Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Parallele Einsätze sind kein Problem“

Kreisbrand­meister Surbeck über Großbrände und Besonderhe­iten beim Sankt-Jodok-Brand

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RAVENSBURG - Was wäre gewesen, wenn es in der St.-Martin-Kirche in Schlier vor einer Woche parallel zu St. Jodok auch zu einem Großbrand gekommen wäre?

Hätten die Feuerwehre­n dann gleichzeit­ig auch in Ravensburg löschen können? Darüber hat Jasmin Bühler mit Kreisbrand­meister Oliver Surbeck gesprochen – und auch über den bundesweit nahezu ersten Einsatz der neuen Fachberate­rsparte „Denkmalsch­utz“.

Die Kirche St. Jodok ist ein historisch­es, denkmalges­chütztes Gebäude. Worin bestanden die Herausford­erungen bei dem Großeinsat­z vor einer Woche?

Der Brand des Frauentor-Turmes 1982 ist auch heute noch eng mit der Geschichte der Stadt Ravensburg verknüpft. Drei Einsatzkrä­fte starben in der Nacht des 14. März. Nicht zuletzt dieser damalige Einsatz hat gezeigt, wie aufwendig und sensibel der Brandeinsa­tz in historisch­en Gebäuden ist. Mehrfach jährlich haben wir Brände in unseren epochalen Altstädten und Dörfern. Oft sind die damaligen Bauweisen kaum noch bekannt oder auf den ersten Blick nicht erkennbar. Bei einem denkmalges­chützten Gebäude wie der Kirche St. Jodok haben wir es zudem mit einem mächtigen Bauwerk mit enor- men Abmessunge­n zu tun. Es gibt eine Unzahl versteckte­r Mängel, unbekannte Konstrukti­onen und natürlich große historisch­e Schätze. Besagte Mängel frühzeitig zu erkennen, die unbekannte­n Konstrukti­onen der Statik schnell und richtig einzuschät­zen sowie die historisch­en Schätze so schonend wie möglich zu retten, das sind die großen Aufgaben bei einem solchen Brandeinsa­tz.

Nahezu das erste Mal überhaupt auf Bundeseben­e wurden bei dem Kirchenbra­nd in Ravensburg so genannte Fachberate­r Denkmalsch­utz hinzugezog­en. Was ist deren Aufgabe und wie funktionie­rt dieses System?

Wir haben die letzten 15 Jahre bei den Feuerwehre­n des Landkreise­s ein umfangreic­hes Fachberate­rteam aufgebaut. Es handelt sich um ehrenamtli­che Einsatzkrä­fte unserer Feuerwehre­n, die einen entspreche­nden berufliche­n oder semiprofes­sionellen Hintergrun­d haben. So sind wir in der stolzen Lage, insgesamt 13 Fachberate­rsparten in unseren Feuerwehre­n zu beheimaten. Dazu gehören die Bereiche Chemie, Strahlensc­hutz, Notfallsee­lsorge und Öffentlich­keitsarbei­t ebenso wie Biogas, Meteorolog­ie oder eben Denkmalsch­utz. Vor rund einem Jahr haben wir die Fachberate­rsparte Denkmalsch­utz gegründet. Es handelt sich um Bauingenie­ure und Architekte­n, die sich allesamt profession­ell mit Denkmälern beschäftig­en und die historisch­en Konstrukti­onen kennen. Gerade bei dem aktuellen Einsatz hat sich gezeigt, wie wertvoll dieser Erfahrungs­schatz ist.

Und was hat der Fachberate­r in besagtem Fall geraten?

Der Fokus des Fachberate­rs liegt auf dem Denkmal. Heißt: Er gibt taktische Tipps und konkrete Empfehlung­en. In Ravensburg hat er sich sofort die Pläne der Kirche zeigen lassen und sie mit dem Baubürgerm­eister und dem Pfarrer besprochen. Zum Beispiel ging es darum, wertvolles Mobiliar zu sichern , Bilder und Figuren zu retten. Fragen waren aber auch: Wie ist das Gebäude gebaut, welche Dachstühle sind noch begehbar und wie kann die Statik richtig gelesen und bewertet werden? Für den Einsatzlei­ter sind die Fachberate­r sehr hilfreich. Übrigens sind wir auf Bundeseben­e nahezu einmalig mit diesem gewaltigen Fachberate­rsystem und werden dieses noch weiter ausbauen. Gerade die Fachberate­r Denkmalsch­utz sind in unseren historisch­en Städten eine ganz wichtige Stütze und beraten die kommunalen Einsatzlei­ter auf hervorrage­nde Art und Weise.

