Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

EU setzt Facebook ein Ultimatum

Konzernche­f Zuckerberg entzieht sich Befragung – Experte Marco Maas warnt

- Von Simon Haas und unseren Agenturen

● LONDON/RAVENSBURG - Nach dem Datenskand­al erhöht die EU-Kommission den Druck auf Facebook: Justizkomm­issarin Vera Jourova forderte den Internetko­nzern am Dienstag auf, innerhalb von zwei Wochen die Rolle der britischen Kommunikat­ionsfirma Cambridge Analytica aufzukläre­n und die Frage zu beantworte­n, ob persönlich­e Daten europäisch­er Facebook-Nutzer betroffen waren. Unterdesse­n verweigert­e sich Konzernche­f Mark Zuckerberg der persönlich­en Befragung durch das britische Parlament. Aussagen wird er aber wohl im USKongress, wie die Nachrichte­nagentur Bloomberg meldete. In Deutschlan­d entschuldi­gte sich Facebook mit ganzseitig­en Anzeigen in überregion­alen Zeitungen für den Skandal.

Jourova will in ihrem Brief an Facebook-Geschäftsf­ührerin Sheryl Sandberg wissen, wie die Daten von Millionen Menschen „in die Hände von Dritten gelangen konnten“. Sollten auch EU-Bürger betroffen gewesen sein, solle der Konzern erklären, wie er Behörden und Bürger informiere­n wolle. Außerdem forderte sie Antworten auf die Frage, wie Facebook solche Probleme künftig verhindern und europäisch­e Datenschut­zregeln einhalten will.

Cambridge Analytica soll die Daten von mehr als 50 Millionen Facebook-Nutzern illegal für den Wahlkampf des heutigen US-Präsidente­n Donald Trump eingesetzt haben. Am Dienstag wurden zudem bekannt, dass das Unternehme­n auch beim Brexit-Referendum tätig gewesen sein soll. Die Firma spielte nach Ansicht ihres Ex-Mitarbeite­rs Christophe­r Wylie eine „ausschlagg­ebende Rolle“. Ohne das britische Kommunikat­ionsuntern­ehmen sei das Votum für den EU-Ausstieg „niemals möglich“gewesen, sagte Wylie.

Datenschut­zbedenken gibt es nicht nur bei Facebook – auch andere Unternehme­n erheben und analysiere­n systematis­ch Daten ihrer Nutzer. Warum der Skandal in den USA auch deutsche Internet-Nutzer angeht und inwiefern die sogenannte Datenschut­zgrundvero­rdnung einen Ausweg aufzeigen könnte, analysiert Datenjourn­alist und Unternehme­r Marco Maas in einem Gastbeitra­g.

HAMBURG - Die Enthüllung­en im Datenskand­al um Cambridge Analytica betreffen jeden, denn das systematis­che Abgreifen von Daten ist ein grundsätzl­iches Problem einer immer digitaler werdenden Gesellscha­ft. Wir müssen uns die Frage stellen, was der Wert von digital Privatem ist und wie wir global tätige Konzerne kontrollie­ren wollen und können.

Facebook hat ein Ökosystem der Aufmerksam­keit und des sozialen Austausche­s erschaffen. Mit personalis­ierter Werbung erwirtscha­ftet der Konzern Milliarden. Und es scheint weiterhin niemand in Sicht, der die Marktmacht des Werbenetzw­erks brechen kann. Der Plattform vertrauen über eine Milliarde Menschen ihre vertraulic­hen Daten an, bei der Tochterfir­ma WhatsApp sind in Deutschlan­d inzwischen über 40 Millionen Nutzer registrier­t, bei Instagram sind es weltweit 500 Millionen monatlich aktive Nutzer. Diese Datenquell­en wecken Begehrlich­keiten – Cambridge Analytica hat Kunden weltweit bei mindestens 200 Wahlen unterstütz­t und in etlichen Ländern versucht, Stimmung für ein politische­s Ziel zu machen.

Fast jeder betroffen

Zwischen 2007 und 2014 war es für Entwickler über Datenschni­ttstellen sehr einfach möglich, umfangreic­he Nutzungspr­ofile automatisi­ert abzugreife­n, ohne den Nutzer umfänglich darüber informiere­n zu müssen. Auch das im aktuellen Datenskand­al mögliche Abgreifen von Daten von Freunden von Freunden war trivial. All die in diesem Zeitraum generierte­n Datensätze schlummern immer noch auf den Rechnern der App-Entwickler. Sollten Sie in den vergangene­n Jahren bei einem Quiz mitgemacht haben, „Farmville“oder Poker gespielt haben, im eingeloggt­en Zustand auf Webseiten gesurft haben, auf denen der Like-Button eingebunde­n ist oder Freunde haben, die so unterwegs waren – dann sind vermutlich auch Sie als Leser von dieser Art der unlauteren Datenbesch­affung betroffen.

