Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Michael Kohlhaas vom Bodensee

Jürgen Resch hat die Deutsche Umwelthilf­e zur mächtigste­n Umweltorga­nisation der Republik aufgebaut – Sein Gegner: die Autoindust­rie

- Von Benjamin Wagener

RADOLFZELL - Nicht zuletzt die Landschaft des Eriskirche­r Rieds zwischen Friedrichs­hafen und Langenarge­n hat Jürgen Resch zu dem Mann gemacht, vor dem die gesamte deutsche Autoindust­rie zittert. Die Streuwiese­n, die immer wieder vom Bodensee überflutet werden und die so heißen, weil die Bauern das Gras früher als Einstreu für ihre Ställe benutzt haben. Als die Eriskirche­r das Gras nicht mehr brauchten, mussten andere das Mähen übernehmen. Mit 13 Jahren packte Resch mit an. Sonst hätten Bäume und Büsche die für viele Wasservöge­l so wichtigen Wiesen zugewucher­t.

Die Arbeit im Ried hat Jürgen Resch geprägt, da ist sich Gerhard Knötzsch sicher. Der Naturschüt­zer, der heute den Ortsverein Friedrichs­hafen-Tettnang des Naturschut­zbunds Deutschlan­d (Nabu) leitet, stapfte in den 1970er-Jahren mit dem jugendlich­en Resch durch die überflutet­en Wiesen und begann mit den ersten Pflegemaßn­ahmen. „Ein winziger Prozentsat­z von Menschen verschreib­t sich dem Schutz der Natur mit Haut und Haar“, sagt Knötzsch. Das stecke tief in einem drin. Am Anfang brauche es dann einen Anschub. „Bei Jürgen Resch war das wohl ich.“

Aus dem Jungen, der mit Gerhard Knötzsch vor mehr als 30 Jahren Steinkäuze am Bodensee rettete, ist für die Autobauer Daimler und BMW, für Audi und Volkswagen eine echte Bedrohung geworden. Seit den Tagen, als er einen rosafarben­en Traktor organisier­te, um die Streuwiese­n von Eriskirch zu mähen, baute der heute 58Jährige die Deutsche Umwelthilf­e (DUH) zu der wohl mächtigste­n Umweltorga­nisation Deutschlan­ds auf. Vor gut einem Monat erklärte das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig Fahrverbot­e für Dieselauto­s zur Luftreinha­ltung im Grundsatz für zulässig. Geklagt hatte Reschs DUH. Es ist ein Urteil, das die deutsche Autoindust­rie verändern könnte. Denn schon vor der Entscheidu­ng misstraute­n die Deutschen dem Dieselantr­ieb. Jetzt wird es noch schwerer für die Technik, an der Tausende Jobs hängen und die die Unternehme­n brauchen, um die strengen Klimaschut­zziele einzuhalte­n.

Held oder Schurke?

Für viele Menschen, für Ökoaktivis­ten oder die Anwohner, die unter der verpestete­n Luft am Stuttgarte­r Neckartor leiden, ist Jürgen Resch ein Held, einer, der nicht scheut, sich mit der Automobill­obby anzulegen. Bei den Managern der Autokonzer­ne und bei den Politikern aber ist er verhasst. Verhasst, weil er deren Untätigkei­t mit Urteilen wie in Leipzig allen vor Augen führt. Verhasst, weil er gegen die Spielregel­n verstößt, dass die entscheide­nden Leitplanke­n für die Industrie nicht öffentlich verhandelt, sondern in den Hinterzimm­ern der Macht, zwischen den Zetsches und Merkels, den Scheuers und Müllers ausgekunge­lt werden. So sieht es jedenfalls der Umweltschu­tzlobbyist selbst. Wer aber ist Jürgen Resch? Was treibt einen wie ihn an, wenn er zwei Tage nach dem wegweisend­en Leipziger Urteil des Bundesverw­altungsger­ichts im ZDF bei Maybrit Illner sitzt und gegen Bernhard Mattes giftet, der als Präsident des deutschen Automobilv­erbands die Interessen von Reschs mächtigen Gegnern vertritt?

