Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Spannendes Spiel mit der Realität

„Unsane“: Steven Soderbergh hat seinen neuen Film mit einem Smartphone gedreht

- Von Dieter Kleibauer

S● teven Soderbergh ist in Hollywood ein Irrlicht. Mal liefert er Blockbuste­r wie die „Ocean’s“Serie, dann verkündet er, nie wieder Filme drehen zu wollen. Dann produziert er einen billigen Indiefilm, kurz darauf eine Serie, um anschließe­nd wieder über den ganzen Betrieb herzuziehe­n. Mit „Unsane – Ausgeliefe­rt“hat er wieder einen Coup gelandet. Er hat seinen Film (fast) komplett mit einem iPhone gedreht. Davon abgesehen ist es ein solider, kleiner Thriller und soll auch eine Kritik am amerikanis­chen Gesundheit­ssystem sein.

Denn was seine Heldin Sawyer Valentini (Claire Foy, „The Crown“) da erlebt, kann Soderbergh zufolge jedem passieren, der nicht genau hinsieht. Die junge, smarte Bankerin macht eine Psychother­apie, nachdem sie über längere Zeit von einem Stalker heimgesuch­t worden ist. Als sie ein Formular unterschre­ibt, erkennt sie nicht, dass sie damit einer Einweisung in die Psychiatri­e zustimmt – die sogleich vollzogen wird. Sie hat das Kleingedru­ckte nicht gelesen.

Grausames Szenario

Und schon sitzt sie in Anstaltskl­eidung in einer Zelle, muss entwürdige­nde Untersuchu­ngen über sich ergehen lassen – und macht alles nur schlimmer, wenn sie diese klassische­n Sätze spricht wie „Ich gehöre nicht hierhin!“oder „Ich bin nicht krank!“Ja, klar, das sagen alle dort. Doch es kommt noch schlimmer: Wenige Tage später erkennt sie unter ihren Therapeute­n ihren Stalker. Oder ist das nur Einbildung?

Soderbergh zieht dem Zuschauer ganz den Boden unter den Füßen weg – bald weiß man nicht mehr, was Fantasie, was Realität ist. Ist Sawyer vielleicht doch geisteskra­nk, eben „unsane“, ein Wortspiel aus „insane“(verrückt) und „unsafe“(unsicher)? Wem kann sie trauen? Wem nicht? Ist jeder das, was man glaubt? Ist Sawyer das Opfer oder eine Psychopath­in? Das ist spannend, durchaus konvention­ell, manchmal dick aufgetrage­n, teilweise „Einer flog über das Kuckucksne­st“light. Soderbergh unterstrei­cht, dass ein Fall wie der von Sawyer tatsächlic­h vorkommen kann – dass sich in den USA Menschen sozusagen selbst einweisen, wenn sie in einem Formular auch nur andeuten, schon einmal an Selbstmord gedacht zu haben. Und schon landen sie in der Anstalt, natürlich zu ihrem eigenen Schutz.

Die Engländeri­n Claire Foy trägt den ganzen Film fast allein, ein großes Solo für sie. Ihren Peiniger George spielt Joshua Leonard, eines der Hexenopfer in „The Blair Witch Project“(1999). Drehort war ein altes, stillgeleg­tes Krankenhau­s, das noch weitgehend original eingericht­et war.

In nur zwei Wochen hat Steven Soderbergh diesen Film gedreht, nicht nur mit einem iPhone 7, sondern mit dreien, mit einigem technische­n Beiwerk wie Weitwinkel-Vorsatzlin­sen und steadycam-artigen Halterunge­n, die fließend-stabile Bewegungen und 4K-Qualität ermögliche­n. Eine Szene hat er auch mit herkömmlic­her Digi-Kamera aufgenomme­n. Anschließe­nd erfolgte die übliche profession­elle Postproduk­tion, in der die Bilder bearbeitet und geschnitte­n wurden.

Und tatsächlic­h ist das Ergebnis ein Film, dem man – ohne Vorwissen – seine Produktion nicht ansieht. Soderbergh selber sieht sich da ein wenig als Teil der Guerilla-Filmemache­r, die mit kleinen, billigen Produktion­en, die jeder mit einem Smartphone drehen kann, das System aus den Angeln heben. Gut möglich aber auch, dass er fürs System demnächst wieder einen ganz normalen Blockbuste­r dreht. Kann man bei ihm nie wissen.

„Unsane – Ausgeliefe­rt“, USA 2018, Regie: Steven Soderbergh, 98 Minuten, FSK: ab 16 Jahren.

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FOTO: DPA Der Film ist ein großes Solo für Schauspiel­erin Claire Foy.

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