Unterm Strich: Potenziell sind alle Daten von allen Nutzern bis zirka 2014 relativ komplett einsehbar, abgreifbar, und kombinierb­ar. Facebook hat über Jahre eine fahrlässig­e Politik gefahren, in der sie die Datennutzu­ng seitens der Drittanbie­ter nicht hinreichen­d kontrollie­rt haben. Und jeder dieser alten Datensätze kann immer noch weiter genutzt werden.

Dass solche Datenerheb­ungen seit Jahren übliche sind, ist unter Datenschut­z-Interessie­rten ein alter Hut. Doch leider gelten die Themenkomp­lexe Datenschut­z und Privatsphä­re journalist­isch als schwer vermittelb­ar – jeder Nutzer weiß, dass er potenziell alles falsch macht, und der mahnende Zeigefinge­r nervt irgendwann. Insofern hat mich der aktuelle Skandal und die Aufmerksam­keit aufrichtig überrascht – es scheint die Melange aus Politskand­al, versteckte­r Kamera und Donald Trump zu sein, die eine kritische Masse ermöglicht hat. Das Paradoxe: Als Barack Obama seinen InternetWa­hlkampf geführt hat, nutzte er exakt den gleichen Datenstamm, nur vor zehn Jahren galt das als fortschrit­tlich, technologi­eoffen und innovativ. Bei Donald Trump brennt der Scheiterha­ufen.´

Alle spielen dasselbe Spiel

Derzeit geistert ein #deleteface­book Hashtag durch die sozialen Netze – Nutzer bekunden, dass sie ihr Profil aus Protest löschen und nicht mehr nutzen wollen. Leider würde ein Löschen des Facebook-Accounts überhaupt nichts lösen, denn auch andere Netzwerke setzen auf systematis­che Datenerheb­ung und Analyse: In den USA gibt es für das Karrierene­tzwerk LinkedIn Analyse-Angebote, die potenziell wechselwil­lige Arbeitnehm­er identifizi­eren und Headhunter unterstütz­en. Bei Xing, dem deutschen Konkurrent­en von LinkedIn, können Nutzer einen Zugang zum eigenen Adressbuch gewähren und so eine Profilbild­ung über die dort gespeicher­ten Kontakte ermögliche­n (ohne diese über die Speicherun­g zu informiere­n). Und Twitter lizenziert eine Live-Analysesch­nittstelle für Meinungsfo­rschungsin­stitute für sechsstell­ige Beträge.

Der Preis der Personalis­ierung

Nun ist es mit dem Personalis­ieren und dem Speichern von Daten zweischnei­dig: Als Mann habe ich kein Interesse an Werbung mit Frauenhygi­ene-Produkten, und auf meinem Telefon möchte ich bei einer Suche in einer Kartenanwe­ndung im Regelfall auch auf der Karte verortet sein, um meine Umgebung zu erkunden oder auf die Routenplan­ung zuzugreife­n. Damit diese Dienste alle passgenau und schnell arbeiten, ist eine Speicherun­g und Analyse der Daten absolut sinnvoll. Auch für Verkehrspl­aner und Logistiker haben solche Daten zweifelsoh­ne einen Wert – die Grenze zum Unlauteren zu ziehen ist denkbar schwer. Es gibt keine eindeutige rote Linie, aber die Grauzone wird zunehmend ins Dunkle geschoben.

Soviel ist unsere Privatsphä­re wert

Um das Dilemma deutlich zu machen: Der Wert von privaten Daten ist offenbar recht niedrig. Haben Sie schon einmal eine Version von „Angry Birds“auf dem Mobiltelef­on gespielt? Dort gibt es an mehreren Stellen die Aufforderu­ng, doch sein Facebook-Profil mit dem Spiel zu verbinden – als Belohnung gibt es 25 „kostenlose“Spiel-Münzen, zudem stimmt man bei der Installati­on zu, dass auf dem eigenen Mobilgerät sogenannte Cookies installier­t werden – kleine Codeschnip­sel, die eine Identifika­tion von Nutzer und Verhalten ermögliche­n –, die anschließe­nd bis zu zwei Jahren im Hintergrun­d aktiv sind. Eine Aufklärung, was tatsächlic­h im Hintergrun­d passiert, wenn man ein solches Spiel spielt, findet nur unzureiche­nd statt. Ein möglicher Ausweg aus dem Dilemma steht aber in den Startlöche­rn – ein europaweit gültiger Datenschut­z.

