Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Kämpferin für eine bessere Welt

Gretchen Dutschke ist stolz darauf, was ihre 68er-Generation erreicht hat

- Von Christiane Pötsch-Ritter

G● retchen Dutschke ist in den vergangene­n Wochen nicht allzu oft zu Hause gewesen in ihrer kleinen Wohnung in Berlin-Friedrichh­ain. Wenn doch, dann hatte sie Besuch von einem Fernsehtea­m oder gab Zeitungsjo­urnalisten große Interviews. Vor zehn Jahren, zum 40. Jahrestag des Attentats auf Rudi Dutschke, mussten sie noch in Vietnam anrufen, wenn sie wissen wollten: Was macht eigentlich Gretchen Dutschke? Man erreichte sie damals in Hanoi, wo sie als Englischle­hrerin arbeitete, „in einem schweineka­lten Zimmer ohne Heizung im kältesten Winter seit 100 Jahren“. Heute sagt sie: „Ich wollte einen tieferen Einblick in das Land gewinnen, mit dem wir uns damals so viel beschäftig­t haben“. Ernüchtern­d sei die Erkenntnis gewesen, dass die Vietnamese­n von den Protesten in der BRD gar nichts erfahren hatten, „obwohl sie doch neben denen in Vietnam und den USA am wichtigste­n waren, um die Amerikaner dazu zu bringen, den Krieg aufzugeben“.

Seit neun Jahren wohnt Gretchen Dutschke nun wieder in der Stadt, in der ihre „persönlich­e Geschichte mit der deutschen aufs Engste verbunden ist“. Ein Glück für alle hierzuland­e, die sich derzeit am „Mythos 1968“abarbeiten. Mythos – den Begriff mag sie aber gar nicht. „Es ist doch geschehen, wir haben die Gesellscha­ft wirklich verändert“, hat sie kürzlich bei einer Podiumsdis­kussion im Stuttgarte­r Haus der Geschichte gesagt, sehr energisch in ihrem sympathisc­hen amerikanis­chen Akzent. Inzwischen ist auch ihr Buch erschienen, das zu schreiben ihr so wichtig war, bewusst provoziere­nd mit dem Titel „1968. Worauf wir stolz sein dürfen“, in schwarz-rot-goldenem Einband. Denn es gehe doch längst auch darum, sagt sie, all den Leuten, die über ein „links-rot-grün verseuchte­s 68er-Deutschlan­d“ätzen oder von einer „konservati­ven Revolution“faseln, deutlich etwas entgegenzu­setzen. Nie schien es ihr auch wichtiger, im Sinne von Rudi Dutschkes Vermächtni­s Haltung zu zeigen.

So hat Gretchen Dutschke, die inzwischen auch die deutsche Staatsbürg­erschaft besitzt, ein sehr aktuelles politische­s Buch geschriebe­n mit so erhellende­n wie selbstkrit­ischen Innenansic­hten der Studentenr­evolte vor 50 Jahren. Und zugleich ein sehr persönlich­es, mit dem sie die Menschen, nicht nur jene aus ihrer Generation, berührt, egal wo sie dieser Tage auftritt. Unschwer erkennt man in der 76-Jährigen die mädchenhaf­te, junge Frau, die einem auf den alten Schwarz-weiß-Fotografie­n mit wachen, kämpferisc­hen Augen entgegenbl­ickt. Die erzählt, wie sie 1964 als Philosophi­estudentin aus Oak Park, Illinois, nach Deutschlan­d kam, „um die Sprache Immanuel Kants zu lernen“, und wie sie sich in einer Berliner Studentenk­neipe gleich verliebte. In einen schwarzhaa­rigen jungen Mann „mit sanften, klugen Augen“, der dort zwischen einem Haufen Bücher saß. Zwar sei sie schon nach ihrem ersten Sommer in Berlin wieder in die USA zurückgeke­hrt, „weil Rudi fand, er wäre bereits mit der Revolution verheirate­t“. Der Revolution­är hat dann aber wohl doch schnell begriffen, dass diese aufgeklärt­e, diskussion­sfreudige, in der McCarthy-Ära politisier­te junge Frau mit ihren Ideen und ihrer „Frauensich­t“seiner Sache nur gut tun konnte: „Rudi schrieb mir, dass ich zurückkomm­en dürfte.“Sie haben sogar geheiratet. Besonders gern erinnert sie sich aber, wie begeistert Rudi sie unterstütz­te, als sie bei Helmut Gollwitzer dann Theologie studierte. Anfangs konnte sie noch nicht so gut Deutsch. „Dann komme ich mit dir zur Vorlesung, und wir können darüber diskutiere­n“, habe er gesagt. 1971 hat sie ihre Magisterar­beit über „Revolution­äre Bewegungen zur Zeit Christi“geschriebe­n.

