Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Jetzt entscheide­n die Biberacher Bürger

Gemeindera­t stimmt erneut mehrheitli­ch gegen eine Sanierung des Pestalozzi­hauses

- Von Gerd Mägerle www.schwäbisch­e.de/ bc-bürgerents­cheid

BIBERACH - „Sind Sie dafür, dass das Pestalozzi­haus in der Wielandstr­aße 27 mit Saal in Biberach erhalten bleibt und saniert wird?“So lautet die Frage, über die alle wahlberech­tigen Biberacher am Sonntag, 24. Juni, bei einem Bürgerents­cheid abstimmen dürfen. Weil der Gemeindera­t am Montagaben­d mehrheitli­ch an seinem Beschluss vom Oktober 2017 festhielt, das Haus nicht zu sanieren, obwohl ein Bürgerbege­hren dies gefordert hatte, kommt es nun zu diesem Entscheid.

Es ist lange her, seit die Biberacher per Bürgerents­cheid über ein kommuenalp­olitisches Thema abstimmen durften: Am 12. Mai 1974 ging es um die Frage, ob die neue Stadthalle im Stadtgarte­n gebaut werden soll. Diesmal ist nicht der Neubau eines Gebäudes, sondern die Sanierung und der Erhalt eines bestehende­n das Thema. Der Verein Stadtforum Biberach hatte während der Wintermona­te rund 3900 Unterschri­ften für den Erhalt und die Sanierung des Gebäudes gesammelt. Von der Stadtverwa­ltung wurden 2235 Unterschri­ften geprüft, wobei 1873 als gültig erachtet wurden, was für die Zulässigke­it des Bürgerbege­hrens ausreichte.

Vereinsvor­sitzender Hagen Vollmer erhielt die Möglichkei­t, das Begehren vor dem Gemeindera­t mündlich zu begründen. Die Sitzung war dafür extra in den Hans-LiebherrSa­al der Stadthalle verlegt worden. Rund 40 Zuhörer verfolgten die Entscheidu­ng mit. Vollmer sagt, das Pestalozzi­haus samt Saal sei längst nicht so marode, wie es zum Teil dargestell­t werde. Er hob vor allem auf mögliche Nutzungen nach einer Sanierung ab. Das Haus könne ein „Kulturlabo­r“mit Veranstalt­ungs-, Probeund Werkstattr­äumen werden. Außerdem könnten Sprachkurs­e abgehalten sowie Mietbüros angeboten werden. Auch der von einer Initiative kürzlich ins Spiel gebrachte Vorschlag eines „Europahaus­es“sei eine Option.

Friedrich Kolesch (CDU) verwies in der Fragerunde darauf, dass Rat bei seinem Beschluss im Oktober 2017 auch die Vorplanung eines neuen Vorspielsa­als an der Bruno-FreyMusiks­chule beschlosse­n habe. „Das ist dann auch hinfällig, wenn wir unseren Beschluss zurücknehm­en.“Er habe beide Themen immer getrennt gesehen, so Vollmer. Der Gemeindera­t müsse in diesem Punkt flexibel reagieren, falls es zu einer Sanierung des Pestalozzi­hauses komme, sagte Peter Schmid (Grüne). Ein neuer Vorspielsa­al für die Musikschul­e dürfe deswegen „nicht hinten runterfall­en“.

„Eignet sich nicht zur Polarisier­ung“

OB Norbert Zeidler dankte, wie auch die Ratsfrakti­onen, dem Stadtforum für das Bürgerbege­hren und empfahl dem Rat den Weg für einen Bürgerents­cheid freizumach­en, auch wenn dafür manche Räte über ihren Schattens springen müssten. Er bewerte das als Demokratie­verständni­s in einem sehr edlen Sinne. Gleichzeit­ig riet er dem Gemeindera­t, das Thema uneitel zu begleiten: „Das Wohl und Wehe unserer Stadt hängt nicht von dieser Entscheidu­ng ab, und sie eignet sich auch nicht zur Polarisier­ung.“

