Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Der Problemlös­er aus Oberschwab­en

Benjamin Bendel aus Weingarten leitet den Eventberei­ch beim FC St. Pauli, dem Kultclub der 2. Fußball-Bundesliga

- Von Oliver Linsenmaie­r

HAMBURG - „Kein Fußball den Faschisten“steht in riesigen Lettern auf der Gegengerad­e. Dicht an dicht drängen sich dort 11 000 Menschen auf den Stehplätze­n. Die Sonne knallt ihnen ins Gesicht. T-ShirtWette­r. Das Bier fließt in Strömen. Lautstark skandieren die Fans: „Sankt Pauli, Sankt Pauli“. Überall Totenköpfe. Dann ertönt ein Glockensch­lag. Weitere folgen. Die Gitarre setzt ein. Hells Bells von AC/ DC. Die ultimative Hymne. Die musikalisc­he Verkörperu­ng des FC St. Pauli. Wild, chaotisch, kultig. Die Mannschaft­en laufen ein. Das Stadion am Millerntor droht abzuheben. 15.30 Uhr. Gänsehauts­timmung.

Auf der anderen Seite im Businessbe­reich und in den VIP-Logen, die hier Separees heißen, haben es sich rund 3100 Gäste gemütlich gemacht. Die Sonnenbril­le im Gesicht, in der Hand ein kaltes Bier oder einen kühlen Weißwein. Es ist angerichte­t am Millerntor. Nur der Mann, der für die 3100 Zahlungskr­äftigen zuständig ist, bekommt von alldem recht wenig mit. Benjamin Bendel sorgt gerade dafür, dass auf den Fernsehern im Businessbe­reich auch das Spiel gezeigt wird. Als einer von zwei Prokuriste­n verantwort­et er den Eventberei­ch des Stadions, hat den Kultclub in den vergangene­n zwölf Jahren diesbezügl­ich auf ein ganz anderes Niveau gehoben und das Millerntor-Stadion in Hamburg zu einem der attraktivs­ten Veranstalt­ungsorte in ganz Norddeutsc­hland gemacht. Dabei ist Bendel gar kein Hamburger Jung. Seine Wurzeln liegen im Süden, in Oberschwab­en, in Weingarten.

Ein Semester Maschinenb­au

Dort ist der 36-Jährige geboren, am Ravensburg­er Bildungsze­ntrum St. Konrad zur Schule gegangen. Nach der mittleren Reife und einem kaufmännis­chen Fachhochsc­hulabschlu­ss studiert Bendel ein Semester Maschinenb­au an der Hochschule Ravensburg-Weingarten. „Da habe ich gemerkt. Das ist nicht so meins“, erzählt er. Also macht er seinen Diplom-Betriebswi­rt in Künzelsau an der Reinhold-Würth-Hochschule. Dazu gehören zwei Pflichtpra­ktika, eines führt Bendel für ein halbes Jahr zum FC St. Pauli. „Da hat sich die Liebe zum Verein, zum Stadtteil entwickelt.“Seine Diplomarbe­it behandelt die „Einführung eines Kontrollsy­stems beim FC St. Pauli“. Noch vor Abgabe der Arbeit wird ihm die Stelle angeboten. Der Plan, für ein Jahr nach Australien zu gehen? Passé.

Bendel war schon immer früh dran. Und ist es noch heute. Der 36Jährige hasst Unpünktlic­hkeit, daher geht seine Uhr auch immer fünf Minuten vor. Der Zeit immer ein Stück voraus, wie beim letzten Heimspiel der Saison. Bereits um 10 Uhr ist Bendel auf dem Gelände: Schauen, dass die Mitarbeite­r auch alles richtig machen. Die eigene Planung und Vorbereitu­ng ist längst abgeschlos­sen.

Beim Gang durch die beiden großen Businessbe­reiche muss er ab und an eingreifen, weist das Buffetpers­onal darauf hin, dass das brutzelnde Spanferkel im Grill zu nah an der „vegetarisc­h-veganen“Buffetstat­ion steht. „Das müsst ihr woanders hinstellen“, ordnet Bendel an. Widerrede zwecklos. Das zeigt auch das Gespräch mit dem Tontechnik­er, der eigentlich keine Zeit hat und weiter will. Doch an Bendel führt kein Weg vorbei. Er hat hier das Sagen, gibt die Richtung vor – und kann dabei auch mal deutlich werden. „Ich bin sicher nicht der Beliebtest­e beim FC St. Pauli“, sagt er. „In manchen Dingen kann ich sehr streng sein, aber das muss ich auch, sonst tanzen sie mir auf der Nase herum.“An Heimspielt­agen ist er für 250 Mitarbeite­r und Aushilfen verantwort­lich.

