Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Obstbauern müssen um Erntehelfer werben
Osteuropäer wollen nicht mehr Spargel stechen und Erdbeeren pflücken
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KREIS RAVENSBURG - Wie in ganz Deutschland ist es für die oberschwäbischen Landwirte immer schwieriger, genügend Erntehelfer zu finden. Das macht sich auch jetzt bei der Erdbeerernte und beim Spargelstechen bemerkbar, wie die Obstbauern berichten. Grund dafür ist der wirtschaftliche Aufschwung in Osteuropa, wo die Saisonarbeiter in der Regel herkommen.
Hieß es früher noch, dass Polen zum Erdbeerenpflücken nach Deutschland kommen, sind es heute meistens Rumänen. Das erzählt etwa Rolf Haller vom Obsthof Haller in der Gemeinde Horgenzell. „Wir haben heute zu 90 Prozent Rumänen, Polen kommen immer weniger“, berichtet Haller. Der Trend, dass mehr Rumänen als Polen kommen, habe vor rund fünf Jahren begonnen. Übers Jahr verteilt beschäftigt Haller rund 500 Saisonarbeiter, die bei ihm Obst ernten und Spargel stechen. Auch er sieht den wirtschaftlichen Aufschwung im Osten Europas als den Hauptgrund dafür, dass immer weniger aus Polen als Erntehelfer nach Westen kommen wollen.
„Wer will heute schon noch schwere einfache Tätigkeiten machen? Man muss früh aufstehen und bei Wind und Wetter arbeiten“, sagt Haller. Und da durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU alle EUBürger in jedem EU-Staat leben und arbeiten können, würden sich auch immer weniger für eine Arbeit als Erntehelfer entscheiden. „Im Handwerk und in der Industrie sucht man auch überall händeringend nach Arbeitern. Dort wird man oft besser bezahlt oder kann in klimatisierten Räumen arbeiten“, sagt Haller. Deswegen müsse man verstärkt werben.
Wirtschaftsaufschwung in Polen
Jährlich werden in Deutschland im Schnitt bis zu 180 000 Saisonarbeiter für die Ernte von Erdbeeren und Spargel eingesetzt – im Südwesten sind es rund 23 400 Erntehelfer. 20 Prozent der Anbauer finden laut einer Umfrage des Verbands Süddeutscher Spargel- und Erdbeeranbauer (VSSE), dass sich die Verfügbarkeit von Saisonarbeitskräften „deutlich verringert“hat. 45 Prozent empfinden eine „etwas verringerte“Verfügbarkeit. Die deutsche Landwirtschaft ist dringend auf die Saisonkräfte angewiesen, weil kaum jemand die Arbeit machen will.
Tatsächlich erlebt vor allem Polen einen Wirtschaftsaufschwung. Nach Angaben von „Germany Trade and Invest – Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing“zählt Polen zu den dynamischsten Volkswirtschaften in der Europäischen Union. Das Wirtschaftswachstum soll in den nächsten Jahren bei 3,5 bis 4,0 Prozent liegen, die Arbeitslosenquote sank 2017 laut Statistischem Amt der EU (Eurostat) unter fünf Prozent. Mit dem Aufschwung steigen Löhne und Wohlstand, weshalb immer weniger die Heimat für harte Arbeit verlassen wollen.
Wie beim Obsthof Haller hat sich auch beim Obsthof Abt in der Gemeinde Horgenzell die Arbeiterschaft geändert. Aus Polen kommt nur noch die Minderheit der insgesamt 70 Arbeiter, die Mehrheit kommt aus Rumänien, berichtet Bruno Abt. Wie in Polen wächst auch in Rumänien die Wirtschaft. Abt habe festgestellt, dass die Erntehelfer unzuverlässiger werden. „Manche sagen zu und kommen dann doch nicht“, erzählt er. Wie sein Kollege Haller auch würde er ein Abkommen mit osteuropäischen Nicht-EU-Ländern wie etwa der Ukraine begrüßen, die es den Menschen erlaubt, als Erntehelfer nach Deutschland zu kommen. Ähnliches gab es mit Polen, als das Land noch nicht in der EU war. „Wir bekommen immer wieder Anfragen aus der Ukraine, die wir aber ablehnen müssen“, sagt er.
Studenten aus Kirgistan ernten
Bei der Suche nach Erntehelfer setzt Bruno Abt auf Mund-zu-Mund-Propaganda. „Mir ist es recht, wenn Arbeiter, die mich und die Arbeit hier kennen, andere ansprechen. Die wissen, was auf sie zukommt“, sagt er. Deswegen will er keine Agenturen nutzen, bei denen er nicht wisse, ob und wie viel Geld beim Arbeiter wirklich ankommt. Dieses Jahr werden beim Obsthof Abt in Horgenzell zum ersten Mal Studenten aus der früheren Sowjetrepublik Kirgistan in Zentralasien als Erntehelfer eingesetzt. „Das werden wir jetzt mal ausprobieren, weil Studenten dürfen wir aus jedem Land beschäftigen. Wir müssen da flexibel sein“, sagt Abt.
Für Menschen aus Ländern mit einem niedrigen Lohnniveau wie etwa dem in Kirgistan oder in der Ukraine (im Schnitt knapp 200 Euro pro Monat brutto) sind Stundenlöhne wie dem in Deutschland geltenden Mindestlohn von 8,84 Euro pro Stunde sehr attraktiv. Manche Betriebe zahlen mittlerweile schon mehr, um zusätzliche Anreize zu schaffen.
Beim Spargelhof Arnegger in Weiherstobel bei Ravensburg ist die Problematik der fehlenden Erntehelfer besonders hart. „Wir bräuchten eigentlich doppelt so viele wie hier sind. Viele haben kurzfristig abgesagt – aus familiären oder gesundheitlichen Gründen. Ob das so alles stimmt, wissen wir aber nicht“, berichtet Joachim Arnegger. Seine Arbeiter kommen allerdings ausschließlich aus Ostpolen. „Wenn die Erntehelfer komplett wegbleiben würden, gäbe es in Deutschland keinen Anbau von Sonderkulturen mehr“, sagt er. Der Landwirt will jetzt auf die Problematik der fehlenden Erntehelfer reagieren und einen Erdbeeranbau in Stellagen avisieren. Dazu braucht es dann weniger Personal. Zwar gibt es schon erste Lösungen, um Spargel maschinell zu stechen, aber für den Betrieb Arnegger käme das aus Kostengründen nicht infrage. „Das ist nur etwas für Großbetriebe wie in Nord- oder Ostdeutschland“, so Arnegger.
Warum das Fehlen von Erntehelfern die Ausbreitung von Schädlingen begünstigt, sehen Sie in einem Videobeitrag im Internet unter: