugendfrei­zeiten, die Organisati­on von Osternacht­feiern. Das kirchliche Engagement war ein selbstvers­tändlicher Bestandtei­l ihres Lebens. Dazu passte ihr Entschluss für das

Studium der evangelisc­hen Theologie. Alle Wege standen ihr ja offen. Nach dem Vikariat in Heilbronn übernahm sie gemeinsam mit ihrem Mann, Matthias Ströhle, ebenfalls Pfarrer, den Aufbau einer Gemeinde in Erolzheim-Rot in der Nähe von Biberach. Die beiden teilten sich 13 Jahre lang die Pfarrstell­e zu je 50 Prozent. Letztes Jahr wechselten sie in derselben Konstellat­ion in ein Pfarramt nach Sigmaringe­n. Sauer ist dort zusätzlich Co-Dekanin im Kirchenbez­irk Balingen.

Für die Theologin ist es unvorstell­bar, dass es ihr verboten wäre, ihren Beruf auszuüben. „Es ist eine große Freude für mich, Pfarrerin zu sein. Ich liebe meinen Beruf. Er ist mein Leben. Ich wäre fassungslo­s, wäre mir dies aufgrund meines Geschlecht­s versagt geblieben“, sagt sie. Im Studium allerdings hatte sie deutlich mitbekomme­n, dass die feministis­che Theologie von manchen Kommiliton­en belächelt, kleingered­et und sogar bekämpft wurde. Mittlerwei­le sind etwa ein Drittel der circa 19 000 evangelisc­hen Pfarrstell­en von Frauen besetzt.

Doch selbst heute beobachtet die Pfarrerin bei manchen evangelisc­hen Kirchenmit­gliedern, dass die Akzeptanz von Frauen im Talar noch immer nicht 100-prozentig ist: „In der jungen Generation ist das kein Thema mehr, aber bei manchen Älteren ist die Gleichbere­chtigung noch nicht ganz angekommen. Die alten Stereotype schwirren nicht selten noch in deren Köpfen herum“, sagt Sauer. Auch Eva Bachteler vom Konvent Evangelisc­her Theologinn­en sieht die Gleichbere­chtigung von Frauen noch nicht auf allen Ebenen der evangelisc­hen Kirche erreicht: „Ein geschlecht­erspezifis­cher Blick ist erst ansatzweis­e vorhanden, sowohl in der Pastoralth­eologie als auch bei der Frage nach der Rolle oder des Amtes des Pfarrers und der Pfarrerin“, sagt sie. Im Theologinn­enkonvent engagiert sich Bachteler in der Interessen­vertretung von angestellt­en Frauen in der evangelisc­hen Kirche sowie von Frauen allgemein in der Gesellscha­ft.

„Es stehen eben 50 Jahre Frauenordi­nation gegen 500 Jahre Reformatio­n“, betont Sauer. Dabei war der Kirchengrü­nder

Dorothee Sauer, evangelisc­he Pfarrerin

Martin Luther von Anfang an eindeutig für die Chancengle­ichheit, wie er 1520 in seiner Schrift „An den christlich­en Adel deutscher Nation von des christlich­en Standes Besserung“schrieb: „Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht sei, obwohl es nicht einem jeglichen ziemt, dieses Amt auszuüben.“Und er erklärte, dass „wir alle gleichmäßi­g Priester sind“. Das wurde lange Zeit faktisch in der evangelisc­hen Kirche so aber eben nicht gelebt. Dabei waren Pfarrfraue­n schon immer in den Gemeinden unausgespr­ochen in der Pflicht. Es wurde von ihnen erwartet, dass sie viele Aufgaben, wie soziale Dienste, ehrenamtli­ch verrichten und ihrem Mann damit ohne Vergütung zur Seite stehen.

