Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
EU-Kritiker machen Geschenke auf EU-Kosten
Rechtspopulistische ENF-Fraktion gibt unrechtmäßig 427 000 Euro aus
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BRÜSSEL - Auf die europaskeptische Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“(ENF) im EU-Parlament kommt eine teure Rechnung zu: Champagner in Strömen, Abendessen für 400 Euro pro Nase, Weihnachtsgeschenke für 110 Mitarbeiter im Wert von je 100 Euro, dazu Auftragsvergaben ohne Ausschreibung und Erstattungen ohne Belege. Auf insgesamt 427 000 Euro beläuft sich die Summe, die die ENF-Mitglieder im Jahr 2016 nach Überzeugung des Haushaltskontrollausschusses zu Unrecht von der Parlamentsverwaltung erstattet bekamen. Am Montag werden die Fraktionsvorsitzenden des Europaparlaments voraussichtlich beschließen, sich das Geld im Haushaltsjahr 2019 zurückzuholen.
Auch Front National beteiligt
Die parlamentsinternen Haushaltsregeln sehen nämlich ausdrücklich vor, dass die zu Unrecht erstattete Summe innerhalb von drei Monaten zurückgezahlt werden muss. Auch kann sie vom Budget, das der Gruppe im Folgejahr zustehen würde, abgezogen werden. In einer nichtöffentlichen Stellungnahme vom 23. März dieses Jahres, die der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt, kommt der Haushaltskontrollausschuss zu demselben Schluss wie zuvor der Europäische Rechnungshof im Januar: Aufwendungen von knapp einer halben Million Euro, die sich die ENF-Fraktion von der Parlamentsverwaltung holte, hätten nicht erstattet werden dürfen.
Bereits im März sorgte der Fall in der französischen Presse für Aufregung und Häme. Ausgerechnet Marine Le Pen, Parteichefin des rechtsradikalen Front National (FN), hat auf Kosten des Europaparlaments Mitarbeiter und Anhänger großzügigst bewirtet. Nur lässt Le Pen keine Gelegenheit aus, die EU als gierig und verschwenderisch darzustellen und das Europaparlament als überflüssigen Debattenclub. Bekannt wurde ferner, dass der FN Mitarbeiter in den lokalen Wahlkreisbüros als Brüsseler Personal abgerechnet hatte – dies ist ebenfalls nicht zulässig.
Die Untersuchung darüber dauert an. Laut französischen Medienberichten hat sich der FN in den Jahren 2012 bis 2016 die Kosten für fiktive EU-Mitarbeiter mit knapp fünf Millionen Euro erstatten lassen. Sollte die Untersuchung bis 2009 zurückdatiert werden, kämen sieben Millionen Euro zusammen, die die Partei in die betreffende Kasse des EU-Parlaments zurückzahlen müsste.
Aus dem Jahr 2016 kann die Partei für Ausgaben in Höhe von 38 889,91 Euro keine Belege vorlegen. Bei Aufwendungen in Höhe von 388 278,60 Euro wurde entweder der Auftrag nicht vorschriftsmäßig ausgeschrieben oder sie sind nach Auffassung des Ausschusses nicht gerechtfertigt. „Mahlzeiten zum Preis von 400 Euro pro Person sind weder maßvoll noch stehen sie mit solider Haushaltsführung in Einklang“, schreibt der Ausschuss in seiner Stellungnahme. „Dasselbe gilt für 110 Weihnachtsgeschenke zum Wert von je 100 Euro.“Er möchte außerdem wissen, wer die 228 abgerechneten Flaschen Champagner getrunken und wer weitere sechs Flaschen im Wert von je 81 Euro erhalten hat.
Ausschuss empfiehlt Kontrolle
Die internen Kontrollmechanismen der Gruppe müssten dringend verbessert und festgelegt werden, welche Aufwendungen für Gäste und Unterstützer angemessen seien, empfehlen die Haushaltsprüfer. Die Partei solle eine Liste darüber führen, wer Geschenke im Wert von mehr als 60 Euro erhalten habe. Die Erstattung von Werbegeschenken aus dem Parlamentsetat müsse unterbleiben – „mit Ausnahme von kleinen Gaben, die den Wert von einem Euro nicht überschreiten“. Auch die anderen Fraktionen täten gut daran, ihre internen Regeln entsprechend zu überarbeiten, empfiehlt der Haushaltskontrollausschuss.