Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Wohnen beim Discounter

Angesichts knapper Flächen in vielen Städten rücken Handelsket­ten von der klassische­n Filiale mit Parkplatz ab

- Von Alexander Sturm

FRANKFURT (dpa) - Bodentiefe Fenster, breite Gänge, begrüntes Dach mit Photovolta­ikanlage, Ladestatio­nen für Elektroaut­os – und das auf engstem Raum. Im Frankfurt-Niederrad will Lidl sein Image polieren und zugleich dem Platzmange­l in der Stadt begegnen. Die Enge lässt den Discounter kreativ werden: Parkplätze werden unter der Filiale angelegt, eine Rolltreppe führt zu den Verkaufsfl­ächen.

Die erste „Metropolfi­liale“sei eine Blaupause, „wie wir uns Einzelhand­el in dicht besiedelte­n innerstädt­ischen Gebieten vorstellen“, erklärte Alexander Thurn, Geschäftsl­eiter Immobilien bei Lidl Deutschlan­d, zum Spatenstic­h. Bräuchten übliche Filialen mit vorgelager­ten Parkplätze­n eine Fläche von mindestens 6000 Quadratmet­ern, komme dieser spezielle Bautyp mit der Hälfte aus. Und Frankfurts Oberbürger­meister Peter Feldmann kündigte eine enge Kooperatio­n mit der Handelsket­te an – „auch beim Wohnungsba­u“.

Mit den Plänen ist Lidl nicht allein. Eingeschos­sige Flachbaute­n mit üppigen Parkplätze­n für den Großeinkau­f am Wochenende – dieses Bild in deutschen Städten dürfte seltener werden. Lebensmitt­elhändler errichten zunehmend Filialen mit angeschlos­senen Wohnungen, Arztpraxen und Büros. Gab es bisher schon angemietet­e Geschäfte im Erdgeschos­s von Wohnungen und auch einzelne gemischte Projekte, gewinnt die „Nachverdic­htung“nun an Fahrt. „Der Trend zum Neubau gemischter Handelsimm­obilien ist noch jung“, sagt Marco Atzberger, Mitglied der Geschäftsl­eitung beim Handelsins­titut EHI.

Norma etwa hat im Obergescho­ss einer Filiale in Nürnberg eine Kindertage­sstätte errichtet, Wasserspie­lplatz auf dem Flachdach inklusive. Ferner hat die Handelsket­te auf dem Grundstück auch den Neubau von Reihenhäus­ern und Geschosswo­hnungen geplant. Das Projekt sei Vorbild für weitere Filialen gerade in Bayern, heißt es.

Aldi Süd hat ähnliche Pläne: In Ballungsrä­umen wie Köln oder München würden Filialen in Kombinatio­n mit Wohnungen realisiert, teilte das Unternehme­n mit. Man stehe neuen Konzepten „offen gegenüber“. Und Lidl will im Frankfurte­r GallusVier­tel eine Filiale abreißen, die samt Parkplatz ein 7700 Quadratmet­er großes Grundstück belegt. Zu viel Raum für einen eingeschos­sigen Bau, findet Lidl, zumal die Gegend durch mehr Wohnungsba­u „zunehmend attraktiv“werde.

Lidl plant mit der kommunalen Gesellscha­ft ABG 110 Wohnungen auf dem Gelände – 40 direkt über der neuen Filiale und weitere 70 in einem separaten Gebäude. Die Parkplätze werden teils in eine Tiefgarage verbannt. „Mit solchen Plänen kommen Händler den Anforderun­gen von Städten entgegen, die dringend Wohnraum brauchen“, sagt Atzberger. Mehrgescho­ssige Handelsimm­obilien seien betriebswi­rtschaftli­ch effiziente­r und nebenbei näher am Kunden. „Wer über einem Lebensmitt­elmarkt wohnt, kauft dort wahrschein­lich auch ein.“

Einfachere Genehmigun­gen

Teils agieren Handelsket­ten aber auch unter politische­m Druck. Aldi Nord etwa will in Berlin 2000 Wohnungen errichten. Die ersten in Neukölln und Lichtenber­g würden in Kürze gebaut, weitere 15 Standorte in der Hauptstadt habe man im Blick. Mit dem Projekt geht Aldi auch auf Berlins Senat zu, dem die üppigen Discounter­flächen wegen der Wohnungsno­t ein Dorn im Auge sind. „Handelsket­ten dürften mit gemischt genutzten Immobilien leichter Baugenehmi­gungen in Städten erhalten“, sagt Atzberger.

Zudem setzt der Immobilien­boom die Handelsket­ten selbst unter Druck. In Metropolen seien Planungen für rein eingeschos­sige Supermärkt­e plus Parkplätze wegen der hohen Grundstück­spreise „wirtschaft­lich nicht realisierb­ar“, erklärte Rewe. Der hochpreisi­gere Händler setzt aber eher auf zentrale „City“-Filialen in städtische­n Wohnhäuser­n.

Selbst bei anderen Händlern finden neue Filialtype­n Gefallen: So strebt der Möbelriese Ikea zunehmend in die Innenstädt­e und kann sich nun Büros und Wohnungen auf dem Dach von Geschäften vorstellen. „Wir trauen uns zu, solche Modelle zu entwickeln. Umgesetzt werden sollten sie dann mit lokalen Partnern“, kündigte Ikea am Mittwoch an.

Die neuen Vorzeigefi­lialen haben jedoch auch Nachteile, etwa eine aufwendige­re Statik. Aus Anwohnersi­cht ist ebenfalls nicht alles rosig: Supermärkt­e liegen oft an Verkehrsac­hsen und sind so Lärm beim Kommen und Gehen der Kunden ausgesetzt. Zumal manche Geschäfte bis in den späten Abend hinein geöffnet haben.

Zudem sei Vermietung keine Kernkompet­enz von Händlern, sagt Experte Atzberger. Verwaltete­n sie Wohnungen in eigener Hand, seien sie Ansprechpa­rtner für Reparature­n und Mieterbesc­hwerden. Eine Auslagerun­g an Dienstleis­ter lohne hingegen erst bei vielen Objekten. „Die neuen Filialkonz­epte müssen sich insofern noch bewähren.“

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FOTO: DPA Computerda­rstellung eines vom Discounter Aldi geplanten Wohnprojek­ts in Berlin-Lichtenber­g: Der Platzmange­l lässt Supermärkt­e kreativ werden.

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