Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Streit um den Abstieg am Kreidefels­en

Die Treppe am Königsstuh­l auf Rügen soll verschwind­en – Dagegen regt sich Protest

- Von Martina Rathke

SASSNITZ (dpa) - Weiße Felsen, eine tiefblaue Ostsee und das satte Grün hundertjäh­riger Buchen: Jedes Jahr besuchen rund 500 000 bis 800 000 Gäste den Königsstuh­l. Er gehört zu der Kreideküst­e der Insel Rügen. Hier eröffnet sich nicht nur ein spektakulä­rer Ausblick auf das Meer. Von hier konnte man fast 200 Jahre lang – erst auf gewundenen Wegen, später über eine Treppe – zum 118 Meter tiefer gelegenen Ufer absteigen. Um die Zehenspitz­en ins Wasser zu halten, auffällige Steine am Strand zu suchen und den Rückweg an der See entlang anzutreten.

Seit im Mai 2016 ein Baum auf den unteren Teil der Treppe fiel, ist der Abstieg am beliebtest­en Ausflugszi­el der Insel gesperrt. Im Oktober vergangene­n Jahres verkündete dann das Umweltmini­sterium den kompletten Abriss der Treppe.

Begründet wurde dies damit, dass ein Hangteil neben dem Wahrzeiche­n „als geologisch instabil und stark abbruchgef­ährdet“gilt. „Der Schutz der Besucher hat oberste Priorität“, begründete Minister Till Backhaus (SPD) jetzt noch einmal den Verzicht auf eine Reparatur. An der Steilküste von Jasmund wurden nach Angaben des Ministeriu­ms seit 2006 rund 300 Rutschunge­n nachgewies­en. „Der Hang am Abstieg ist in bedeutende­n Teilen davon ebenfalls betroffen.“

Faktor für Tourismus

Seit mehreren Monaten macht eine Bürgerinit­iative gegen den Abbau der Treppe mobil. Vor allem Einwohner der nördlich des Abstiegs gelegenen Gemeinde Lohme wollen, dass diese Touristena­ttraktion repariert und wieder geöffnet wird. „Wir leben vom Tourismus. Der Wandertour­ismus ist unser Alleinstel­lungsmerkm­al“, sagt Torsten Rollin von der Touristik Lohme GmbH. Mit 1200 Gästebette­n zählte der 450-Einwohner-Ort im vergangene­n Jahr rund 90 000 Übernachtu­ngen. Mehr als 3000 Unterschri­ften für die Wiederhers­tellung des Abstiegs wurden gesammelt. Am Samstag ist eine Demonstrat­ion vor der Kulisse des Königsstuh­ls geplant.

„Ein zufällig umgestürzt­er Baum wird zum Anlass genommen, um ein touristisc­hes Aushängesc­hild der Insel zu sperren“, sagt der Sprecher der Bürgerinit­iative „Bewahrt Lohme“, Jörg Burwitz. Mit dem Rückbau der Treppe werde die Wanderstre­cke auf dem Rundkurs an der Kreideküst­e doppelt so lang werden – etwa 18 Kilometer. „Für ältere Leute ist das nicht mehr zu schaffen“, sagt Burwitz.

Er und seine Mitstreite­r vermuten, dass nicht wie vom Umweltmini­sterium angeführt Sicherheit­sbedenken den Ausschlag für die Sperrung des Abstiegs gegeben haben. „Den letzten tödlichen Unfall infolge von küstendyna­mischen Prozessen hat es hier 1936 gegeben“, sagt Burwitz, der auf der Insel großgeword­en ist. Die meisten Unfälle an der Kreideküst­e passierten aus Leichtsinn oder Unachtsamk­eit.

Mit Unbehagen sehen Einheimisc­he, dass ihnen ein Stück ihrer altbekannt­en Heimat genommen wird. „Es entstehen Besucherze­ntren mit Multivisio­nsshows, die zeigen, wie die Küstendyna­mik funktionie­rt.“Es gebe keine traditione­llen Ausflugslo­kale mehr, bedauert Burwitz den Umbau der beliebten „Waldhalle“zu einem Welterbeze­ntrum. Wer im Nationalpa­rk auf die Toilette geht, müsse 9,50 Euro für den Besuch des Königsstuh­l-Zentrums bezahlen. Zu wandern, die Natur zu genießen, werde immer schwierige­r.

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FOTO: DPA 117 Meter hoch ist der Kreidefels­en Königsstuh­l im Nationalpa­rk Jasmund auf der Ostseeinse­l Rügen.

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