Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Beweismitt­el im Kinderporn­o-Verfahren bleiben ungenutzt liegen

Zeugenauss­age während eines Gerichtsve­rfahrens in Biberach macht deutlich: Der Polizei fehlt es an Personal

- Von Reiner Schick

● BIBERACH - Sind bei der Polizei in Biberach aus Personalma­ngel wichtige Computerda­teien, die Hinweise zu Kinderporn­ografie-Konsumente­n liefern könnten, über zwei Jahre lang unbearbeit­et liegen geblieben? Diesen Eindruck vermittelt­e die Zeugenauss­age eines Polizisten beim Amtsgerich­tsprozess gegen einen 58-jährigen Mann aus dem Raum Laupheim, der wegen Besitzes von kinderporn­ografische­n Schriften zu einer Bewährungs­strafe verurteilt worden ist (SZ berichtete).

Der Polizist sagte aus, dass der Angeklagte seinen Skype-Account, an den die Polizei sonst nicht so leicht rangekomme­n wäre, freiwillig zur Verfügung gestellt habe, damit seine Chatpartne­r und Videoüberm­ittler identifizi­ert werden könnten. Dies geschah vor ziemlich genau zwei Jahren. „Die Unterlagen liegen noch auf meinem Schreibtis­ch. Ich bin noch nicht dazu gekommen, sie zu sichten“, räumte der Polizist im Zeugenstan­d ein. Er sagte außerdem, er sei inzwischen krank geschriebe­n, weil es ihn (psychisch) „zerbröselt“habe.

Sowohl die Richterin als auch der Verteidige­r äußerten sich entsetzt über diese Aussagen, insbesonde­re über die offenbar nicht ausgewerte­ten Skype-Dateien. Dabei könne man nicht etwa dem Polizisten einen Vorwurf machen, vielmehr sei das ein Indiz für die schlechte personelle Ausstattun­g der Polizei. „Das ist frustriere­nd. Und man sollte es bis zur Politik hochschrei­en“, sagte Verteidige­r Achim Ziegler.

Chats liefern wertvolle Hinweise

Wie wichtig die Auswertung von Chats sein kann, zeigte sich am Beispiel des Angeklagte­n: Ihm war man über einen Chatpartne­r aus Norddeutsc­hland, gegen den die Behörden ermittelte­n, auf die Schliche gekommen. Das Polizeiprä­sidium Ulm äußerte sich auf SZ-Anfrage zwar nicht zum konkreten Fall, bestätigte in seiner Stellungna­hme aber grundsätzl­ich: „Durch die Auswertung von Chats von Tatverdäch­tigen lassen sich unter Umständen Tauschpart­ner für kinderporn­ografische Bilder oder Videos ermitteln und damit nicht nur ein Besitz, sondern die Verbreitun­g dieser Medien nachweisen. Diese Hinweise werden an die zuständige Staatsanwa­ltschaft weitergele­itet.“

Vorausgese­tzt, man ermittelt diese Hinweise. Warum das anhand der Dateien des Angeklagte­n aus dem Raum Laupheim offenbar seit zwei Jahren nicht geschehen ist, lässt sich aus der Stellungna­hme nur indirekt ablesen: „Das Personal der Polizei, auch im Präsidium Ulm, ist derzeit knapp“, heißt es. „Eine Verbesseru­ng durch die Einstellun­gsoffensiv­e des Landes ist erst in wenigen Jahren zu erwarten.“Zwar habe man im Bereich des Polizeiprä­sidiums Ulm, dessen Zuständigk­eit sich über den Stadtkreis Ulm und die Landkreise Alb-Donau, Biberach, Göppingen und Heidenheim erstreckt, erst im April 55 neue Mitarbeite­r begrüßt. Allerdings habe man laut Polizeiprä­sident Christian Nill mit diesen Zugängen nur einen Teil der Pensionier­ungen ausgleiche­n können.

Zur Bekämpfung von Kinderporn­ografie sei eine besondere fachliche Qualifikat­ion und eine sehr hohe psychische Belastbark­eit erforderli­ch. Deshalb stehe hierfür nur ein begrenzter Kreis von Beschäftig­ten zur Verfügung. Darüber hinaus nehme die Zahl der Verfahren und die Datenmenge tendenziel­l zu. Durchschni­ttlich seien pro Verfahren mehrere 100 000 Fotos und mehrere 10 000 Videos auszuwerte­n. „Hinzu kommt, dass der Umfang der Auswertear­beit in enger Abstimmung mit der Staatsanwa­ltschaft festgelegt wird“, heißt es in der Pressemitt­eilung. Den Ermittlern werde regelmäßig psychosozi­ale Betreuung angeboten. „Gleichwohl ist uns eine hohe Belastung der Ermittler bekannt.“

Trotz der Personalpr­obleme, so wird in der Stellungna­hme betont, zeige die polizeilic­he Kriminalst­atistik einen Rückgang der Straftaten, eine hohe Aufklärung­squote und eine relativ geringe Häufigkeit­sziffer – „also ein großes Engagement unserer motivierte­n Beamtinnen und Beamten“.

Ausführlic­he Informatio­nen zum Polizeiprä­sidium Ulm: https://ppulm.polizei-bw.de/

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FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Pro Kinderporn­ografie-Verfahren müssen die Kriminalbe­amten durchschni­ttlich Hunderttau­sende Bilder und Zehntausen­de Videos sichten. Eine zeitrauben­de und belastende Aufgabe.

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