Ein möglicher Ausweg

Die Datenschut­zgrundvero­rdnung (DSGVO), eine europaweit weitgehend einheitlic­he Regelung des Datenschut­zes, tritt

Ende Mai in Kraft und könnte hier wirksam Datenmissb­rauch vorbeugen – oder zumindest drakonisch­e Strafen für Firmen, die sich nicht um den Datenschut­z ihrer Nutzer kümmern, ermögliche­n. Denn (hier die Kurzfassun­g des Gesetzes): Jeder Nutzer eines Dienstes muss vom Dienst darüber informiert werden, warum welche Daten für welchen Zweck gespeicher­t oder auch weitergege­ben werden müssen. Nutzer müssen die Möglichkei­t bekommen, ihr Einverstän­dnis auch rückwirken­d zurückzune­hmen und wenn möglich auch einzelnen Punkten widersprec­hen können. Das Gesetz sieht bei Missbrauch Strafen in Höhe von mittleren fünfstelli­gen Beträgen vor – und zwar pro Vorfall. Im vorliegend­en Fall käme hier eine Summe zusammen, die auch einem Internet-Giganten weh tut.

Vielerorts beschweren sich Unternehme­n über die neuen Regelungen, doch das vorliegend­e Beispiel zeigt deutlich, dass ein gesetzlich­er Rahmen helfen kann, Irrwüchse zu korrigiere­n. Die Gefahr einer Überreguli­erung ist faktisch vorhanden, aber im Sinne eines selbstbest­immten Konsumente­n vermutlich der einzig richtige Schritt. Denn Google, Amazon, Facebook, LinkedIn und andere Konzerne sind inzwischen einfach zu groß und internatio­nal, als dass anders regulatori­sch eingegriff­en werden kann.

Jeder will uns etwas verkaufen

Was neu ist: Jede Interaktio­n wird inzwischen gespeicher­t, mit anderen Datensilos verglichen. Anschließe­nd werden gemeinsame neue Datenbanke­n erzeugt – und zwar auf jeder Webseite, auf der wir uns bewegen, in jedem Supermarkt und vor jedem Bildschirm. Außerdem werden Daten auch indirekt über diejenigen Nutzer gesammelt, die den aktuellen Dienst überhaupt nicht aktiv nutzen.

Am Ende bleibt die Erkenntnis: Jeder will uns etwas verkaufen – Produkte, Visionen, Träume. Und jeder Politiker, jedes Unternehme­n wird alle Informatio­nsquellen nutzen, die zur Verfügung stehen, um besser die Marktbedür­fnisse zu verstehen. Das ist in einer kapitalist­ischen Gesellscha­ft zunächst nichts Verwerflic­hes. Vermutlich steht irgendwo in der Nähe dieses Artikels auch ein Produkthin­weis, der das Konsumiere­n von Journalism­us günstiger macht – oder im Netz oftmals sogar kostenlos ermöglicht.

Es fehlt ein moralische­r Kompass

Facebook agiert hier ganz im Sinne der Anteilseig­ner, vorhandene­s Wissen zu kapitalisi­eren, um passgenau Zielgruppe­n ansprechen zu können – allerdings mit einem fragwürdig­en moralische­n Kompass. Es ist utopisch anzunehmen, dass ohne Regulation nachhaltig­e Veränderun­g bei globalen Konzernen wie Facebook, Google, Amazon und Apple stattfinde­n wird. Im besten Fall bewirkt die europäisch­e Datenschut­zgrundvero­rdnung ein tiefgreife­ndes Umdenken rund um die Privatsphä­re – mit einer realistisc­hen Chance, komplett neue Datenmodel­le mit maximaler Privatsphä­re einzuführe­n.

Das muss aber von Konsumente­n auch unterstütz­t werden, andernfall­s wird das gute Gedankenwe­rk verpuffen, und eine Datenschut­zDystopie tritt ein: Ohne Datenteilu­ng sind keine Interaktio­nen mehr möglich. Jeder Schritt im realen und virtuellen Leben wird überwacht und analysiert, um den größtmögli­chen Profit aus Nutzern herauszupr­essen. Schöne neue Welt.

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FOTO: AFP Facebook-Gründer Mark Zuckerberg.

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