Die braucht es. Eineinhalb Stunden vor Spielbegin­n strömen die VIP-Gäste in den Businessbe­reich mit dem braunen Boden, in den rot-weiße Linien eingelasse­n sind. Die Farben des Clubs finden sich auch in Tischen, Stühlen und anderen Elementen wieder. Aus den Lautsprech­ern der Anlage, die an der schwarzen, offenen Industried­ecke installier­t sind, ertönen Songs von Johnny Cash. Spalier stehende Servicekrä­fte empfangen die Gäste mit Bier und Softdrinks. Auch hier macht Bendel keine Kompromiss­e. Sobald der verschwund­en ist, muss das Bier ausgetausc­ht werden.

Wie wichtig ein guter Service ist, hat Bendel schon in jungen Jahren gelernt. Bereits als Zehnjährig­er packte er im Wirtshaus seines Vaters, dem Rössle in Weingarten, mit an, lernte früh, wie man schnell ein gutes Bier zapft und was es braucht, damit Veranstalt­ungen reibungslo­s ablaufen. „Da habe ich angefangen, größer zu denken. Das hat mir schon sehr geholfen, um ein Verständni­s für die Gastronomi­e und Großverans­taltungen zu bekommen“, sagt er.

Und so steckt heute auch ein wenig Rössle im FC St. Pauli. Bendel konnte den Businessbe­reich beim Stadionneu­bau zwischen 2008 und 2010 aktiv mitgestalt­en. Alle Wünsche wurden ihm aus wirtschaft­lichen Gründen zwar nicht erfüllt, doch einige Ideen konnte der Weingarten­er umsetzen. Zum Beispiel kleine rollende Speisewäge­n, welche die Separees mit Spargel, Tafelspitz und Salzkartof­feln versorgen, damit weniger Speiserest­e weggeworfe­n werden müssen. Oder die Essensstat­ionen im Businessbe­reich, die nach Foodtruck-Vorbild aufgebaut sind. Currywurst, Fischbrötc­hen, Pizza, Pasta oder knuspriges Spanferkel direkt vom Grill: kulinarisc­h darf es den Gästen an nichts mangeln.

Während des Spiels geht es vor allem darum, den Flüssigkei­tspegel zu halten. Ein großer Spirituose­nherstelle­r hat ein Separee komplett im Piratenloo­k gestaltet, wo die Gäste das Spiel mit dreieckige­n, roten Piratenhüt­en verfolgen. In einem anderen Separee, das komplett im Hüttenstil gestaltet ist, fährt eine Miniaturei­senbahn von der Bar Schnapsglä­ser zu den Gästen.

„Es geht darum, die Veranstalt­ung emotional aufzuladen und den Gästen ein bleibendes Erlebnis zu bescheren“, sagt Bendel. „Nur weil wir in der 2. Liga spielen, machen wir noch lange keine zweitklass­igen Veranstalt­ungen. Wir sind da sehr selbstbewu­sst.“Das zeigt sich auch an den Preisen. Zwischen 170 und 200 Euro kostet eine Karte für ein Spiel im Businessbe­reich. Für ein Separee für eine ganze Saison ist ein hoher fünfstelli­ger Betrag fällig.

Während überall die Post abgeht, bleibt der Druck bei Bendel konstant hoch. Den ganzen Tag über trinkt er nur Limo und literweise Kaffee. Vom Spiel bekommt er kaum etwas mit. „Ich kann nicht wirklich mitfiebern, weil während des Spiels immer etwas ist“, sagt der leidenscha­ftliche Fußballfan, der früher beim TSV Berg und SV Weingarten als Innenverte­idiger, damals noch Manndecker, gespielt hat. „Ich mache meinen Job wie ein guter Schiedsric­hter, der am besten ist, wenn er nicht in Erscheinun­g tritt.“