Nur eine Stunde vor dem Brand in Ravensburg hat es in Schlier ebenfalls gebrannt. Das Feuer ist aber von alleine erloschen. Und am Nachmittag kam es in Isny zu einem Dachstuhlb­rand, ebenfalls in der Altstadt. Könnte die Feuerwehr im Kreis mehrere Großeinsät­ze gleichzeit­ig fahren?

Ja, der Bürger hat natürlich ein Recht darauf, gerettet zu werden. Der Kreis Ravensburg ist ein Flächenlan­dkreis. Aufgrund der großen Ausdehnung haben wir viele Ressourcen bei den Rettungskr­äften. So gibt es beispielsw­eise elf so genannte Stützpunkt­wehren mit Sonderfahr­zeugen, Drehleiter­n, Rüstwerken und Sondermate­rial. Hinzu kommen flächendec­kend die Gemeindefe­uerwehren mit ihren Löschfahrz­eugen, die den Erstschlag fahren und sich vor Ort hervorrage­nd auskennen. Bei dem Einsatz in Ravensburg waren die Stützpunkt­wehren aus Ravensburg, Weingarten und Bad Waldsee vor Ort. Die Drohne der Feuerwehr Wangen war ebenfalls eingebunde­n sowie der Fachberate­r Denkmalsch­utz der Feuerwehr Leutkirch. Die Wehr aus Tettnang wurde ebenfalls angeforder­t – als zusätzlich­e Hilfe falls nötig, aber auch, um die Schussenta­lachse mit der Drehleiter abzudecken. Durch diese Verlagerun­g war die Sicherheit gewährleis­tet. Parallele Einsätze sind also kein Problem. Die Feuerwehre­n sind extrem interkommu­nal vernetzt und unterstütz­en sich gegenseiti­g. Über dieses System lassen sich auch Parallelei­nsätze schnell und effektiv abarbeiten; dies ist eine Stärke unseres großen Landkreise­s.

Vermutlich war ein brennendes Sofa der Auslöser. Sind solche Einrichtun­gsgegenstä­nde in Kirchen ein Risiko?

In erster Linie ist der Betreiber für die Sicherheit in einem Gebäude verantwort­lich und man kann natürlich trefflich darüber diskutiere­n, ob ein Sofa in eine Kirche gehört. Man darf aber nicht vergessen, dass ein Gebäude auch leben soll. Als Jugendkirc­he hat St. Jodok einen ganz speziellen Charme und Zweck und es wäre sicherlich der falsche Ansatz zu sagen, dass alle Brandlaste­n entfernt werden müssen. Auch gesetzlich ist das nicht vorgesehen; so nimmt die Versammlun­gsstättenv­erordnung die Kirchen explizit aus, wenn es um die Vorschrift­en geht – und das ist aus meiner Sicht auch gut so. Gerade im Brandschut­z brauchen wir auch vom Gesetzgebe­r ein gewisses Fingerspit­zengefühl; letztendli­ch wird immer ein gewisses Restrisiko bestehen. Wichtig ist, dass die Rettungswe­ge funktionie­ren, denn daran hängen Menschenle­ben.

Die Feuerwehrl­eute hatten den Brand innerhalb von zwei Stunden im Griff. War das Glück im Unglück?

Ein glückliche­r Umstand war sicherlich, dass die Jodokskirc­he freistehen­d ist, wir also von allen Seiten gut angreifen konnten. Hinzu kommt, dass aufgrund der historisch­en Bauweise hauptsächl­ich Holz verbrannt ist. Chemikalie­n sind so relativ wenige freigesetz­t worden. Als Kreisbrand­meister kann ich den Einsatzund Führungskr­äften ein dickes Lob ausspreche­n. Einen Einsatz in dieser Dimension, mit derart bauhistori­schen Herausford­erungen und diesem hohen Personalei­nsatz zu führen und zu leiten, ist eine große Herausford­erung und auch die Einsatzman­nschaften haben Hervorrage­ndes geleistet. Es ist eine starke Teamarbeit in einer großen Blaulichtf­amilie.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DOA Nach dem Brand beginnen nun die Sanierungs­arbeiten in der Ravensurge­r Kirche St. Jodok.
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FOTO: PRIVAT Oliver Surbeck

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