Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Der „Meister der Empfindsam­keit“

Die Hamburger Kunsthalle widmet dem englischen Maler Thomas Gainsborou­gh eine Ausstellun­g

- Von Carola Große-Wilde

HAMBURG (dpa) - Das Doppelport­rät „Mr. und Mrs. Andrews“von Thomas Gainsborou­gh (1727-1788) zählt zu den rätselhaft­esten Bildern der Kunstgesch­ichte. Denn auf dem Schoß von Mrs. Andrews prangt ein leerer Fleck. Was sollte dort eingefügt werden? Manche Theorie rankt sich darum. Der Direktor der Hamburger Kunsthalle, Prof. Christoph Martin Vogtherr, hat eine Erklärung: „Der Umriss zeigt eindeutig einen Fasan, den Mr. Andrews vielleicht kurz zuvor geschossen hat.“Dieses Rätsel sei gelöst. „Warum das Gemälde aber nicht vollendet wurde, das ist die große Frage“, meint Vogtherr.

Gainsborou­gh ist einer der bekanntest­en Maler der englischsp­rachigen Welt. In England kennt ihn jedes Kind, bei uns ist er nahezu unbekannt. In Frankreich und Italien gab es schon große Ausstellun­gen zu ihm, nicht aber in Deutschlan­d. Jetzt zeigt die Hamburger Kunsthalle noch bis zum 27. Mai eine Auswahl seiner bedeutends­ten Werke.

„Die Bilder von Gainsborou­gh haben sich in England in die kollektive Psyche eingeprägt wie bei uns 'Der Wanderer über dem Nebelmeer’ von Caspar David Friedrich“, sagte Vogtherr, der zuvor die Londoner Wallace Collection geleitet hat, in Hamburg bei der Eröffnung der Ausstellun­g. Im Mittelpunk­t der Ausstellun­g stehen aber nicht Gainsborou­ghs berühmte Porträts, sondern seine Landschaft­sbilder.

„In ihnen werden Widersprüc­he und Umbrüche fassbar, die England grundlegen­d verändern sollten – sozial, technisch und künstleris­ch“, sagte Vogtherr. Die rund 80 Werke – 40 Gemälde und 40 Arbeiten auf Papier – stammen aus den wichtigste­n britischen Sammlungen, darunter auch die National Gallery, die Tate Gallery und das Victoria and Albert Museum.

Gegliedert ist die Ausstellun­g in drei Kapitel: Unter dem Thema „Der Zugriff auf die Realität“werden frühe Werke Gainsborou­ghs wie „Holywells Park“(1748) Landschaft­en niederländ­ischer Künstler aus der Sammlung der Hamburger Kunsthalle gegenüberg­estellt. „Insbesonde­re das Verhältnis von Mensch und Landschaft interessie­rte Gainsborou­gh, die Verbindung mit und die Einfühlung in die Natur, die im Begriff der Empfindsam­keit („sensibilit­y“) zum Ausdruck

Christoph Martin Vogtherr, Direktor der Hamburger Kunsthalle

kam“, sagte Vogtherr. So zeigt der Maler drei Freunde in der Natur, von denen einer Flöte spielt – ein Zeichen von einem neuen Männeridea­l, das auch den Ausdruck von Gefühlen erlaubt.

Im Kapitel „Die soziale Landschaft“wird deutlich, wie seine Landschaft­sbilder die großen sozialen Umbrüche der Zeit spiegelten. So thematisie­rt das Gemälde „Der Erntewagen“(1766) die Landflucht: Die zunehmende Privatisie­rung des Gemeindela­ndes sorgte in England dafür, dass große Teile der Landbevölk­erung verarmten und als billige Arbeitskrä­fte in die Städte abwanderte­n.

Das dritte Kapitel widmet sich dem „kreativen Schaffensp­rozess“. Gainsborou­gh experiment­ierte mit Farben und unterschie­dlichen Techniken wie Aquatinta und Weichgrund­radierung, verwendete Magermilch oder malte Bilder auf Glas. Mit „Küstenland­schaft mit Segelschif­fen“(1783) wird eines dieser äußerst empfindlic­hen Werke auf Glas ausgestell­t – Gainsborou­gh hatte es ursprüngli­ch in einem Guckkasten präsentier­t.

„Die Bilder von Gainsborou­gh haben sich in England in die kollektive Psyche eingeprägt.“

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FOTOS: DPA Die beiden Gemälde „Mr. und Mrs. Andrews“(li.) und „Der Erntewagen“, in dem Gainsborou­gh das Thema Landflucht thematisie­rt, sind auch in der Ausstellun­g zu sehen.
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