Sauer hält die Kombinatio­n von einer Frau und einem Mann, bei gleicher Bezahlung sowie gesellscha­ftlicher Anerkennun­g, auf einer Pfarrstell­e für ideal, weil man sich so gut ergänzen könne. „Mein Mann und ich haben beide den tiefen Wunsch, die Welt besser zu hinterlass­en, als wir sie betreten haben. Wir wollen dazu beitragen, dass für alle Menschen Gottes Licht und Güte spürbar werden und alle Erlösung im Glauben finden. Und das ist nicht an ein bestimmtes Geschlecht gebunden.“

Genauso geht es Maritta Lieb. Auch sie möchte mit ihrer Arbeit Gutes in die Welt bringen und damit ihren christlich­en Glauben bezeugen. Lieb ist eine von 3500 katholisch­en Gemeindere­ferentinne­n in Deutschlan­d. Im Vergleich zu den Pastoralre­ferenten, die Theologie studiert haben, durchlaufe­n Gemeindere­ferenten in der Regel eine religionsp­ädagogisch­e Ausbildung. Die 51-Jährige ist in der Seelsorgee­inheit Sigmaringe­n vor allem für die Vorbereitu­ng der Erstkommun­ion und spezieller Gottesdien­ste sowie den Gemeindebr­ief und für die Seelsorge zuständig. Zudem hält sie Beerdigung­en und Urnenbeise­tzungen ab.

Die Spendung der Sakramente allerdings bleibt den Priestern vorbehalte­n, so zum Beispiel Eheschließ­ungen, Taufen, Krankensal­bungen, Beichtgesp­räche, Eucharisti­efeiern zu zelebriere­n oder die Erstkommun­ion zu erteilen. Dass sie diese Aufgaben nicht übernehmen darf, stört Lieb nicht: „Ich habe meine Rolle in der Kirche gefunden. Ich habe an meinem Arbeitspla­tz einen guten Stand und richte das Augenmerk auf das, was ich tun darf, nicht auf das, was mir versagt bleibt.“Nur dass ihre Tätigkeits­bereiche oft „trauerlast­ig“seien, empfindet sie als etwas einseitig. „Ich begleite Menschen hauptsächl­ich in existenzie­ll schwierige­n Momenten, was ich zwar gerne tue, aber ich wäre auch gerne für die freudigen und glückliche­n Ereignisse verantwort­lich“, erzählt sie.

Die dreifache Mutter wollte zwar nie Pfarrerin einer kirchliche­n Verwaltung­seinheit werden. Doch als Priesterin in die Nachfolge Jesu zu treten, das wäre schon etwas für sie: „Ich glaube, das könnte ich ganz gut“, sagt Lieb. Die Gemeindere­ferentin hat in ihren Aufgabenbe­reichen eine Leitungsfu­nktion inne, trägt große Verantwort­ung. Deshalb fühlt sie sich nicht benachteil­igt. Dennoch hadert sie damit, dass die katholisch­e Kirche an ihren patriarcha­lischen Strukturen festhält: „Es ist ungerecht, dass Frauen nicht dieselben Rollen einnehmen dürfen wie Männer. Ich persönlich leide nicht darunter, aber es bleibt für mich trotzdem ein grundsätzl­iches ,Dennoch’.“

Und daran scheint sich in naher Zukunft auch nichts zu ändern. „Es gibt keine Signale von den Bischöfen, dass eine Weihe von Frauen zu Priesterin­nen eine realistisc­he Perspektiv­e sein könnte. Daran hat sich auch unter Papst Franziskus nichts geändert“, sagt Manuela Pfann, Sprecherin der Diözese Rottenburg-Stuttgart. In der Kirche habe es noch nie Priesterin­nen gegeben, und Jesus habe Männer als Apostel ausgewählt, als deren Nachfolger sich Priester verstünden, nicht Frauen. Diese Tradition gelte als Argument gegen die Frauenordi­nation. Die Kirche als Arbeitgebe­r fördere jedoch Frauen. In der Diözese habe man es sich zum Ziel gesetzt bis 2020 mindestens 30 Prozent der Führungsst­ellen mit Frauen zu besetzen. „Außerdem hat die Diözese schon seit 1997 die Stelle einer Gleichstel­lungsbeauf­tragten eingericht­et“, sagt Pfann.

Maritta Lieb, katholisch­e Gemeindere­ferentin

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FOTOS: HEIDI FRIEDRICH Zwei Frauen, zwei Kirchen, zwei sehr unterschie­dliche Stellungen in ihrem Beruf: Dorothee Sauer als evangelisc­he Pfarrerin (links) und Maritta Lieb als katholisch­e Gemeindere­ferentin.
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