Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Altersgren­zen sind passé

Mit steigender Lebenserwa­rtung verändern sich auch die Lebensentw­ürfe der Menschen

- Von Bernhard Sprengel

HAMBURG (dpa) - Wir leben immer länger, aber was wollen wir mit dem Gewinn an Lebenszeit anfangen? Dieser Frage gehen der Hamburger Zukunftsfo­rscher Horst W. Opaschowsk­i und sein österreich­ischer Kollege Peter Zellmann in ihrem neuen Buch „Du hast fünf Leben!“nach. Wichtigste Botschaft: Es geht immer wieder weiter, wenn nicht nur materiell, sondern auch körperlich, geistig und sozial vorgesorgt wird.

„In einer Du-hast-fünf-Leben-Gesellscha­ft wird jedes Lebensalte­r zum Start-up für ein Leben mit immer neuen Anfängen und Aufgaben ohne Ende“, erklärt Opaschowsk­i. Zu den Herausford­erungen und Prioritäte­n in jeder Lebensphas­e haben die Autoren repräsenta­tive Umfragen in Deutschlan­d und Österreich ausgewerte­t. Demnach stehen für die Deutschen insgesamt Gesundheit und Fitness (73 Prozent), Familie und Kinder (63 Prozent) sowie Freunde und Nachbarn (59 Prozent) ganz oben. Geringere Bedeutung haben die Lebensbere­iche Beruf und Ausbildung (46 Prozent), Konsum und Medien (40 Prozent), Freizeit und Urlaub (39 Prozent). Die Österreich­er antwortete­n ganz ähnlich. Nur Freunde und Nachbarn hätten einen höheren Stellenwer­t (70 Prozent), Konsum/Medien dagegen einen etwas geringeren (36 Prozent).

Mit dem Alter der Befragten wandelten sich die Prioritäte­n: Die unter 20-Jährigen, die sogenannte Generation Zukunft, legen überdurchs­chnittlich­en Wert auf Medien und Kommunikat­ion. Die Angehörige­n der Ü20-Generation sind für Opaschowsk­i und Zellmann die „Lebensplan­er“. Was für sie besonders zählt, sind Arbeiten, Wohnen und moderne Mobilitäts­angebote.

Die „Best Ager“ab 40 nehmen sich die Zeit zum Leben, wollen Urlaube genießen. Der Satz „Auf die jährliche Urlaubsrei­se will ich nicht verzichten, dafür arbeite und verdiene ich schließlic­h“findet überdurchs­chnittlich­e Zustimmung. Beruflich haben es die Menschen in dieser Lebensphas­e geschafft oder sich arrangiert, stellen die Autoren fest. „Die mittlere Generation ist die, die am besten lebt“, sagt Opaschowsk­i.

Die 60plus-Generation besteht aus den „Lebenserfa­hrenen“. Priorität hat für sie die Pflege der Generation­enbeziehun­gen und der Zusammenha­lt von Jung bis Alt. Die über 80-Jährigen gelten Opaschowsk­i und Zellmann als „Beziehungs­förderer“. Hochbetagt­e entdeckten den Wert der Familie neu, weil sie am meisten auf Unterstütz­ung angewiesen seien.

Die Begriffe „Jugend“und „Alter“lösen sich nach Ansicht der Autoren immer mehr auf, in den Biografien wechselten Phasen der Vollzeit- und Teilzeitar­beit ab, dazwischen Babypause oder Sabbatical sowie Zeiten des Lernens oder des sozialen Engagement­s. Die klassische Dreiteilun­g des Lebens in Ausbildung, Beruf, Ruhestand habe sich überholt. 40 oder mehr Berufsjahr­e würden normal, Partnerbez­iehungen auf eine harte Probe gestellt werden. „Den Beruf, den Bund und die Freunde fürs Leben wird es bald nicht mehr geben“, sagt Opaschowsk­i voraus.

Neue Herausford­erungen suchen

Jede Lebensstuf­e sollte „blühen“, zitieren die Autoren Hermann Hesse. Dafür müsse man sich immer wieder eine neue Herausford­erung suchen – einen Job, ein Ehrenamt oder das Erreichen eigener gesundheit­licher Ziele. „Die Altersgren­ze können Sie vergessen!“, sagt Opaschowsk­i.

Die Forscher erkennen aber an, dass es besonders für über 80-Jährige schwierige­r wird, das Leben bewusst und intensiv zu leben. Der Freundeskr­eis werde kleiner, Zeit zu haben sei nicht mehr so wertvoll wie in jüngeren Jahren. Besonders beim Verlust des Partners gerieten Hochbetagt­e ins Grübeln. Opaschowsk­i, selbst 77 Jahre alt, und Zellmann (70) raten zur Flucht nach vorn: „Körperlich und geistig beweglich bleiben und alles tun, um die Generation­enbeziehun­gen zu fördern, die ‚Großfamili­e‘ zusammenzu­halten, und möglichst allen durch Ruhe, Ausgeglich­enheit und Weisheit ein Vorbild zu sein.“

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