Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Der Problemlöser aus Oberschwaben
Benjamin Bendel aus Weingarten leitet den Eventbereich beim FC St. Pauli, dem Kultclub der 2. Fußball-Bundesliga
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HAMBURG - „Kein Fußball den Faschisten“steht in riesigen Lettern auf der Gegengerade. Dicht an dicht drängen sich dort 11 000 Menschen auf den Stehplätzen. Die Sonne knallt ihnen ins Gesicht. T-ShirtWetter. Das Bier fließt in Strömen. Lautstark skandieren die Fans: „Sankt Pauli, Sankt Pauli“. Überall Totenköpfe. Dann ertönt ein Glockenschlag. Weitere folgen. Die Gitarre setzt ein. Hells Bells von AC/ DC. Die ultimative Hymne. Die musikalische Verkörperung des FC St. Pauli. Wild, chaotisch, kultig. Die Mannschaften laufen ein. Das Stadion am Millerntor droht abzuheben. 15.30 Uhr. Gänsehautstimmung.
Auf der anderen Seite im Businessbereich und in den VIP-Logen, die hier Separees heißen, haben es sich rund 3100 Gäste gemütlich gemacht. Die Sonnenbrille im Gesicht, in der Hand ein kaltes Bier oder einen kühlen Weißwein. Es ist angerichtet am Millerntor. Nur der Mann, der für die 3100 Zahlungskräftigen zuständig ist, bekommt von alldem recht wenig mit. Benjamin Bendel sorgt gerade dafür, dass auf den Fernsehern im Businessbereich auch das Spiel gezeigt wird. Als einer von zwei Prokuristen verantwortet er den Eventbereich des Stadions, hat den Kultclub in den vergangenen zwölf Jahren diesbezüglich auf ein ganz anderes Niveau gehoben und das Millerntor-Stadion in Hamburg zu einem der attraktivsten Veranstaltungsorte in ganz Norddeutschland gemacht. Dabei ist Bendel gar kein Hamburger Jung. Seine Wurzeln liegen im Süden, in Oberschwaben, in Weingarten.
Ein Semester Maschinenbau
Dort ist der 36-Jährige geboren, am Ravensburger Bildungszentrum St. Konrad zur Schule gegangen. Nach der mittleren Reife und einem kaufmännischen Fachhochschulabschluss studiert Bendel ein Semester Maschinenbau an der Hochschule Ravensburg-Weingarten. „Da habe ich gemerkt. Das ist nicht so meins“, erzählt er. Also macht er seinen Diplom-Betriebswirt in Künzelsau an der Reinhold-Würth-Hochschule. Dazu gehören zwei Pflichtpraktika, eines führt Bendel für ein halbes Jahr zum FC St. Pauli. „Da hat sich die Liebe zum Verein, zum Stadtteil entwickelt.“Seine Diplomarbeit behandelt die „Einführung eines Kontrollsystems beim FC St. Pauli“. Noch vor Abgabe der Arbeit wird ihm die Stelle angeboten. Der Plan, für ein Jahr nach Australien zu gehen? Passé.
Bendel war schon immer früh dran. Und ist es noch heute. Der 36Jährige hasst Unpünktlichkeit, daher geht seine Uhr auch immer fünf Minuten vor. Der Zeit immer ein Stück voraus, wie beim letzten Heimspiel der Saison. Bereits um 10 Uhr ist Bendel auf dem Gelände: Schauen, dass die Mitarbeiter auch alles richtig machen. Die eigene Planung und Vorbereitung ist längst abgeschlossen.
Beim Gang durch die beiden großen Businessbereiche muss er ab und an eingreifen, weist das Buffetpersonal darauf hin, dass das brutzelnde Spanferkel im Grill zu nah an der „vegetarisch-veganen“Buffetstation steht. „Das müsst ihr woanders hinstellen“, ordnet Bendel an. Widerrede zwecklos. Das zeigt auch das Gespräch mit dem Tontechniker, der eigentlich keine Zeit hat und weiter will. Doch an Bendel führt kein Weg vorbei. Er hat hier das Sagen, gibt die Richtung vor – und kann dabei auch mal deutlich werden. „Ich bin sicher nicht der Beliebteste beim FC St. Pauli“, sagt er. „In manchen Dingen kann ich sehr streng sein, aber das muss ich auch, sonst tanzen sie mir auf der Nase herum.“An Heimspieltagen ist er für 250 Mitarbeiter und Aushilfen verantwortlich.