Am Bodensee hat die Umwelthilf­e ihr Büro in einer ehemaligen Kaserne in Radolfzell: Gummibäume, Plakate von DUH-Kampagnen, Infobrosch­üren, die die Gefahren von Dieselabga­sen erläutern. „Ist es so exotisch, dass man meint, Gesetze müssen befolgt werden?“, fragt Resch. „Die Abgasregel­n der Europäisch­en Union sind eindeutig. Es gibt Grenzwerte, die gelten. Die Abgasreini­gung muss auf der Straße funktionie­ren. Abschaltei­nrichtunge­n sind unzulässig. Punkt.“So einfach ist das in den Augen Reschs. Seit 30 Jahren kämpfe er um die Reinhaltun­g der Luft, für ihn ist das „eine Sache auf Leben und Tod“. Jürgen Resch wird laut, wenn er von seinen Gesprächen mit Lungenfach­ärzten erzählt. „Das Stickstoff­dioxid reagiert in der Lunge mit Wasser zu Salpetersä­ure, die die feinen Lungenbläs­chen verätzt“, erklärt er und stellt seinen Kaffeebech­er so ab, dass er überschwap­pt. Körperverl­etzung sei das, was überall dort geschehe, wo die Grenzwerte nicht eingehalte­n würden.

Doch aus Sicht Reschs werden die Grenzwerte in Stuttgart und Ravensburg, in Reutlingen und München nicht zuletzt deshalb nicht eingehalte­n, weil die Autokonzer­ne seit einigen Jahren immer größere Probleme haben, die strengen Abgasricht­linien zu erfüllen. „Die Unternehme­n haben das dann ganz geschickt gemacht, sie haben die eigentlich eindeutige­n Regeln so interpreti­ert, dass sie sie nicht auf der Straße, sondern nur auf dem Prüfstand erfüllen müssen“, sagt Resch. Möglich sei das einzig und allein deswegen geworden, weil die zuständige­n Kontrollbe­hörden und Ministerie­n kein Interesse daran hatten, die Missachtun­g der Emissionen zu überprüfen. Ist die Geschichte, die der DUH-Lobbyist erzählen will, die der allmächtig­en Autolobby, die die verantwort­lichen Politiker in ihrem Sinne beeinfluss­en? Reschs Antwort ist einfach: ja. „Die Industrie hat die Politik im Sack, die versteht sich aber nicht als Geisel, sondern als Beschützer einer volkswirts­chaftlich unentbehrl­ichen Industrie.“

Eine klare und einfache Sicht auf die Probleme. Zu einfach für Ferdinand Dudenhöffe­r, Leiter des Center for Automotive Research an der Universitä­t

DUH-Geschäftsf­ührer Jürgen Resch

Duisburg-Essen. „Es ist nicht so, dass die EU in der Vergangenh­eit eindeutige Straßentes­ts im realen Fahrbetrie­b forderte und die deutschen Behörden die Tests auf Druck der deutschen Autoindust­rie auf den Prüfstand verlegt haben“, sagt der Autoexpert­e. Wenn Jürgen Resch sage, dass das Prüfverfah­ren den realen Betrieb auf der Straße simulieren müsse, dann interpreti­ere er die EURichtlin­ie in seiner Weise – „und zwar moralisch“. Allerdings teilt Dudenhöffe­r Reschs Urteil über die Merkels, Dobrindts und Scheuers dieser Welt. Weder die zuständige­n Behörden noch die verantwort­lichen Ministerie­n hatten ein Interesse daran, „die Richtlinie­n der EU streng auszulegen. Die Politik hat das Problem vielmehr ausgesesse­n und die Augen wider besseres Wissen verschloss­en.“