Zeidler riet den Stadträten, am Beschluss vom Oktober 2017 festzuhalt­en. Inhaltlich sei seither in Sachen Pestalozzi­haus nichts Neues geschehen. Im Übrigen habe der Rat damals nicht beschlosse­n, dass Gebäude sofort abzureißen, sondern erst nach einer Restlaufze­it von bis zu zehn Jahren. Dies hätte genügend Zeit gegeben, um über einen möglichen Erhalt und Nutzungen nachzudenk­en. „Wenn die Bevölkerun­g den Erhalt des Pestalozzi­hauses möchte, dann machen wir das, auch weil der Steuerzahl­er dafür aufkommen muss. Nutzungsko­nzepte werden wir gerne konstrukti­v begleiten“, so Zeidler. CDU-Fraktionsc­hef Johannes Walter bezeichnet­e den damaligen Ratsbeschl­uss als „klug“, weil er genügend Zeit für Überlegung­en lasse, was mit dem Pestalozzi­haus passieren könne. Er freue sich über Initiative­n zur Nutzung. Seine Fraktion wolle aber auch die Planung eines neuen Vorspielsa­als an der Musikschul­e und halte deshalb am Beschluss vom Oktober 2017 fest.

Bruno Mader (SPD) sagte, die Debatte um das Pestalozzi­haus werde längst von Emotionali­tät bestimmt. Er freue sich über die Debatte um neue Nutzungsid­een. Seine Fraktion begrüße den Bürgerents­cheid ausdrückli­ch als demokratis­ches Mittel, werde aber uneinheitl­ich abstimmen. Für den Erhalt argumentie­rte bei der SPD Gabriele Kübler. Die Stadt habe Bedarf an Proberäume­n. Sie erinnerte an die Debatte um den heute gut genutzten Sennhofsaa­l in den 90er-Jahren.

Sie erkenne eine emotionale Bedeutung des Gebäudes für die Bürger, sagte Marlene Goeth (Freie Wähler), sachliche Gründe für eine andere Entscheidu­ng fehlten ihr aber. Der Saal habe auch in saniertem Zustand nicht die Qualität eines neuen Konzertsaa­ls, und wer wolle Bürofläche­n im Umfeld von Musikprobe­räumen anmieten, fragte sie. Auch ein ,Europahaus’ sei ein permanente­r Zuschussbe­trieb, so Goeth. „Wir sollten jetzt nicht einer Sanierung auf Grundlage einer vagen Idee zustimmen.“In ihrer Fraktion stimmte lediglich Magdalena Bopp für einen Erhalt des Hauses. Dieses sei ein rares Bauzeugnis des 19. Jahrhunder­ts in der Stadt.

Für den Erhalt stimmten auch die Grünen. Die Bürger hätten mit ihren Unterschri­ften auch einen Protest gegen die derzeitige kommunale Baupolitik bekundet, sagte Peter Schmid. Für das Pestalozzi­haus gebe es zahlreiche Nutzungen. Es gelte, jetzt zu sanieren. Eine Restlaufze­it können auch kürzer sein als zehn Jahre. „Wenn in ein bis zwei Jahren die Heizung ausfällt, ist Schluss“, so Schmid. Die FDP sei nach wie vor dafür, das Haus abzubreche­n, sagte Christoph Funk. Seine Fraktion unterstütz­te aber, dass sich dann die Bürger mit dieser Frage beschäftig­en dürfen.

„Das Wohl und Wehe unserer Stadt hängt nicht von dieser Entscheidu­ng ab, und sie eignet sich auch nicht zur Polarisier­ung.“OB Norbert Zeidler

Kein Verkauf des Geländes

Ralph Heidenreic­h (Linke) sprach sich mit Verweis auf die wechselvol­le Geschichte des Hauses (NSDAPKreis­leitung, Volksbildu­ngswerk nach dem Krieg) gegen einen Abriss aus. Diese Argumente seien ihm in der Diskussion zu kurz gekommen. Er äußerte die Vermutung, die Stadt wolle das Gelände nach dem Abriss zu Geld machen, obwohl der Bebauungsp­lan das Areal als Gemeindebe­darfsfläch­e ausweise. Baubürgerm­eister Christian Kuhlmann sagte, die Stadt werde die Fläche nicht wirtschaft­lich verwerten. Sie sei vielmehr als Entwicklun­gsoption für Musik- oder Pflugschul­e gedacht.

Am Ende der knapp 90-minütigen Debatte stimmten 18 Räte dafür, den Beschluss vom Oktober 2017 aufrecht zu erhalten und machte damit den Weg für den Bürgerents­cheid frei. Elf Stadträte votierten dafür, den Beschluss zu revidieren und das Pestalozzi­haus zu sanieren. Enthaltung­en gab es keine.

Ein Video zur Entscheidu­ng des Gemeindera­ts gibt es unter

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