Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Teurer Fusel
Schottland führt gesetzlichen Mindestpreis als Maßnahme gegen Alkoholsucht ein
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LONDON - Mike Little freut sich schon auf zusätzlichen Umsatz. Eigentlich verkauft sein „House of Malt“im nordenglischen Marktstädtchen Carlisle vor allem hochwertigen Whisky aus schottischen Destillerien. Zuletzt aber hat Little seine Vorräte von billigerem Blend, Wodka und Rum aufgestockt: Weil im wenige Kilometer entfernten Schottland seit Dienstag ein Mindestpreis für alkoholische Getränke gilt, in England aber weiter Billigfusel verkauft werden darf, hoffen Einzelhändler wie Little auf durstige Konsumenten aus dem Norden.
Das Edinburgher Regionalparlament hatte die von Ärzten und Polizisten befürwortete Preisschwelle schon vor sechs Jahren gebilligt. Federführend in der Regierung war damals die Gesundheitsministerin und heutige Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon von der Nationalpartei SNP. Ihr Fazit könnte kaum klarer sein: „Zu viele Schotten saufen sich zu Tode. Das Problem geht uns alle an.“Dass der radikale Schritt erst jetzt gegangen wurde, lag an einem jahrelangen Rechtsstreit: Die Scotch Whisky Association (SWA), die Lobbygruppe schottischer Whiskyhersteller, hatte gegen den Mindestpreis beim Europäischen Gerichtshof und später dem britischen Supreme Court in London geklagt. Dort gaben die Richter vergangenen November grünes Licht. Bei dem Mindestpreis handle es sich um „ein angebrachtes Mittel, um ein legitimes Ziel zu erreichen“, entschied das Gericht.
Den Wunsch, der Saufepidemie Einhalt zu gebieten, unterstützen viele gesellschaftliche Gruppen. Immerhin beziffern Gesundheitsstatistiker und Sozialwissenschaftler die jährlichen Kosten für das Nationale Gesundheitssystem NHS, die Polizei und Strafverfolger auf 4,1 Milliarden Euro. An Wochenenden herrscht in den Notfallstationen britischer Krankenhäuser regelmäßig Notstand. 80 Prozent aller Täter und Opfer von Körperverletzungen gerieten alkoholisiert in Schlägereien, heißt es. „Als Ärzte sehen wir täglich den schweren Schaden, den der Alkoholmissbrauch verursacht“, berichtet Peter Bennie vom Fachverband British Medical Association (BMA).
Gesetz soll Leben retten
Die Einführung des Mindestpreises wird als größter Durchbruch seit dem Rauchverbot in öffentlichen Räumen gefeiert. „Dieses Gesetz wird Leben retten“, sagte die Chefin der Organisation Alcohol Focus Scotland, Alison Douglas. Sie rechnet damit, dass die Zahl der Alkoholtoten allein im ersten Jahr um 58 Todesfälle sinken wird. In 20 Jahren werde es dann schon mehr als 120 Todesfälle weniger geben.
Der Mindestpreis zielt besonders auf die Konsumenten von Billigfusel, die sich ihren Stoff im örtlichen Supermarkt besorgen. Einer Studie des Thinktanks IFS zufolge sind fünf Prozent der schottischen Haushalte für mehr als 30 Prozent aller Fuselkäufe verantwortlich.
Nach der neuen Regel gilt ein Mindestpreis von 50 Cent pro Alkoholeinheit. Dadurch steigt der Preis für eine Zwei-Liter-Flasche Cidre (Alkoholgehalt: 7,5 Prozent) um das Dreifache auf umgerechnet 8,52 Euro. Die günstigste Flasche Rotwein kostet statt bisher 3,75 Euro zukünftig 5,33 Euro. Auch der Preis von BilligWodka und -Whisky zieht kräftig an. Der weltweit berühmte Malt Whisky ist hingegen schon bisher so teuer, dass dessen Genießer von der neuen Regelung nichts spüren werden.
In London nahm die damalige Regierung von Premier David Cameron für England und Wales 2014 nach heftigen Protesten der Getränke-Lobby Abstand von einer solche Maßnahme. Man werde die Entwicklung im Norden „genau im Auge behalten“, heißt es jetzt im zuständigen Innenministerium. Sollte sich das Experiment in Schottland bewähren, dürften wie beim Rauchverbot auch diesmal die anderen Landesteile nachziehen. Dann hätte es mit Mike Littles Zusatzgeschäft ein Ende.