Die braucht es. Eineinhalb Stunden vor Spielbeginn strömen die VIP-Gäste in den Businessbereich mit dem braunen Boden, in den rot-weiße Linien eingelassen sind. Die Farben des Clubs finden sich auch in Tischen, Stühlen und anderen Elementen wieder. Aus den Lautsprechern der Anlage, die an der schwarzen, offenen Industriedecke installiert sind, ertönen Songs von Johnny Cash. Spalier stehende Servicekräfte empfangen die Gäste mit Bier und Softdrinks. Auch hier macht Bendel keine Kompromisse. Sobald der verschwunden ist, muss das Bier ausgetauscht werden.
Wie wichtig ein guter Service ist, hat Bendel schon in jungen Jahren gelernt. Bereits als Zehnjähriger packte er im Wirtshaus seines Vaters, dem Rössle in Weingarten, mit an, lernte früh, wie man schnell ein gutes Bier zapft und was es braucht, damit Veranstaltungen reibungslos ablaufen. „Da habe ich angefangen, größer zu denken. Das hat mir schon sehr geholfen, um ein Verständnis für die Gastronomie und Großveranstaltungen zu bekommen“, sagt er.
Und so steckt heute auch ein wenig Rössle im FC St. Pauli. Bendel konnte den Businessbereich beim Stadionneubau zwischen 2008 und 2010 aktiv mitgestalten. Alle Wünsche wurden ihm aus wirtschaftlichen Gründen zwar nicht erfüllt, doch einige Ideen konnte der Weingartener umsetzen. Zum Beispiel kleine rollende Speisewägen, welche die Separees mit Spargel, Tafelspitz und Salzkartoffeln versorgen, damit weniger Speisereste weggeworfen werden müssen. Oder die Essensstationen im Businessbereich, die nach Foodtruck-Vorbild aufgebaut sind. Currywurst, Fischbrötchen, Pizza, Pasta oder knuspriges Spanferkel direkt vom Grill: kulinarisch darf es den Gästen an nichts mangeln.
Während des Spiels geht es vor allem darum, den Flüssigkeitspegel zu halten. Ein großer Spirituosenhersteller hat ein Separee komplett im Piratenlook gestaltet, wo die Gäste das Spiel mit dreieckigen, roten Piratenhüten verfolgen. In einem anderen Separee, das komplett im Hüttenstil gestaltet ist, fährt eine Miniatureisenbahn von der Bar Schnapsgläser zu den Gästen.
„Es geht darum, die Veranstaltung emotional aufzuladen und den Gästen ein bleibendes Erlebnis zu bescheren“, sagt Bendel. „Nur weil wir in der 2. Liga spielen, machen wir noch lange keine zweitklassigen Veranstaltungen. Wir sind da sehr selbstbewusst.“Das zeigt sich auch an den Preisen. Zwischen 170 und 200 Euro kostet eine Karte für ein Spiel im Businessbereich. Für ein Separee für eine ganze Saison ist ein hoher fünfstelliger Betrag fällig.
Während überall die Post abgeht, bleibt der Druck bei Bendel konstant hoch. Den ganzen Tag über trinkt er nur Limo und literweise Kaffee. Vom Spiel bekommt er kaum etwas mit. „Ich kann nicht wirklich mitfiebern, weil während des Spiels immer etwas ist“, sagt der leidenschaftliche Fußballfan, der früher beim TSV Berg und SV Weingarten als Innenverteidiger, damals noch Manndecker, gespielt hat. „Ich mache meinen Job wie ein guter Schiedsrichter, der am besten ist, wenn er nicht in Erscheinung tritt.“
Ganz klappt das nicht. Zu viele Menschen kennen ihn, wollen ihn kennen. Ein Händedruck und ein kurzer Plausch gehören zu seinem Job. So auch in der Halbzeitpause, in der Bendel in einem ganz besonderen Separee vorbeischaut. Die Farbe Rot dominiert, die Sessel sind mit Samt bezogen, an den Wänden hängen große Spiegel. Hier richten sich die Blicke nicht aufs Spielfeld, sondern auf eine leicht bekleidete Dame, die sich an einer Metallstange räkelt. Mit dem Rücken zu der Dame sitzt Heinz Ritsch vor seinem Laptop. Gemeinsam mit seiner Frau Susi betreibt er eine Tabledance-Bar auf der benachbarten Reeperbahn. Da sie das Separee seit Jahren mieten, kennt Ritsch auch Bendel ganz gut. Ruhig, zielstrebig und kompetent – ein Charakterkopf sei der Prokurist. „Er passt intellektuell fast nicht zum FC St. Pauli“, sagt Ritsch lachend. Schließlich gehe es hier „manchmal sehr kindisch und chaotisch“zu.