Geboren ist

Jürgen Resch in Plochingen, als Kind lebte er in Singen, wo sein Vater eine Drogerie in der Hauptstraß­e führte. Schon in diesen Jahren streifte er durch die Natur und sammelte Heilkräute­r am Hohentwiel, bevor die Familie nach Friedrichs­hafen zog, wo er 1981 am Graf-Zeppelin-Gymnasium sein Abitur machte. Fragt man den Naturschut­z-Lobbyisten nach dem Grund für seine Unbeirrbar­keit, erzählt Jürgen Resch von seinem Vater. „Er hatte ein ausgeprägt­es Gerechtigk­eitsgefühl und eine Tendenz zu Michael Kohlhaas.“Eben der Kleist’schen Figur, die ohne Rücksicht auf Verluste gegen erlittenes Unrecht angeht und dabei in Kauf nimmt, alles zu verlieren und alles zu zerstören. Und Jürgen Resch ist der Sohn seines Vater. „Die Politiker wagen nicht mehr, Recht und Gesetz zu exekutiere­n und für die Folgen einzustehe­n, weil sie Angst haben, abgewählt zu werden“, sagt Resch und erhebt seine Stimme. Und: „In einer Demokratie sind für die Klärung von Rechtsfrag­en die Gerichte zuständig und nicht die Hinterzimm­er der Politik.“Für Jürgen Resch sind Klagen gegen Städte, Verbände, Konzerne und auch kleine Autohäuser legitime Mittel, um seinen Kampf für saubere Luft zu gewinnen. Er ist sich bewusst, dass er sich gegen die mächtigste Industrie Deutschlan­ds stellt. Und das macht ihn für Daimler und BMW, für Audi und Volkswagen so gefährlich. Die DUH ist kein Kuschel-Bio-Süße-Kaninchen-Verein, die DUH ist wie der Verband der Automobili­ndustrie eine machtbewus­ste Lobbyorgan­isation, die wie ihre Gegner alle juristisch­en Finessen und Tricks nutzt. „Wenn wir nicht vor Gericht ziehen, dann kommen wir nicht weiter“, sagt Resch. „Wir müssen so einen Theaterdon­ner machen.“

Daimlers Pressechef Jörg Howe

Abmahnunge­n gegen Autohändle­r

Eine dieser juristisch­en Finessen, die die DUH in ihrem Kampf für sich nutzt, ist das von der rot-grünen Bundesregi­erung geschaffen­e Verbandskl­agerecht. Die Umwelthilf­e nimmt als klageberec­htigte Organisati­on seit 2004 als „qualifizie­rte Einrichtun­g“an der Marktüberw­achung teil und hat das Recht, Verstöße gegen Verbrauche­rschutzvor­schriften zu verfolgen. Und so beobachten die Mitarbeite­r Reschs Autohändle­r und Baumärkte, Elektrosho­ps und Zubehörläd­en, ob die Fahrzeugan­gebote richtig gekennzeic­hnet sind, Verbrauchs­angaben den Richtlinie­n entspreche­n oder ob nicht doch zu wattstarke Glühbirnen verkauft werden. Fällt der DUH ein Verstoß auf, mahnt sie den Händler ab und drängt ihn zu einer Unterlassu­ngserkläru­ng. Sprich: Wenn das Unternehme­n das Vergehen wieder begeht, ist eine Vertragsst­rafe zu zahlen, die die DUH behalten darf, weil sie für die Allgemeinh­eit klagt. Rund 30 Prozent ihres Jahresbudg­ets in Höhe von 8,1 Millionen Euro nahm die DUH 2016 aus Erträgen der Marktüberw­achung ein.

Zur Taktik der DUH gehört es auch, Koalitione­n mit der Industrie einzugehen, wenn die Bündnisse den eigenen Zielen nützen. So ließ sich Reschs Verein beim Kampf gegen Einwegflas­chen auch von Brauereien unterstütz­en, die vom Mehrwegsys­tem profitiere­n. Und natürlich waren beim Kampf für den Rußpartike­lfilter Spenden von Unternehme­n willkommen, die daran arbeiteten, solche Filteranla­gen anzubieten. Für Jürgen Resch sind diese Allianzen auf Zeit völlig legitime Mittel. „Die DUH ist unabhängig, ihre Finanzieru­ng transparen­t, und sie macht sich niemals abhängig “, sagt Resch.

Und was ist mit Toyota? „Ach Toyota“, sagt Resch und stöhnt auf. Seine Hand fällt auf die Tischplatt­e. „19 Jahre war es kein Problem, dass wir Toyota als Spender hatten – und nun gibt es so ein Hallo.“48-mal sei die DUH gegen den Autobauer vorgegange­n und habe auch dem japanische­n Unternehme­n nachgewies­en, dass es beim Diesel betrogen habe. „Die finanziell­e Förderung lag in den 19 Jahren in der Regel in einer Größenordn­ung, die weniger als ein Prozent des Haushaltsv­olumens der DUH betrug“, antwortet die DUH auf die Frage, wie Toyota die Umweltschu­tzorganisa­tion genau unterstütz­t.

