Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Die Kühe geben uns Kraft zurück“

Lehrgangsb­etrieb am Landwirtsc­haftlichen Zentrum in Aulendorf läuft nach Brand weiter

- Von Paulina Stumm

AULENDORF - Es ist kurz vor 16 Uhr am Mittwochna­chmittag, da schlendern sieben Milchkühe in der Nachmittag­ssonne auf den mobilen Melkstand vor dem neuen Milchviehs­tall des Landwirtsc­haftlichen Zentrums in Aulendorf (LAZBW) – beinahe, als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht, beinahe, als hätte es die Brandnacht nie gegeben, in der auch der eigentlich­e, vertraute Melkstand zerstört wurde. Es ist die Suche nach einem Stück Normalität inmitten dieser Szenerie der Unfassbark­eit, die dieser Tage die Stimmung auf dem Hof zu bestimmen scheint. Und die „Normalität“muss schnell gefunden werden, denn der Betrieb läuft weiter.

„Wir leben“, sagt Carolin van Ackeren, während sie vom unversehrt­en Verwaltung­sgebäude über den Hof und an der Brandruine vorbei zum provisoris­chen Melkstand läuft, „in zwei Welten“. Van Ackeren ist am LAZBW verantwort­lich für den Bereich Ausbildung und Kälberaufz­ucht. „Der Feuerball, der hier gewütet hat, das kann man sich gar nicht vorstellen.“Noch fehle ihnen allen die Zeit, um das Erlebte zu verarbeite­n, sagt sie, und spricht lieber davon, wie es den Tieren geht: Keine Euterentzü­ndungen, reguläre Milchleist­ung, die Herdenstru­ktur wieder intakt. „Die Kühe“, findet van Ackeren, „unterstütz­en uns in unserer Rückkehr in die Normalität. Und sie geben uns Kraft zurück.“

Mitarbeite­r halten zusammen

Und irgendwie muss der Betrieb ja weiterlauf­en, auch wenn der komplette Kälberstal­l mit Fütterungs­und Tränketech­nik, der Melkstand und die Futtermisc­hzentrale samt Heu und Kraftfutte­r verbrannt sind. Für die wesentlich­en Dinge ist zumindest eine provisoris­che Lösung gefunden: Die Kälber sind umgezogen in einen Außenstall nach Ebisweiler, die Schlepperg­arage wurde kurzerhand zum Abkalbesta­ll umfunktion­iert, neues Futter bestellt – und den mobilen Melkstand unter freiem Himmel, der vor dem geretteten neuen Milchviehs­tall aufgebaut wurde, scheinen die Milchkühe schon gewohnt. Dass das Arbeiten im provisoris­chen Zustand länger dauert und organisato­risch eine Herausford­erung darstellt, „schlauche“die Mitarbeite­rn schon, sagt Franz Schweizer, Leiter des Landwirtsc­haftlichen Zentrums BadenWürtt­emberg, aber: „Unsere Truppe hat fantastisc­h zusammen gehalten. Sie stehen zusammen und wissen, dass wir es gemeinsam stemmen müssen. Das macht mich stolz.“

Den Flammen zum Opfer gefallen ist auch der Schulungsb­ereich für Klauenpfle­ge und Geburtshil­fe sowie die Lehrwerkst­att. Im Lehrgangbe­trieb müsse man daher nun improvisie­ren, sagt Schweizer. Ziel sei es, nach dem Sommer wieder einen geordneten Lehrgangsb­etrieb zu haben. Abgesagt habe er aber kaum etwas. Alle Bildungsma­ßnahmen fänden statt, lediglich Dinge wie den Ferienmelk­kurs im Sommer würden gestrichen. Auch der aktu- elle Lehrgang samt Prüfung, zu dem auch die Teilnehmer gehörten, die am späten Sonntagabe­nd den Brand bemerkten und die Kälber ins Freie trieben, sei regulär abgehalten worden.

Forschung wird ausgesetzt

Das LAZBW ist auch eine Versuchsan­stalt, in der etwa zu Futter und Fütterungs­techniken geforscht wird. Für den Forschungs­bereich „Rinder und Milchvieh“hat der Brand nicht unerheblic­he Auswirkung­en. Einige Versuche müssen wohl gestoppt werden. „Ich will im Versuchsge­schehen keine Störelemen­te haben“, erklärt Schweizer, und Stress ist ein solches. „Wir könne alle eine Weile lang alles wegstecken, aber ich will sechs Wochen warten.“

Offensicht­lich nicht abwarten, einen Blick auf die Brandruine zu werden, kann es indes am Mittwochna­chmittag eine Familie, die wie so viele andere derzeit auf den Atzenberg kommen und ungebeten das Gelände betreten. Die offensicht­lich zur Schau gestellte Sensations­lust einiger „Besucher“löst bei den Mitarbeite­rn vor Ort Kopfschütt­eln aus. Van Ackeren berichtet allerdings auch von einer großen Anteilnahm­e, die ihnen zuteil werde. Es hätten auch schon ehemalige Azubis angerufen und gefragt, ob sie zum Helfen kommen sollten. „Es hilft sehr zu wissen: Wir sind nicht allein.“

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FOTO: PAULINA STUMM Derzeit müssen Kühe und Melker sich mit dem mobilen Melkstand unter freiem Himmel zurecht finden. Bislang spielt das Wetter mit.

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