Die Dame zeigt derweil reichlich nackte Haut, doch dürfen die Hüllen seit geraumer Zeit nicht mehr ganz fallen. Das hat die Mitgliederversammlung entschieden. Sexismus, Homophobie und Diskriminierung werden beim Kiezklub nicht geduldet, erklärt Bendel. Daher hätten viele Fans auch ein Problem mit diesem speziellen Separee. Für viele habe der Club mittlerweile mehr Gemeinsamkeiten mit dem angrenzenden Schanzenviertel. „Alternativ und weltoffen“, meint Bendel. „Der FC St. Pauli ist ein Lebensgefühl, ein politisches Statement als auch Sinnbild für Profifußball, ohne seine Werte zu verlieren und sich nicht bis ins Letzte zu kommerzialisieren.“
Genau dieses Lebensgefühl spürt dann auch Bendel zwischen 17.05 Uhr und 17.20 Uhr. Die letzten Minuten des Spieles kann er sich anschauen. Gegen die Arminia aus Bielefeld geht’s um den Klassenerhalt. Die Nervosität ist Bendel anzumerken, die Minuten vergehen nur langsam, doch am Ende ist es wieder mal geschafft: der FC St. Pauli bleibt zweitklassig.
Bendel zieht sich kurz in sein Büro zurück. Auf dem Weg begegnet er dem ehemaligen Profi und gebürtigen Ellwangener Florian Lechner, der zur Aufstiegsmannschaft von 2010 gehörte und mit Bendel schon seit vielen Jahren befreundet ist. „Benny ist die Mutti für alles und versucht, alles möglich zu machen. Er gehört zum Inventar und ist immer der Letzte, der geht“, sagt Lechner und umarmt den Weingartener herzlich. Ihm sehen sie sogar nach, dass in seinem Büro einige Trikots des FC Bayern hängen, teilweise handsigniert. „Irgendein Laster muss ich ja auch haben, bevor ich heiliggesprochen werde“, sagt der bekennende Bayern-Fan Bendel lachend.
Schwäbische Tugenden
„Er hat die guten, schwäbischen Eigenschaften. Er ist der beste und aufrichtigste Typ, den ich kenne. Auf ihn kann man sich 100-prozentig verlassen“, sagt seine Kollegin Dagmar Gebhart. „Allerdings stellt er sein Licht viel zu sehr unter den Scheffel. Manchmal würde ich mir wünschen, dass er ein wenig mehr lebt.“
Doch zuallererst lebt Bendel seinen Job. Noch Stunden nach Spielschluss wird in manch einem Separee wild gefeiert. Hier bekommt die kleine Eisenbahn längst Kilometergeld, dort wird fleißig an der Stange getanzt. In einem anderen Separee spielt eine Rockband und hebt mit dem Bass beinahe die Türen aus den Angeln. Von Bendel keine Spur. Er sitzt am Ende eines unscheinbaren, verschachtelten Ganges in seinem Büro – und arbeitet an der Getränkebestellung für die nächste Veranstaltung.
„In manchen Dingen kann ich sehr streng sein, aber das muss ich auch, sonst tanzen sie mir auf der Nase herum.“Benjamin Bendel
„Es geht darum, die Veranstaltung emotional aufzuladen und den Gästen ein bleibendes Erlebnis zu bescheren.“Benjamin Bendel