Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Wahn! Wahn! Überall Wahn!
Viele singen unter der Dusche, mit der Shampooflasche als Mikrofon jodeln sie sich die Seele aus dem Leib. Andere schmettern beim Autofahren hemmungslos Tonfolgen, die früher einmal Arien gewesen sein könnten. Meist handelt es sich um Menschen, die in Anwesenheit von Zuhörern bestenfalls ein bisschen nuscheln oder gänzlich schweigen. Man muss kein Psychologe sein, um den Grund zu erahnen: Die Aushilfs-Pavarottis und HobbySinatras fühlen sich in Nass- oder Fahrgastzelle unbeobachtet. Sie müssen selbst bei schrägsten Tönen nicht fürchten, sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Das Rauschen des Wassers oder das Summen der Reifen auf dem Asphalt übertönt die eigene Darbietung ohnehin.
Anders verhält es sich, wenn mitten in der Nacht losgeorgelt wird. So geschehen im südbadischen Schliengen. Im Örtchen nahe Lörrach hat einer dieser selbsternannten Tenöre seinen Nachbarn zuletzt tagelang den Schlaf geraubt. In der Nacht zum Dienstag wurde es zu heftig, mehrere Gepeinigte beschwerten sich gegen vier Uhr morgens bei der Polizei. „Der Singsang ertöne stets zu nachtschlafender Zeit“, erzählte ein Beamter nach dem Besuch beim Nervensäger. „Er war total einsichtig und ist dann auch gleich ins Bett gegangen.“
Warum er morgens um vier gesungen hat, vermochte der Mann nicht zu erklären. Wahrscheinlich hat er weder Dusche noch Auto. Immerhin versprach er, künftig auf nächtliche Arien zu verzichten. Bis zum Meistersinger ist’s für den Burschen aus dem Badischen jedenfalls noch ein weiter Weg. Bis dahin gilt: „Wahn! Wahn! Überall Wahn!“(jos)