Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
„Empörung allein reicht nicht“
Mirjam Zadoff über ihre Pläne für das NS-Dokumentationszentrum in München
MÜNCHEN - Die Wände in ihrem Büro sind noch kahl. Aber Mirjam Zadoff war bis zuletzt bei ihren Studenten in Bloomington. Und man sieht schon, die Direktorin des NSDokumentationszentrums und Nachfolgerin von Winfried Nerdinger nimmt ihre Aufgaben ernst, das Konzept des Erinnerungs- und Lernorts zur Geschichte des Nationalsozialismus weiter zu entwickeln,
Frau Zadoff, rechte Positionen werden wieder offen vertreten. Sind die Aufgaben des NS-Dokumentationszentrums schwieriger geworden?
Die Herausforderungen sind größer geworden, aber wahrscheinlich haben wir uns auch in einer falschen Sicherheit geglaubt. Erinnerungskultur hat viel mit der politischen Situation zu tun. Der Prozess seit 1945 war lange und schwierig, und diese breite öffentliche Erinnerung ist ja ein Phänomen der 1990er-Jahre. Insofern ist es umso frustrierender, dass rechtes Gedankengut jetzt schon wieder auf dem Tisch ist.
Bis vor Kurzem haben Sie Ihren Studenten vor allem die Vielfalt der jüdischen Kultur vermittelt. Und nun rücken Verfolgung und Holocaust wieder ins Zentrum Ihrer Arbeit.
Ja und nein. Durch die intensive Beschäftigung mit der jüdischen Geschichte bin ich für Themen sensibel geworden, die uns heute sehr beschäftigen, also Flucht, Migration, Neubeginn, Integration, Minderheiten, Rassismus. Diese Themen ziehen sich durch die gesamte jüdische Geschichte. Und nicht nur mit schlechtem Ausgang, es gibt ja auch genug erfolgreiche Beispiele. Deshalb ist es wichtig, dass wir gerade in der aktuellen Diskussion nicht zu pessimistisch werden. Und hier am NS-Dokuzentrum können wir mit der Situation durchaus kreativ umgehen.
Wie sieht diese Kreativität aus?
Das können ruhig auch neue Wege der Vermittlung sein. Etwa über Comics und Graphic Novels. Natürlich eignet sich das Thema nicht für einen lustigen Abend, aber bei der Beschäftigung sollte es auch eine gewisse Lockerheit geben. Humor kann einiges in Gang setzen. Denken Sie an den Film „Zug des Lebens“, in dem sich die Bewohner eines osteuropäischen Schtetls selbst einen Deportationszug bauen und auf diese Weise fliehen können. Sofort fragt man sich, ob dieser humorvolle, schelmische Umgang mit diesem ernsten Thema in Ordnung ist. Darf man das? Solche Gespräche bringen uns weiter.
Insofern haben uns die beiden Echo-Rapper eine hilfreiche Debatte beschert. Wobei die wieder typisch deutsch abläuft: Alle sind empört, geben zum Teil ihre Echos zurück, und das war’s dann.
Aber genau hier muss man einhaken. Die Jugendlichen sind mit diesem Thema ja allein gelassen. Deshalb wollen wir zu dem Thema Veran- staltungen ansetzen und nach Antisemitismus oder Rassismus im Pop, Rap und so weiter fragen: Wie geht man damit um?
Die Jugendlichen sehen eigentlich nur, dass das Konsequenzen haben kann.
Und genau darüber müssen wir sprechen. Warum nehmen Kollegah und Farid Bang das Tabu Auschwitz in ihren Song auf? Und was passiert sonst noch in der Musik? Nach den USA sorgt jetzt auch in Deutschland ein sehr spannendes Video von Childish Gambino für Gesprächsstoff: In „This is America“kritisiert der Musiker die Waffengewalt in den USA – speziell gegen Afroamerikaner –, die ja auch von der Polizei kommt. Dabei schlüpft er selbst in die Täter-Rolle und bringt im Video zig Leute um. Einfach mal so. Das zeigt, dass über Musik auch ganz konstruktiv Kritik geübt werden kann.
Die jüngeren Generationen wachsen multimedial auf. Inwiefern spielt das bei Ihren Planungen eine Rolle?
Man kommt um die neuen Medien nicht herum, und wir werden diese Entwicklung auch nicht ignorieren.
Auch das Angebot für Migranten und Flüchtlinge soll verstärkt werden. Nun haben diese Menschen in vielen Fällen den Terror endlich hinter sich gelassen. Wie soll da Interesse für die Grausamkeiten des Nationalsozialismus aufkommen?
Durch Themen wie Diktatur oder Verfolgung kann man ganz unmittelbar an die Erfahrungen vieler Migranten anknüpfen und sie in die Bildungsarbeit und Integration einbeziehen. Deutschland ist ein Migrationsland und München eine Stadt mit einer sehr hohen Migrationsrate. Wenn das Zusammenleben funktionieren soll, müssen wir auch vermitteln, was Demokratie bedeutet. Von der freien Meinungsäußerung bis zur Freiheit der Kunst.
Die USA galten lange als Einwanderungsland, in dem man sich irgendwie zusammengerauft hat. Alles Fake, um mit Donald Trump zu sprechen?
Das Thema ist äußerst komplex, zu den Hauptgründen gehört sicher, dass seit den 1980er-Jahren die soziale Schere unglaublich auseinandergegangen ist. Und dass inzwischen deutlich weniger in die Schulbildung investiert wird. In den USA ist der Bevölkerungsanteil, der keine Zeitung liest und sich ausschließlich über bestimmte Internet-Foren informiert, viel höher als in Deutschland. Und es gibt einfach sehr viele Menschen, die wenig Chancen haben und permanent von der Verarmung bedroht sind. Entsprechend hoch ist die Anfälligkeit für populistische Sprüche, die von den großen internen Problemen ablenken sollen. Nehmen Sie die Drogenkrise, die mit 50 000 Toten im Jahr nun wirklich keine Kleinigkeit ist. Auf der anderen Seite kommt jetzt auch ein neues Bewusstsein auf. Von afroamerikanischer Seite wird mehr Gerechtigkeit eingefordert, und auch die Studenten werden gerade wieder politischer.