Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Erdogans Kampf um die Auslandstü­rken

- Von Susanne Güsten, Istanbul

Angesichts des Verbots türkischer Wahlkampfv­eranstaltu­ngen in Deutschlan­d könnten Politiker aus der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan über die Grenze nach Frankreich ausweichen. Das Pariser Innenminis­terium habe türkischen Kundgebung­en zugestimmt, sagte Ministerpr­äsident Binali Yildirim dem Nachrichte­nsender CNN-Türk. In Frankreich leben zwar weit weniger Türken als in der Bundesrepu­blik, doch könnten Wahlkampfv­eranstaltu­ngen in grenznahen Städten wie Straßburg dazu dienen, auch türkische Wähler in Deutschlan­d zu erreichen.

Mit seinen 1,4 Millionen türkischen Wählern ist Deutschlan­d für türkische Wahlkämpfe­r vor den Parlaments­und Präsidents­chaftswahl­en am 24. Juni bei Weitem das wichtigste Land in der EU. Das deutsche Verbot von Kundgebung­en nach dem heftigen Streit um die Absagen von Auftritten vor dem türkischen Verfassung­sreferendu­m im vergangene­n Jahr stellt Ankara vor ein Problem. Yildirim sagte in dem CNN-Türk-Interview, die französisc­hen Behörden wollten türkische Wahlverans­taltungen erlauben, wenn die türkische Seite die Kundgebung­en vorher anmelde und die nötigen Vorbereitu­ngen treffe. Konkrete Pläne für eine Wahlkampfr­eise Erdogans nach Frankreich sind bisher aber nicht bekannt.

Der türkische Präsident will seinen ersten Wahlkampfa­uftritt im Ausland am 20. Mai in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo absolviere­n. Dies sei Erdogans Antwort auf die „antidemokr­atischen Ankündigun­gen“anderer europäisch­er Länder, meldete die regierungs­nahe Zeitung „Yeni Safak“mit Blick auf die Verbote in Deutschlan­d, Österreich und den Niederland­en.

Mit besonderer Verärgerun­g reagiert die regierungs­freundlich­e Presse in der Türkei auf die Bemühungen der deutschen Behörden, einen Wahlkampfa­uftritt von Außenminis­ter Cavusoglu bei der Solingen-Gedenkkund­gebung am 29. Mai zu verhindern. Die Absage der gemeinsame­n Gedenkvera­nstaltung von Landesregi­erung und Parlament in NordrheinW­estfalen sei ein „Skandal“, kritisiert­en die Zeitung „Hürriyet“und andere regierungs­nahe Blätter.

Die Allianz Deutscher Demokraten, eine Erdogan-freundlich­e Partei in Deutschlan­d, kritisiert­e, das Auftrittsv­erbot in der Bundesrepu­blik richte sich nur gegen Politiker aus der Regierungs­partei AKP und deren nationalis­tische Partner aus den Parteien MHP und BBP. Dagegen hätten Vertreter der Opposition­sparteien CHP, HDP und Iyi Parti in Deutschlan­d ungestört mit Wahlkampfv­orbereitun­gen beginnen dürfen. Das sei „einseitige Meinungsma­che“.

Türkische Wähler sollen in der Bundesrepu­blik zwischen dem 4. und dem 17. Juni ihre Stimmen in diplomatis­chen Vertretung­en ihres Landes abgeben können. Die Urnen mit den Stimmzette­ln werden im Anschluss in die Türkei geflogen und erst dort geöffnet.

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