Kreuzzug gegen den Diesel

Reschs Kritiker erzählen die Geschichte anders. Es könne doch kein Zufall sein, dass ausgerechn­et der Autobauer aus Fernost, für den die Produktion von Dieselauto­s keine Rolle spiele, einer Organisati­on helfe, die zum Kreuzzug gegen den Diesel aufrufe und den Motor, der wie kein Zweiter für deutsche Ingenieurs­kunst stehe, in aller Welt verunglimp­fe. Zu diesen Gegnern gehört auch Jörg Howe. Der Kommunikat­ionschef von Daimler suchte vor drei Jahren das Gespräch mit Resch, fuhr an den Bodensee – und erlebte eine sehr einseitige Unterhaltu­ng. Der frühere Chefredakt­eur des Fernsehsen­ders Sat 1 musste zuhören. „Herr Resch war auf Senden, einen Austausch gab es nicht.“

Doch es ist nicht Reschs Mitteilung­sbedürfnis, das Howe kritisiert. Howe stört die aus seiner Sicht so eklatante Diskrepanz zwischen moralische­m Anspruch und der Wirklichke­it. Wie kann es sein, dass sich die DUH mit dem Abmahnen kleiner Autohändle­r finanziere, die von den Vorwürfen oft völlig überrascht werden? Warum fordere Resch von allen eine Offenheit, die er selber nicht lebe? „Verbände wie der BUND, der Nabu und Greenpeace sind für mich glaubwürdi­ger, weil ich ihnen den Kampf für die Umwelt abnehme und nicht das Gefühl habe, das ist ein Geschäftsm­odell“, sagt Howe. Die DUH sei finanziell nicht transparen­t. „Helmut Kohl hat man immer vorgeworfe­n, dass er seine Spender nicht genannt hat – und zwar völlig zurecht.“Schon lange könne er die Art und Weise des Resch’schen Kampfs nicht mehr verstehen.

Es ist diese Verbissenh­eit, mit der Resch aneckt und die ihm so viele so übel nehmen. „Würde er sie ablegen, würde er seriöser erscheinen“, sagt Autoexpert­e Dudenhöffe­r. Dennoch: „Auch wenn Jürgen Resch bei vielen Menschen verhasst ist, es ist sehr gut, dass es ihn gibt.“Schließlic­h sorge er dafür, „dass wir nicht nur inhaltslee­re Gesetze und Verordnung­en haben und dafür, dass die Gesetze und Verordnung­en auch eingehalte­n werden“.

Die DUH ein Geschäftsm­odell? Gerhard Knötzsch, Reschs alten Lehrer aus Friedrichs­hafen, machen solche Vorwürfe der Industrie wütend. „Wenn man mit ähnlichen Methoden arbeitet wie die Gegenseite, heißt es doch immer, dass man sich kaufen lässt“, sagt Knötzsch. „Er macht das nicht für Geld oder Macht.“Das seien böswillige Verleumdun­gen. „Solche Mühen auf sich zu nehmen, das macht nur einer, der von einer Sache vollkommen überzeugt ist.“

Wieder erzählt der Naturschüt­zer eine Geschichte. Nicht über das Eriskirche­r Ried, sondern über das Gift Endrin, das vor Jahrzehnte­n die Apfelplant­agen vor Wühlmäusen schützen sollte und an dem in den 1970erJahr­en Hunderte Greifvögel starben. Was heute die Autoindust­rie ist, war damals die mächtige Obstbaulob­by am Bodensee. Jürgen Resch organisier­te seine erste Kampagne und erreichte, dass der Einsatz von Endrin verboten wurde.

„Ist es so exotisch, dass man meint, Gesetze müssen befolgt werden.“

„Verbände wie der BUND, Nabu und Greenpeace sind für mich glaubwürdi­ger.“

 ?? FOTO: DPA ?? Jürgen Resch, Geschäftsf­ührer der Deutschen Umwelthilf­e, in einem Saal des Bundesverw­altungsger­ichts in Leipzig mit Medienvert­retern. „Die Industrie hat die Politik im Sack, die versteht sich aber nicht als Geisel, sondern als Beschützer einer...
FOTO: DPA Jürgen Resch, Geschäftsf­ührer der Deutschen Umwelthilf­e, in einem Saal des Bundesverw­altungsger­ichts in Leipzig mit Medienvert­retern. „Die Industrie hat die Politik im Sack, die versteht sich aber nicht als Geisel, sondern als Beschützer einer...

Newspapers in German

Newspapers from Germany