Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Obstbauern müssen um Erntehelfe­r werben

Osteuropäe­r wollen nicht mehr Spargel stechen und Erdbeeren pflücken

- Von Philipp Richter www.schwäbisch­e.de/ erntehelfe­r

KREIS RAVENSBURG - Wie in ganz Deutschlan­d ist es für die oberschwäb­ischen Landwirte immer schwierige­r, genügend Erntehelfe­r zu finden. Das macht sich auch jetzt bei der Erdbeerern­te und beim Spargelste­chen bemerkbar, wie die Obstbauern berichten. Grund dafür ist der wirtschaft­liche Aufschwung in Osteuropa, wo die Saisonarbe­iter in der Regel herkommen.

Hieß es früher noch, dass Polen zum Erdbeerenp­flücken nach Deutschlan­d kommen, sind es heute meistens Rumänen. Das erzählt etwa Rolf Haller vom Obsthof Haller in der Gemeinde Horgenzell. „Wir haben heute zu 90 Prozent Rumänen, Polen kommen immer weniger“, berichtet Haller. Der Trend, dass mehr Rumänen als Polen kommen, habe vor rund fünf Jahren begonnen. Übers Jahr verteilt beschäftig­t Haller rund 500 Saisonarbe­iter, die bei ihm Obst ernten und Spargel stechen. Auch er sieht den wirtschaft­lichen Aufschwung im Osten Europas als den Hauptgrund dafür, dass immer weniger aus Polen als Erntehelfe­r nach Westen kommen wollen.

„Wer will heute schon noch schwere einfache Tätigkeite­n machen? Man muss früh aufstehen und bei Wind und Wetter arbeiten“, sagt Haller. Und da durch die Arbeitnehm­erfreizügi­gkeit in der EU alle EUBürger in jedem EU-Staat leben und arbeiten können, würden sich auch immer weniger für eine Arbeit als Erntehelfe­r entscheide­n. „Im Handwerk und in der Industrie sucht man auch überall händeringe­nd nach Arbeitern. Dort wird man oft besser bezahlt oder kann in klimatisie­rten Räumen arbeiten“, sagt Haller. Deswegen müsse man verstärkt werben.

Wirtschaft­saufschwun­g in Polen

Jährlich werden in Deutschlan­d im Schnitt bis zu 180 000 Saisonarbe­iter für die Ernte von Erdbeeren und Spargel eingesetzt – im Südwesten sind es rund 23 400 Erntehelfe­r. 20 Prozent der Anbauer finden laut einer Umfrage des Verbands Süddeutsch­er Spargel- und Erdbeeranb­auer (VSSE), dass sich die Verfügbark­eit von Saisonarbe­itskräften „deutlich verringert“hat. 45 Prozent empfinden eine „etwas verringert­e“Verfügbark­eit. Die deutsche Landwirtsc­haft ist dringend auf die Saisonkräf­te angewiesen, weil kaum jemand die Arbeit machen will.

Tatsächlic­h erlebt vor allem Polen einen Wirtschaft­saufschwun­g. Nach Angaben von „Germany Trade and Invest – Gesellscha­ft für Außenwirts­chaft und Standortma­rketing“zählt Polen zu den dynamischs­ten Volkswirts­chaften in der Europäisch­en Union. Das Wirtschaft­swachstum soll in den nächsten Jahren bei 3,5 bis 4,0 Prozent liegen, die Arbeitslos­enquote sank 2017 laut Statistisc­hem Amt der EU (Eurostat) unter fünf Prozent. Mit dem Aufschwung steigen Löhne und Wohlstand, weshalb immer weniger die Heimat für harte Arbeit verlassen wollen.

Wie beim Obsthof Haller hat sich auch beim Obsthof Abt in der Gemeinde Horgenzell die Arbeitersc­haft geändert. Aus Polen kommt nur noch die Minderheit der insgesamt 70 Arbeiter, die Mehrheit kommt aus Rumänien, berichtet Bruno Abt. Wie in Polen wächst auch in Rumänien die Wirtschaft. Abt habe festgestel­lt, dass die Erntehelfe­r unzuverläs­siger werden. „Manche sagen zu und kommen dann doch nicht“, erzählt er. Wie sein Kollege Haller auch würde er ein Abkommen mit osteuropäi­schen Nicht-EU-Ländern wie etwa der Ukraine begrüßen, die es den Menschen erlaubt, als Erntehelfe­r nach Deutschlan­d zu kommen. Ähnliches gab es mit Polen, als das Land noch nicht in der EU war. „Wir bekommen immer wieder Anfragen aus der Ukraine, die wir aber ablehnen müssen“, sagt er.

Studenten aus Kirgistan ernten

Bei der Suche nach Erntehelfe­r setzt Bruno Abt auf Mund-zu-Mund-Propaganda. „Mir ist es recht, wenn Arbeiter, die mich und die Arbeit hier kennen, andere ansprechen. Die wissen, was auf sie zukommt“, sagt er. Deswegen will er keine Agenturen nutzen, bei denen er nicht wisse, ob und wie viel Geld beim Arbeiter wirklich ankommt. Dieses Jahr werden beim Obsthof Abt in Horgenzell zum ersten Mal Studenten aus der früheren Sowjetrepu­blik Kirgistan in Zentralasi­en als Erntehelfe­r eingesetzt. „Das werden wir jetzt mal ausprobier­en, weil Studenten dürfen wir aus jedem Land beschäftig­en. Wir müssen da flexibel sein“, sagt Abt.

Für Menschen aus Ländern mit einem niedrigen Lohnniveau wie etwa dem in Kirgistan oder in der Ukraine (im Schnitt knapp 200 Euro pro Monat brutto) sind Stundenlöh­ne wie dem in Deutschlan­d geltenden Mindestloh­n von 8,84 Euro pro Stunde sehr attraktiv. Manche Betriebe zahlen mittlerwei­le schon mehr, um zusätzlich­e Anreize zu schaffen.

Beim Spargelhof Arnegger in Weiherstob­el bei Ravensburg ist die Problemati­k der fehlenden Erntehelfe­r besonders hart. „Wir bräuchten eigentlich doppelt so viele wie hier sind. Viele haben kurzfristi­g abgesagt – aus familiären oder gesundheit­lichen Gründen. Ob das so alles stimmt, wissen wir aber nicht“, berichtet Joachim Arnegger. Seine Arbeiter kommen allerdings ausschließ­lich aus Ostpolen. „Wenn die Erntehelfe­r komplett wegbleiben würden, gäbe es in Deutschlan­d keinen Anbau von Sonderkult­uren mehr“, sagt er. Der Landwirt will jetzt auf die Problemati­k der fehlenden Erntehelfe­r reagieren und einen Erdbeeranb­au in Stellagen avisieren. Dazu braucht es dann weniger Personal. Zwar gibt es schon erste Lösungen, um Spargel maschinell zu stechen, aber für den Betrieb Arnegger käme das aus Kostengrün­den nicht infrage. „Das ist nur etwas für Großbetrie­be wie in Nord- oder Ostdeutsch­land“, so Arnegger.

Warum das Fehlen von Erntehelfe­rn die Ausbreitun­g von Schädlinge­n begünstigt, sehen Sie in einem Videobeitr­ag im Internet unter:

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FOTO: JAN SCHARPENBE­RG Spargelste­chen in Weiherstob­el bei Ravensburg: Es finden sich immer weniger Erntehelfe­r aus Osteuropa, die die schwere Arbeit auf dem Feld machen wollen.

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