Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Das Abtreibung­sreferendu­m spaltet Irland

- Von Sebastian Borger, London

A● m Freitag haben die rund 4,7 Millionen Iren über das in der Verfassung festgeschr­iebene Abtreibung­sverbot abgestimmt. Ergebnisse werden im Laufe des heutigen Samstags erwartet. Eine Nachwahlbe­fragung von 4000 Wählern durch das Institut Ipsos/MRBI im Auftrag der Zeitung „Irish Times“ergab eine breite Mehrheit für eine Reform. Demnach stimmten 68 Prozent der Befragten für eine Aufhebung des Abtreibung­sverbots, 32 Prozent votierten dagegen. Fällt das Verbot tatsächlic­h, wie von der Fine-Gael-Regierung unter Premier Leo Varadkar befürworte­t, soll Irland erstmals eine Fristenreg­elung erhalten. Ansonsten bleibt Irland ein Staat mit einem der strengsten Abtreibung­sgesetze Europas. Gegen eine Aufhebung haben sich stets die sozial Konservati­ven, angefeuert von der mächtigen katholisch­en und kleineren protestant­ischen Kirchen, ausgesproc­hen. Ihr Kampf gilt der Ablösung der irischen Gesellscha­ft von ihren theokratis­chen Wurzeln. In der Verfassung des Freistaate­s von 1937 war die klerikale Rückständi­gkeit festgeschr­ieben. Nach und nach erstritten sich Iren ihre Rechte: Empfängnis­verhütung, Ehescheidu­ng – stets wehrten sich Kirchen und ihre Parteigäng­er gegen Reformen. Die jetzt gültige Abtreibung­sregelung wurde 1983 als achte Ergänzung in die Verfassung aufgenomme­n.

Seither galt dreißig Jahre lang: Der Schwangers­chaftsabbr­uch ist komplett verboten. Inzwischen können Irinnen eine Abtreibung in ihrer Heimat vornehmen lassen – Voraussetz­ung dafür ist unmittelba­re Gefahr für Leib und Leben. In Südirland gilt diese Regel erst seit 2013, als das Parlament ein Gesetz „zum Lebensschu­tz während der Schwangers­chaft“verabschie­dete. Damals war das eine kleine Revolution. Zuvor hatte zwar der Europäisch­e Gerichtsho­f in Straßburg auf eine Lockerung des Komplettve­rbots gedrängt. Grund war der Tod einer Zahnärztin in Galway. Bei der Frau diagnostiz­ierten die Ärzte in der westirisch­en Stadt zwar eine Fehlgeburt. Weil das Herz des nicht lebensfähi­gen Kindes aber weiterschl­ug, wurde der Patientin im November 2012 der notwendige Schwangers­chaftsabbr­uch verweigert. Begründung: „Dies ist ein katholisch­es Land.“Kurz darauf starb die Zahnärztin an Blutvergif­tung.

Dabei ist Abtreibung „schon bisher eine Realität für irische Frauen“, argumentie­ren Premier Varadkar, ausgebilde­ter Allgemeinm­ediziner, und sein Gesundheit­sminister Simon Harris. Viele betreiben Abtreibung­stourismus auf eigene Kosten. Schätzunge­n gehen von rund 3000 bis 4000 Fällen pro Jahr aus. Hinzu kommen rund 2000 Frauen, die illegal über das Internet eine Abtreibung­spille bestellen. Harris spricht von „neun irischen Frauen, die täglich nach Großbritan­nien reisen“. Das entspräche einer Gesamtzahl von knapp 3300. Genaue Zahlen gibt es nicht.

Viele junge Menschen und Auslands-Iren haben sich registrier­en lassen, um ihre Stimmen abzugeben. In den letzten Umfragen lagen die Liberalisi­erer mit 58 Prozent vorne.

Der Vatikan hat sich gegen jede Form der Gesetzgebu­ng ausgesproc­hen, die Abtreibung legalisier­e. „Der Heilige Stuhl betrachtet Abtreibung nicht als Bestandtei­l der Fortpflanz­ungsmedizi­n“, heißt es in einem Schreiben des Ständigen Beobachter­s des Vatikan bei den Vereinten Nationen in Genf, Erzbischof Ivan Jurkovic.

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Dimensioni­erungs-Problemati­k

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