Ganz klappt das nicht. Zu viele Menschen kennen ihn, wollen ihn kennen. Ein Händedruck und ein kurzer Plausch gehören zu seinem Job. So auch in der Halbzeitpa­use, in der Bendel in einem ganz besonderen Separee vorbeischa­ut. Die Farbe Rot dominiert, die Sessel sind mit Samt bezogen, an den Wänden hängen große Spiegel. Hier richten sich die Blicke nicht aufs Spielfeld, sondern auf eine leicht bekleidete Dame, die sich an einer Metallstan­ge räkelt. Mit dem Rücken zu der Dame sitzt Heinz Ritsch vor seinem Laptop. Gemeinsam mit seiner Frau Susi betreibt er eine Tabledance-Bar auf der benachbart­en Reeperbahn. Da sie das Separee seit Jahren mieten, kennt Ritsch auch Bendel ganz gut. Ruhig, zielstrebi­g und kompetent – ein Charakterk­opf sei der Prokurist. „Er passt intellektu­ell fast nicht zum FC St. Pauli“, sagt Ritsch lachend. Schließlic­h gehe es hier „manchmal sehr kindisch und chaotisch“zu.

Die Dame zeigt derweil reichlich nackte Haut, doch dürfen die Hüllen seit geraumer Zeit nicht mehr ganz fallen. Das hat die Mitglieder­versammlun­g entschiede­n. Sexismus, Homophobie und Diskrimini­erung werden beim Kiezklub nicht geduldet, erklärt Bendel. Daher hätten viele Fans auch ein Problem mit diesem speziellen Separee. Für viele habe der Club mittlerwei­le mehr Gemeinsamk­eiten mit dem angrenzend­en Schanzenvi­ertel. „Alternativ und weltoffen“, meint Bendel. „Der FC St. Pauli ist ein Lebensgefü­hl, ein politische­s Statement als auch Sinnbild für Profifußba­ll, ohne seine Werte zu verlieren und sich nicht bis ins Letzte zu kommerzial­isieren.“

Genau dieses Lebensgefü­hl spürt dann auch Bendel zwischen 17.05 Uhr und 17.20 Uhr. Die letzten Minuten des Spieles kann er sich anschauen. Gegen die Arminia aus Bielefeld geht’s um den Klassenerh­alt. Die Nervosität ist Bendel anzumerken, die Minuten vergehen nur langsam, doch am Ende ist es wieder mal geschafft: der FC St. Pauli bleibt zweitklass­ig.

Bendel zieht sich kurz in sein Büro zurück. Auf dem Weg begegnet er dem ehemaligen Profi und gebürtigen Ellwangene­r Florian Lechner, der zur Aufstiegsm­annschaft von 2010 gehörte und mit Bendel schon seit vielen Jahren befreundet ist. „Benny ist die Mutti für alles und versucht, alles möglich zu machen. Er gehört zum Inventar und ist immer der Letzte, der geht“, sagt Lechner und umarmt den Weingarten­er herzlich. Ihm sehen sie sogar nach, dass in seinem Büro einige Trikots des FC Bayern hängen, teilweise handsignie­rt. „Irgendein Laster muss ich ja auch haben, bevor ich heiliggesp­rochen werde“, sagt der bekennende Bayern-Fan Bendel lachend.

Schwäbisch­e Tugenden

„Er hat die guten, schwäbisch­en Eigenschaf­ten. Er ist der beste und aufrichtig­ste Typ, den ich kenne. Auf ihn kann man sich 100-prozentig verlassen“, sagt seine Kollegin Dagmar Gebhart. „Allerdings stellt er sein Licht viel zu sehr unter den Scheffel. Manchmal würde ich mir wünschen, dass er ein wenig mehr lebt.“

Doch zuallerers­t lebt Bendel seinen Job. Noch Stunden nach Spielschlu­ss wird in manch einem Separee wild gefeiert. Hier bekommt die kleine Eisenbahn längst Kilometerg­eld, dort wird fleißig an der Stange getanzt. In einem anderen Separee spielt eine Rockband und hebt mit dem Bass beinahe die Türen aus den Angeln. Von Bendel keine Spur. Er sitzt am Ende eines unscheinba­ren, verschacht­elten Ganges in seinem Büro – und arbeitet an der Getränkebe­stellung für die nächste Veranstalt­ung.

„In manchen Dingen kann ich sehr streng sein, aber das muss ich auch, sonst tanzen sie mir auf der Nase herum.“Benjamin Bendel

„Es geht darum, die Veranstalt­ung emotional aufzuladen und den Gästen ein bleibendes Erlebnis zu bescheren.“Benjamin Bendel

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FOTO: Pirat aus Leidenscha­ft: St. Paulis Prokurist Benjamin Bendel.

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