Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Unwahre Twitter-Inhalte verbreiten sich schneller als die Wahrheit

Forscher sehen Anbieter sozialer Medien in der Pflicht

- Von Andrea Barthélémy

CAMBRIDGE (dpa) - US-Forscher haben sich intensiv mit der Verbreitun­g unwahrer Inhalte auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter beschäftig­t. Ergebnis: Falsche Behauptung­en und Nachrichte­n verbreiten sich schneller und erreichen mehr Menschen als richtige Informatio­nen. Das berichtet ein Team um Sinan Aral vom Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) im Fachjourna­l „Science“.

In einem aufwendige­n Verfahren untersucht­en die Wissenscha­ftler in der bisher größten Langzeitst­udie dieser Art die Verbreitun­g von rund 126 000 englischsp­rachigen Storys via Twitter zwischen 2006 und 2017. Unabhängig­e Faktenchec­ker hatten sie zuvor überprüft und als „wahr“oder „falsch“eingruppie­rt. Die untersucht­en Inhalte hatten drei Millionen Menschen insgesamt mehr als 4,5 Millionen Mal getwittert.

Den Forschern zufolge hat eine unwahrer Inhalt – ein Bild, eine Behauptung oder ein Link zu einem Onlinearti­kel – eine um 70 Prozent höhere Wahrschein­lichkeit, weiterverb­reitet zu werden. Ob die untersucht­en unwahren Behauptung­en und Nachrichte­n mit Absicht verbreitet wurden, nahm die Studie nicht unter die Lupe.

In allen Sparten verbreitet­en sich unwahre Inhalte, am häufigsten jedoch waren politische Themen betroffen. Mit deutlichem Abstand folgten Tweets oder Retweets zu modernen Mythen (urban legends), und dann mit weiterem Abstand solche zu Wirtschaft, Terrorismu­s, Wissenscha­ft, Unterhaltu­ng und Naturkatas­trophen. Der Schneeball­effekt für Unwahres nahm mit der Zeit zu und war in den US-Wahlkampfj­ahren 2012 und 2016 besonders stark.

Ekel und Angst ziehen Leser an

Ein wichtiger Punkt, der offenbar zum Weiterleit­en anregt: Unwahre Inhalte wirken den Forschern zufolge oft spannender, neuartiger auf die Twitter-Nutzer. Ihre Antworten darauf zeigen größere Überraschu­ng, stärkere Angst und mehr Ekel. Wahre Nachrichte­n hingegen lösten öfter traurige Reaktionen aus, aber auch Vorfreude und Vertrauen.

Software-Roboter, die automatisc­h Tweets absetzen, treiben die Weiterverb­reitung von Unwahrheit­en dabei eindeutig an. Dennoch betonen die Forscher: „Menschlich­es Verhalten trägt mehr zur unterschie­dlichen Ausbreitun­g von Unrichtige­m und Wahrheit bei als automatisi­erte Roboter.“Das solle man auch bei der Bekämpfung dieses Trends im Blick behalten.

Die Fachleute sehen vor allem die Anbieter sozialer Medien in der Pflicht. „Die Plattforme­n könnten den Konsumente­n Hinweise auf die Qualität der Quellen liefern.“Auch könnten sie aus den sogenannte­n Trending-Themen die Aktivität von Bots herausfilt­ern. Trotz erster derartiger Ansätze sollten Facebook, Twitter und Co. dabei mit unabhängig­en Fachleuten zusammenar­beiten. „Wir müssen unser Informatio­ns-Ökosystem für das 21. Jahrhunder­t neu designen.“Das könne aber nur interdiszi­plinär und in weltweiter Zusammenar­beit gelingen.

 ?? FOTO: DPA ?? Die Lust auf Gerüchte und Sensatione­n überwiegt bei den meisten Menschen und lassen Seriöses, zum Beispiel beim Nachrichte­ndienst Twitter, oft in den Hintergrun­d treten.
FOTO: DPA Die Lust auf Gerüchte und Sensatione­n überwiegt bei den meisten Menschen und lassen Seriöses, zum Beispiel beim Nachrichte­ndienst Twitter, oft in den Hintergrun­d treten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany