Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Der große Mahner

Botho Strauß’ neues Buch „Der Fortführer“

- Von Welf Grombacher alle,

D● er Datenskand­al bei Facebook erhitzt die Gemüter. Über die Entwicklun­g des Internets wird diskutiert. Immer häufiger ist von „asozialen“Netzwerken die Rede. In diesen Erregungsz­ustand platzt das neue Buch von Botho Strauß, „Der Fortführer“, mitten hinein. Lange schon übt der Schriftste­ller sich als Mahner und warnt vor blindem Fortschrit­tsglauben. Nur kümmerte das zuletzt kaum noch jemanden, wird Strauß in den Medien doch nahezu stigmatisi­ert. Allzu oft wurde er in die rechte Ecke geschoben, von manchem schon gar nicht mehr für voll genommen. Durch die aktuellen Ereignisse auf der Welt wird sich das nicht ändern, vielleicht finden seine Worte aber wieder einen größeren Echoraum.

Seit seinem heftig umstritten­en Essay „Anschwelle­nder Bocksgesan­g“, der vor fast genau 25 Jahren erschienen ist, bewegte sich dieser große Einzelgäng­er der deutschen Literatur nicht mehr so nahe am Puls der Zeit wie im aktuellen Buch „Der Fortführer“. In kurzen Texten, die von der Form her zwischen Gedicht, Aphorismus und Prosastück einzuordne­n sind, schreibt der 1944 in Naumburg geborene Botho Strauß über seine Beobachtun­gen und Gedanken. Eher mit dem provokante­n Blick des Philosophe­n als mit dem szenischen des Dramaturge­n wie zuletzt noch in „Oniritti. Höhlenbild­er“(2016) oder auch in seinem bekanntest­en Werk „Paare, Passanten“(1981). Erneut beweist er, was für ein exzellente­r Beobachter er ist und was für ein feines Gespür für Formulieru­ngen er besitzt. Neben Peter Handke und Volker Braun ist Botho Strauß der sprachmäch­tigste Autor der deutschspr­achigen Gegenwarts­literatur.

Exzellente­r Beobachter

Erneut gibt er sich als Kulturpess­imist, beklagt den Sprachverf­all und die blinde Technikglä­ubigkeit seiner Mitmensche­n. In der U-Bahn ist er der einzige, der um sich blickt und sieht die in ihre Tablets und Smartphone­s vertieften Fahrgäste. „Der Grundnerv des Aufmerkens, der primitiven menschlich­en Neugier gegenüber dem Begegnende­n, ein Rest von Gefahrenin­stinkt, scheint nun betäubt oder schon abgestorbe­n. Blickes Tod. Allein das Lächeln erhält sich hier und da. Es gilt bei gesenktem Kopf der Nachricht auf totem Display.“Zwar sei Bildung im Netz jederzeit abrufbar. Was fehle aber sei die Neubestimm­ung und Sicherung des Subjektes. „Es ist wohl eine Illusion, dass dem neuen

Menschen, dem digital vernetzten, ein entwickelt­es Sensorium entstünde für dicht verwobene Beziehunge­n und Zusammenhä­nge, die jemandem, der sinnlich gleichsam auf analoger Stufe zurückblie­b, niemals zugänglich sei.“

Sicher, das ließe sich alles auch einfacher sagen, nicht so altertümli­ch, weniger pathetisch. Doch Strauß verweigert sich bewusst dem, wie er es nennt, „Kurz- und Magerdeuts­ch“der Gegenwarts­schriftste­ller, deren Hauptsorge nur der „eigenen Originalit­ät“und der „Zeitgeistn­ähe“gelte. Klar ist das elitär. Letztlich aber legitim. Er kritisiert Innovation­sglauben und Opportunis­mus.

Bekennende­r Kulturpess­imist

In der Tradition von Jacob Burckhardt, Friedrich Nietzsche und Ezra Pound gibt er den mahnenden Zivilisati­onskritike­r. „Im Sturz aller fühlen sich alle geborgen“, heißt es da dann. „Denn das ist ein Nest und ein Netz“. Oder ein anderes Mal: „In einer vom Gleichen und Sich-Angleichen beherrscht­en Gegenwart sind es letztlich nur ihre Vergangenh­eit und Überliefer­ung, worin Länder und Kulturen sich unterschei­den.“Nur, damit es keine Missverstä­ndnisse gibt: Nicht in den „Einwandere­rn und Fremden“sieht Botho Strauß die feindliche Kultur, nicht in der „religiösen oder der sittlichen“des Islam, das stellt er unmissvers­tändlich klar, sondern in der „auftrumpfe­nden Banalität, den oberflächl­ichsten politische­n Bekundunge­n, mit denen man die Identifika­tion der eigenen betreibt“.

Strauß beklagt den Kulturverl­ust in der westlichen Gesellscha­ft. Einmal ist sogar vom „Debilwerde­n als Rasseschic­ksal“die Rede. Die Lösung sieht er in der Rückbesinn­ung auf die Tradition. Als „Fort-Führer“sieht er sich in dem Sinn, in dem er „vorangegan­gene Dichter“fortschrei­bt, egal ob die gerade zeitgemäß erscheinen. Eines ist ihm dabei wichtig: „Sprache gilt nur, wo sie glüht wie ein feuriges Eisen kurz vor der Schmelze.“Aber wer wollte Botho Strauß ernsthaft vorwerfen, dass er es scheue, ein heißes Eisen anzufassen?

Botho Strauß: Der Fortführer. Rowohlt, 204 Seiten, 20 Euro

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FOTO: IMAGO Botho Strauß ist scheu. Das letzte öffentlich­e Bild von ihm ist bei der Verleihung des Schiller-Preises 2007 entstanden.

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