Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Früh aufklären bringt den meisten Erfolg
Referent der abgesagten Infoveranstaltung in Bad Wurzach über Rechtsextremismus in der Region
BAD WURZACH - Ein Konzert der rechten Szene im vergangenen Jahr bei Seibranz hat die Menschen in der Region beunruhigt. Es war auch Anlass einer Informationsveranstaltung der Stadt Bad Wurzach, die dann aber kurzfristig wegen Erkrankung des Bürgermeisters abgesagt wurde. Inzwischen ist die Stadt auf der Suche nach einem Ersatztermin.
Ein Referent dieses Abends wäre Sebastian Lipp gewesen. Er ist einer der maßgeblichen Redakteure des Onlineportals www.allgaeurechtsaussen.de. Dieses hat sich „Recherche, Dokumentation und Analyse der Umtriebe von Neonazis und anderen Rechtsradikalen im Allgäu“zur Aufgabe gemacht. SZ-Redakteur Steffen Lang hat sich mit ihm darüber unterhalten.
Herr Lipp, wie haben Sie die Absage der Infoveranstaltung aufgenommen.
Sebastian Lipp: Es ist sehr schade. So eine Veranstaltung sollte auf jeden Fall stattfinden. Ein Konzert von dieser Größenordnung, es waren 250 Personen der rechten Szene gekommen, darf nicht ohne Folgen bleiben. Es ist daher notwendig, dass diese Informationsveranstaltung nachgeholt wird.
Ist seit dem Konzert im Oktober denn auf dem allein stehenden Gehöft bei Seibranz noch einmal Ähnliches passiert?
Unseres Wissens nicht. Aber ein Hauseigentümer ist nach unserer Kenntnis Mitglied der Gruppe Voice of Anger, sodass jederzeit mit weiteren Veranstaltungen dort gerechnet werden muss.
Was verbirgt sich hinter Voice of Anger?
Das ist eine Kameradschaft von Neonazi-Skinheads. Sie ist ziemlich stark aufgestellt. Laut bayerischem Verfassungsschutz handelt es sich um die mitgliederstärkste rechtsextremistische Gruppe in Bayern. Sie ist vor allem im Allgäu und in Oberschwaben aktiv. 60 Mitglieder soll sie zählen, aber wenn man noch deren Dunstkreis dazuzählt, ist sie sicherlich um einiges größer. VoA-Mitglieder gibt es bis hinunter zum Bodensee, wenngleich es außerhalb Bayerns sicher weniger als im Freistaat sind.
Von rechtsextremen Straftaten war aber schon lange nichts mehr zu hören, oder?
Obwohl unser Netzwerk im Würrtembergischen schlechter aufgestellt ist als in Bayern mussten wir leider auch dort in den vergangenen Monaten diverse Aktionen dokumentieren: Es wurden Hakenkreuze und SSRunen geschmiert, nach Einbrüchen in Geflüchtetenunterkünfte wurde rechtsradikale Propaganda hinterlassen, in Tettnang und Bad Waldsee gab es sogar Brandanschläge auf Unterkünfte. Im südlichen Schwaben wurden in den vergangenen Jahren Hunderte rechte Straftaten registriert.
So gesehen, könnte man sagen, solange die Rechtsextremen sich auf Konzerten vergnügen, tun sie schon nicht Schlimmeres ...
Diese Konzerte darf man nicht kleinreden. Sie sind eine Plattform für das Rekrutieren und Radikalisieren von Nachwuchs. Der NSU ist groß geworden in dieser Szene und wurde auch aus diesem Milieu heraus all die Jahre unterstützt. Die deutlich latente Gefahr, dass sich aus diesen Konzerten heraus Gewalt entwickelt, darf man nicht sicherlich übertreiben, aber auf keinen Fall unterschätzen.
Noch einmal zurück zum Veranstaltungsort bei Seibranz. Voice of Anger hat bereits ein Clubheim bei Memmingen. Besteht da wirklich die Gefahr, dass sich diese Gruppe ein weiteren Treffpunkt fast in unmittelbarer Nähe sucht?
Das Haus in Seibranz könnte durchaus ein Standbein für eine Ausweitung der Aktivitäten in den Raum Ravensburg/Friedrichshafen werden. Mit Konzerten dort könnten junge Menschen aus der Umgebung in die Szene gelockt werden, denen der Weg nach Memmingen zu weit ist. Vor allem aber: Bei Seibranz handelt es sich um ein ganzes Gehöft, in Memmingen mehr oder weniger um eine Hütte. Wenn man dann noch weiß, dass bayerische Behörden sich rühmen, mit ihrer harten Linie rechte Konzerte in angrenzende Regionen verdrängt zu haben ...
Sie berichten auf Ihrem Onlineportal auch über eine Onlinepetition, die sich „Kein Nazi-Treff in Bad Wurzach“nennt und von einem Bündnis „Links im Allgäu“gestartet wurde. Was könnten Behörden denn dagegen unternehmen?
Sie könnten prüfen, welche Möglichkeiten bestehen, um künftige Neonaziveranstaltungen in Bad Wurzach und im Landkreis Ravensburg verhindert werden können und diese Möglichkeiten konsequent ausschöpfen. Das könnten Brandschutzauflagen und Meldepflicht für größere Veranstaltungen wie die im vergangenen Oktober sein. Außerdem sollte man dort stattfindende Straftaten wie Zeigen des Hitler-Grußes konsequenter strafrechtlich verfolgen. Ich weiß nicht, ob das Erfolg haben kann, aber man sollte es zumindest versuchen.
Was könnte darüber hinaus getan werden?
Das Erfolgversprechendste ist sicherlich, die Kinder und Jugendlichen aufzuklären und sie die grundsätzlichen Werte einer menschenfreundlichen Gesellschaft zu lehren. Dann sind sie weit weniger anfällig für die Agitation der Rechten. Bei einem ideologisch gefestigten Nazi ist meiner Erfahrung nach mit Argumenten oft nichts mehr auszurichten.