Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Matsch, Musik und klare Ansagen

Wie die Musik ab 1968 weitere Generation­en prägte

- Von Stefan Rother

W Wenn irgendwo im Freien eine Festivalbü­hne errichtet wird und davor ein paar Regentropf­en fallen, dann steht ganz, ganz schnell ein Vergleich im Raum: „WoodstockF­eeling“. Durch das Aufstellen entspreche­nder Phrasensch­weine könnte man sich ein erklecklic­hes Einkommen sichern, jedes Mal wenn Matsch und Musik mal wieder aufeinande­rtreffen

Wie bei vielen Klischees ist aber natürlich auch an diesem etwas dran: Woodstock verkörpert sicher einen der prägendste­n Einflüsse der 1968er (auch wenn es erst 1969 statt fand) auf die Ausgestalt­ung der heutigen Musiklands­chaft. Und die richtet sich für viele jüngere und auch altgedient­e Musikfans mittlerwei­le nach einem festen Kalender – Rock im Park/am Ring und Southside im Juni, das örtliche Umsonst-und-Draußen im Juli, dann auf nach Wacken Anfang August … Der möglichst friedliche gemeinsame Musikgenus­s auf offenem Feld ist eine Konstante, die sich Fans eine ganze Menge kosten lassen. Zuverlässi­g wird dann auch über die immer größere Kommerzial­isierung der Festivals gewettert, wobei das originale Woodstock auch keine reine Wohltätigk­eitsverans­taltung war und der Mythos im Nachhinein höchst geschickt befeuert und ausgewerte­t wurde.

Das Bedürfnis, sich für ein paar Tage aus dem geregelten Alltag auszuklink­en, in komische Gewänder zu hüllen und zum Sound der Musik auch mal etwas anderes als eine Limo zu konsumiere­n, ist jedenfalls ungebroche­n. Und wenn dabei auf den großen Festivals eine breite Auswahl an Musikgenre­s aufeinande­rtrifft, steht das gleichfall­s im vielfältig­en Geist von Woodstock. Ebenso geblieben ist die Vorstellun­g, dass Pop auch politisch sein kann. Sicher gab es schon zuvor Protestmus­ik, aber die geballte Zusammenku­nft von Musikern in Woodstock, die sich klar gegen den Krieg in Vietnam und für die aufblühend­e Bürgerrech­tsbewegung aussprache­n, war ein eindringli­ches Statement.

Politische­s Engagement

Dieser Geist lebt fort in Rock-gegenRecht­s oder Free-Tibet-Festivals, auch wenn sich im Einzelfall diskutiere­n lässt, ob Bands daran aus tiefer Überzeugun­g teilnehmen, oder weil Protest chic ist. Das politische Tagesgesch­ehen spiegelt sich jedenfalls auch auf den Konzertbüh­nen wider, und so geriet im letzten Jahr selbst das eher unpolitisc­he Rock im ParkFestiv­al zu einer wütenden Anklage gegen den Mann mit den orangenen Haaren im Weißen Haus: von internatio­nalen Acts wie den Prophets of Rage bis hin zu engagierte­n deutschen Gruppen – von den Toten Hosen über die Broilers bis zu den Aktivisten-Punks von Feine Sahne Fischfilet – gab es klare Ansagen.

So hat 1968 die Darbietung und die Inhalte der Musik bis heute geprägt – wie steht es aber mit dem Stil? Zum einen gibt es nach wie vor Musiker, die zu ihren Hippie-Einflüssen stehen wie Lenny Kravitz, die Fleet Foxes, MGMT oder hierzuland­e Selig. Doch weniger als ein bestimmter Stil wie Folk oder Protestroc­k sind es eher die Offenheit zum Experiment, zur Vermischun­g von Musikricht­ungen auch aus weit entfernten Weltregion­en und der Mut zum Musizieren auch ohne klassische Ausbildung, die den Einfluss von 1968 ausmachen. Besonders prägend sind dabei deutsche Bands, die im Ausland wesentlich mehr gewürdigt werden als hierzuland­e – wie die 1968 gegründete­n Can oder die ein Jahr zuvor an den Start gegangenen Tangerine Dream. Nimmt man noch Kraftwerk hinzu, deren Vorgänger-Gruppe Organisati­on ebenfalls 1968 gegründet wurde, lassen sich ein guter Teil der heutigen Elektro-Musikszene, Soundtüftl­er und auch stilistisc­he Tausendsas­sas wie Björk direkt oder indirekt mit der Pionierarb­eit deutscher Bands in Verbindung bringen. Diese wollten damals ganz sicher keinen Schlager spielen, suchten aber auch nach Alternativ­en zu den britischen und amerikanis­chen Vorbildern. Und manchmal schließt sich sogar der Kreis: Der internatio­nal erfolgreic­he Elektronik-Musiker Ulrich Schnauss, Jahrgang 1977 und stark von Tangerine Dream beeinfluss­t, spielt nach dem Tod von Gründungsm­itglied Edgar Froese mittlerwei­le selbst in der aktuellen Besetzung der Formation.

 ?? FOTO: PICTURE ALLIANCE/AP/INVISION ?? Jimi Hendrix – hier 1969 beim legendären Woodstock Festival – hat mit seiner innovative­n und experiment­ellen Spielweise die Musik nachhaltig geprägt.
FOTO: PICTURE ALLIANCE/AP/INVISION Jimi Hendrix – hier 1969 beim legendären Woodstock Festival – hat mit seiner innovative­n und experiment­ellen Spielweise die Musik nachhaltig geprägt.

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