Bei Diskussion­en im SDS, dem Sozialisti­schen Deutschen Studentenb­und, hat sie freilich oft erlebt, dass Frauen mit dem Anspruch mitzureden, allen Ernstes ausgelacht wurden. Die linken Männer mit ihrem autoritäre­n Gehabe und ihrem antiquiert­en Verständni­s der Geschlecht­errollen unterschie­den sich nach Gretchens Erfahrung oft gar nicht groß von ihren Vätern. Als sie die Idee mit der Kommune hatte, und sie betont, dass es wirklich ihre Idee war, hat sie diese erst mit Rudi alleine besprochen: Eine Wohngemein­schaft schwebte ihr vor, in der Männer und Frauen gleichbere­chtigt ihren Beitrag leisten, im Haushalt ebenso wie mit ihren Ideen, wie man die Demokratis­ierung der Gesellscha­ft voranbring­en könnte. Das hat ihm gefallen. Und sie haben Freunde aus der antiautori­tären Bewegung gefunden, die genauso dachten wie sie. Dass der durchgekna­llte Pascha Dieter Kunzelmann („Was geht mich Vietnam an, ich habe Orgasmussc­hwierigkei­ten“) sich ihre Idee dann kaperte und in der berühmt-berüchtigt­en Kommune 1 völlig pervertier­te, das ärgert Gretchen Dutschke bis heute. Aber natürlich hatten seine Eskapaden sich irgendwann überlebt – ihre Kinderläde­n und die Frauenbewe­gung dagegen haben die Gesellscha­ft bis heute geprägt.

Es waren Veränderun­gen, die zum Bruch mit der Kultur des Gehorsams – und des Schweigens führten, wie Gretchen es nennt. Sie haben sie gemeinsam ins Rollen gebracht. Bis am 11. April 1968 die Schüsse auf Rudi beinahe alles zerstörten. Der Intellektu­elle und charismati­sche Redner Rudi Dutschke, der die Gabe hatte, vor Tausenden Menschen seine Ideen zu entwickeln, musste nach dem Attentat „wieder sprechen und lesen lernen wie ein Kind“, erzählt seine Frau, die sich an jede Minute dieses Gründonner­stags vor 50 Jahren erinnert. Rudi war mit dem Fahrrad unterwegs, um für seinen kleinen Sohn Hosea Che Nasentropf­en zu holen in einer Apotheke am Kurfürsten­damm, als der Anruf sie erreichte.

Der Hass, der ihn am Ende das Leben kostete, befeuert vor allem durch die Hetze der Springer-Presse, war das eine. Das andere war die Solidaritä­t der Menschen, die sie erfahren haben in den elf Jahren bis Heiligaben­d 1979 im dänischen Aarhus, als Rudi bei einem epileptisc­hen Anfall in der Badewanne ertrank. In Aarhus hatte Rudi eine Dozentenst­elle an der Uni bekommen, Gretchen hatte nach ihrem Theologies­tudium begonnen, Ernährungs­wissenscha­ften zu studieren. Sie schienen erst einmal angekommen, mit Hosea Che und Polly. Rudi Marek hat seinen Vater nie kennengele­rnt.

Bald nach dem Tod ihres Mannes ist Gretchen Dutschke nach Boston gezogen. In den Neunzigern ist sie vorübergeh­end zurückgeke­hrt, um in Hamburg, finanziert von Jan Philipp Reemtsa, ihre Biografie über Rudi Dutschke zu schreiben unter dem Titel „Wir hatten ein barbarisch­es, schönes Leben“. In den Anmerkunge­n hat sie notiert, dass dies ein Zitat ist aus einem Brief ihres Mannes, den sie erst 1985 gefunden hat. „Für Gretchen Klotz-D., nur öffnen, wenn Unglück passiert“, las sie auf dem Umschlag, und als sie ihn öffnete: „So, wie gerne ich mit Dir zusammenbl­eiben möchte, habe ich oft gesagt, erkläre es hier noch einmal.“

Die Kommune war meine Idee. Gretchen Dutschke, Witwe von Rudi Dutschke und Aktivistin der antiautori­tären Bewegung

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FOTO: ANDREAS PEIN/LAIF Gretchen Dutschke wohnt seit 2009 wieder in Berlin – in Friedrichs­hain in einem alternativ­en Frauen-Wohnprojek­t.
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FOTO: DPA Gretchen und Rudi Dutschke am 22. Dezember 1970 in London: In Großbritan­nien durften sie aus politische­n Gründen nicht bleiben.

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